Pauls Midlife Crisis / zeitlose Leiden des fast jungen W. / Emotion und Verstand - Gleichklang oder Gegensatz

Angeboren oder anerzogen

Angeboren oder anerzogen

 Wieder zuhause ging es für Patrik in der Villa weiter, er hatte sich zwar irgendwann doch noch mit der Unterbringung dort abgefunden, dafür fingen allmählich dort die Klagen über ihn an. Außer mit der Köchin hat er sich mit niemand richtig angefreundet. Als er bei irgendeinem Fest einmal mehr von allen randalierend, Sand und Steine schmeißend, beobachtet werden konnte, war auch deren Geduld und Wohlwollen allmählich erschöpft. Patrik wollte zwar irgendwie mit den anderen Kindern mittun aber immer nach seinen Regeln. Wenn es anders nicht möglich war, hatte er seine eigenen Methoden, auf sich aufmerksam zu machen.

 So war abzusehen, dass die Situation in der Villa mehr und mehr zu eskalieren begann. Man musste dem Personal dort zugutehalten, dass es nicht so schnell aufgab. Leiterin und Gruppenbetreuerin wollten einen häuslichen Gesprächstermin, wohl, um sich einerseits zu überzeugen, ob bei Patrik zu Hause alles in Ordnung wäre und zum zweiten seinen Eltern mitzuteilen, dass Patrik unerträglich sei. Entweder sei er extrem schlecht erzogen, was sonst nur von völlig verwahrlosten Kindern zu erwarten wäre, oder er hätte einen Dachschaden. Wie oben schon erwähnt, hatte die Leiterin der Einrichtung, eine Frau Dr. Weber. eine durch einen Geburtsfehler mehrfach schwer behinderte Tochter und war wohl auch dadurch etwas direkt geworden. Nachdem aber bei Patrik zuhause alles einigermaßen geordnet schien, neigten die beiden Damen zu letzterer Einschätzung der Ursache von Patriks Problem und empfahlen Paul und Tani zunächst eine Untersuchung in einer Kinderklinik und eine Therapie bei einer Kinderpsychologin.

 Nun, so wie Psychologen gestrickt sind, gehört zur Beurteilung eines Wesens immer die Umgebung, also die Beziehung der Eltern untereinander. Der Herr Dr. Dr. Wurm an der Kinderklinik meinte nach kurzem Augenschein auch, mit Patrik sei alles in bester Ordnung. Mit den Worten: „Freuen Sie Sich, dass Sie so einen wunderbaren Jungen haben, schauen Sie mal, ob mit Ihrer Beziehung alles in Ordnung ist!“ verabschiedete er die zwei leicht verunsicherten Eltern. Es genügte aber nie, Patrik zu beurteilen, ohne ihn längere Zeit in einer Gruppe Gleichaltriger zu beobachten.

 Tani war damals wieder schwanger, sie und Paul begannen also eine Paartherapie bei der sehr erfahrenen, liebenswürdigen Frau Christ, die auch Patrik gelegentlich zu Gesicht bekam. Sie tendierte aus ihrem professionellen Blickwinkel ähnlich dem Herrn Wurm dazu, Patrik als ein lebhaftes Kind, aber im Rahmen zu sehen, und eher die elterliche Beziehung als verbesserungswürdig zu betrachten. Klar ist, Paul und Tani sind beide nicht einfach, sehr eigenwillig, manchmal stur, auseinandersetzungsfreudig bis streitsüchtig, oft unnachgiebig, dickschädelig, tragen ihre Päckchen an Verletzungen und Empfindlichkeiten mit sich. Ihre Beziehung war nie einfach, die zusätzliche Herausforderung durch Patriks Eigenheit verschärfte den Grad der Spannungen weiter.

Aber man machte ihnen Mut. Kai wurde geboren. Es gab eine neue Konstellation. Tani hatte in Kais ersten beiden Lebensjahren noch den alten Job im US-Konzern. Für Kais und auch Patriks Betreuung war das Au Pair, Pavlina aus Russland, engagiert worden.