Berufliches

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Berufliches

 Paul hatte Tani in der Zeit mit Katja vermisst. Nachdem er sich von Katja getrennt hatte, nahm er wieder Kontakt zu Tani auf, auch sie besuchte ihn in seiner fast eineinhalb jährigen Zeit in der Nähe dieses beliebten Ausflugsgebiets. Es vergingen noch mal fast fünf Jahre mit Arbeitseinsätzen in verschiedenen Städten zum Teil auch wieder im benachbarten Bundesland, ohne dass Tani und er in der Frage nach einer gemeinsamen Zukunftsplanung weitergekommen wären.

Beruflich gab es bei Paul schließlich Veränderungen. Er hatte verschiedene Optionen, nach zehn Jahren im selben Ingenieurbüro wurde ihm dort eine Teamleiterposition angeboten. Das bedeutete nach vielen Außen- und nur gelegentlichen internen Einsätzen, war er nun als Informationstechniker, kurz ITler, im Hause einerseits Mädchen für alles, andrerseits war die Hauptaufgabe aber Akquisition, Einstellen und Vermitteln von Ingenieuren, Pflege der Kontakte zu den Kunden, Beteiligung an Ausschreibungen zur Durchführung von hausinternen Aufträgen. Die ISO 9000 Zertifizierung für jedes der unterschiedlichen Teams, Konstruktion, Dokumentation und IT stand in dieser Phase gerade auch noch an.

Mit einem gewaltigen Arbeitseinsatz von 60-70 Wochenstunden konnte Paul neben all den an ihn gestellten Aufgaben nebenher auch noch die Mitarbeiterzahl und den Umsatz in seinem Team fast verdoppeln. Ein besonderer Coup von ihm war, jeweils auf Bitten von Kolleginnen, kurzfristig Jobs für Ingenieure aus deren Bekanntenkreis besorgt zu haben.

Paul sah sich eigentlich fest im Sattel, merkte daher nicht, wie Neider, leider mächtig, gemeinsam danach trachteten, ihn mit seiner unbekümmerten Art zurechtzustutzen. Das gipfelte dann tatsächlich darin, dass diese mehr oder weniger unter Vorwänden, ihn seiner Funktion entheben und ihn wieder auf Außeneinsätze verbannen wollten.

Paul ging umgehend zum Arbeitsgericht, erstritt sich ein selbst verfasstes, recht passables Zeugnis und eine angemessene Abfindung. Weiterhin wurde er sofort freigestellt mit Bezügen bis zum Ablauf der ordentlichen dreimonatigen Kündigungsfrist, hatte also etwas Zeit, sich wieder einen neuen Job zu suchen.

Pauls Teamleiter-Phase hatte nur rund eineinhalb Jahre gedauert. Wesentliches spielte sich während dieser Zeit trotz der ganzen Arbeitsbelastung im privaten Bereich ab. Seine stete Präsenz in der Firma und seine mit wachsendem Gewicht ausgeübte Rolle weckte wohl auch das Interesse der einen oder anderen Mitarbeiterin. Es war eine lustige Zeit, viele Dienstreisen, diverse Seminare.

Paul weiß tatsächlich nicht mehr genau, wie es angefangen hatte. Er verabredete sich eines Tages mit der Bilanzbuchhalterin Doris, und sie kamen sich schnell näher. Wieder trennte er sich von Tani, wieder schloss sich eine intensive Phase des Kennenlernens einer kaum bekannten Frau an.

Paul erlebte etwas wie ein blaues Wunder. Auch die Dame war recht eigenwillig. Bei jeder zweiten Unstimmigkeit suchte sie jeweils Trost bei einer ihrer zahllosen, nie ganz gelösten Bekanntschaften. Oft konnte Paul gar nicht verstehen, was ihr gerade wieder gegen den Strich gegangen war. Manchmal brach es dann nachträglich aus ihr heraus, welche ihrer Erwartungshaltungen er gerade nicht erfüllt hatte.

Sie war sehr kontaktfreudig, schaffte es auch in kürzester Zeit, sich immer neue Beziehungen aufzubauen, war dabei wohl auch nicht besonders wählerisch. Selbst bei einer gemeinsamen zehntägigen Flugreise auf eine ihr gut bekannte griechische Insel verabredete sie sich an einem der ersten Tage mit einem allein reisenden Gast ihres Hotels, und Paul musste schauen, wie er sich auf eigene Faust ein Abendprogramm organisieren konnte. Er versuchte es in einer Bar, wo er mit der attraktiven Bardame, einer Britin, ein Gespräch über seine Situation begann. Die meinte dann auch gleich, seine Beziehung sei am Ende, was er zu dem Zeitpunkt noch nicht so ganz klar umrissen hatte. Den Rest der zehn Tage verbrachten Doris und er dann auch wieder gemeinsam.

Irgendwann im selben Sommer besuchte er mit Doris zusammen sogar seine Eltern, die mit ihrem Wohnwagen im Sommer immer wieder irgendwelche, oft in der Nähe von Pauls Wohnort gelegene Seen ansteuerten. Seine Mutter hatte von der gewinnenden, lebhaften Doris wohl keinen so schlechten Eindruck gewonnen. Sein empfindlicherer Vater hatte aber sofort etwas ihn Störendes an Doris, Derbheit, Unstetigkeit, Oberflächlichkeit, erkannt, was er später in trauter Runde auf seine knappe Art nur mit einem, in einem Nebensatz versteckten Wort oder auch nur einem Unwillenslaut zum  Ausdruck brachte.

Aber auch von Doris hatte Paul eine Menge gelernt. Einmal hatte sie sich in den Kopf gesetzt, ihn komplett neu einzukleiden. Er gab ihr einen Batzen Geld, und am Abend rückte sie mit einem ganzen Stapel Jacken, Hemden und Hosen an. Mache Teile haben bis heute überlebt und werden von ihm immer noch gerne getragen.

Als Doris das Weihnachtsfest schon wieder ausschließlich mit einem Kandidaten aus dem engeren Kreis ihres weit verzweigten Beziehungsgeflechts verbringen wollte, war Paul einmal mehr auf sich allein gestellt. So große Wahl wie Doris hatte er nicht. Tani war aber immer noch oder schon wieder bereit, ihn aufzunehmen. Doris war darüber zutiefst verärgert. Offenbar sollten für sie in einer Beziehung Rechte gelten, die sie den jeweiligen Partnern aber nur ungern zugestehen wollte. 

Pauls Midlife Crisis / zeitlose Leiden des fast jungen W.  / Emotion und Verstand - Gleichklang oder GegensatzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt