Schadensbegrenzung

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Schadensbegrenzung

Bald fing die Schule wieder an, das Training sollte wieder beginnen. Am letzten Wochenende der Ferien hatte Paul sich nach über einem Jahr Wettkampfabstinenz bei einem kleinen lokalen Wettbewerb gemeldet und erreichte wider Erwarten sogar einen Podestplatz. In den ganzen zwei Wochen wälzte er Theas Reaktion im Freibad hin- und her, ohne zu einer plausiblen Erklärung zu kommen. Ein ihn angesteckt habendes schlechtes Gewissen, sein Mitteilungsdrang, wieder fast ein Gefühl von Mitleid mit diesem nicht ganz so souveränen, fast bedauernswerten Verhalten, drängten ihn nochmals zu einer Reaktion.

Wobei Paul sich fragte, warum eigentlich er ein solches Gefühl aufbringen sollte für einen Menschen, der von weitem betrachtet, alles erreicht hat, was jeder, auch Paul, sich fürs Leben wünschen würde: einen angesehenen Beruf, drei prächtige Kinder, ein relativ sorgenfreies Leben. Mit seiner, von manchen seiner Arbeitskollegen als Strafe Gottes bezeichneten Lebenssituation stand Paul hier, ebenso rein äußerlich betrachtet, nicht unbedingt so glänzend da. Als Gottesstrafe hatte Paul seine Situation jedoch noch nie empfunden, eher als Prüfung, die er, genauso wie die meisten ihm bisher zuvor gestellten, ebenfalls gewillt war, bestmöglich zu bestehen.

Ursprünglich wollte er ein Serienschwimmen abwarten, und seine Ergebnismails für die ausgewählte Adressatin mit einem Extra-Anhang versehen. Nachdem laut Trainingsplan aber in dem Jahr keine Serien mehr angesetzt waren, gab es sozusagen eine Ersatzmail mit einer ganzen Reihe von erklärenden, versöhnlichen Informationen. Genau genommen war es ein Kniefall mit einer wortreich vorgebrachten Bekräftigung der Entschuldigung seines Vorgehens und dem Ziel, eine weniger verstörende Reaktion bei künftigen Begegnungen zu ermöglichen:

      keine Serien und keine -Ergebnisse mehr in diesem Jahr, dafür ein Versuch, angerichteten Schaden zu mildern...

      Warum ich noch einmal das Risiko eingehe, lästig zu werden, was mir auf dem Herzen liegt, mir in der Seele weh tut, was sich vielleicht vermeiden lässt, ist wie neulich im Bad in Ihring, wenn wir uns zufällig über den Weg laufen, was im Clausberg, ob gesucht oder vermieden, nicht auszuschließen ist, ich eine Reaktion beobachte, die an mir nagt. Ein so großartiger und auch so reagiert habender, mir in vielerlei Hinsicht überlegener Mensch sollte bei meinem Anblick nicht den Eindruck vermitteln müssen, als wollte er sich unter einer imaginären Decke verbergen. Überraschung und sich mangels Grundlage abschwächende, aber rudimentär noch vorhandene Emotionen standen mir wohl im Gesicht. Solange ich immer noch gelegentlich über Aspekte solcher Begegnungen rätsele, bleibt von der sich mir in diesen Situationen aufbauenden Spannung ein Rest.

      Anfang des Jahres, in einer prekären Situation war ich für bestimmte Signale nicht nur besonders empfänglich, ich hab sie mir quasi herbeiphantasiert. Jede noch so kleine Beobachtung hab ich in meinem Sinne interpretiert, in mein Wunschschema gepresst und freute mich auch noch nachhaltig darüber, nach dem Motto, “use your illusion“. Es waren natürlich nie gezielt versendete Signale, eher so ein unergründliches Mona-Lisa-in-sich-hinein-Lächeln, gleichwohl wirksam - wohl gerade weil selten und eher schwach. Kurz, meine Körpersprachenkenntnisse sind und waren  wohl eher unzuverlässig, nicht so belastbar, wie von mir darauf vertraut.

      Der Kick für meine hochschießenden Emotionen war die Erkenntnis meiner ursprünglichen, eklatant überheblichen Fehl-, sich dann umgehend in eine vielfach begründete Hochachtung gewandelte Einschätzung der Signalquelle. Emotionen sind zunächst nicht schädlich, lassen sich auch nicht ganz unterdrücken. Der Umgang macht's, die daraus unternommenen Aktionen muss ich verantworten. Ich hab mich zu meinen Emails verstiegen. Gegen die erste konnte man nichts sagen. Mit der Antwort hätte man es gut sein lassen können. Warum ich die zweite aufgesetzt habe, und wie es mir beim vergeblichen Warten auf eine Reaktion ging, stand in der dritten. Die Reaktion dann eine „Watsche“, nur ein scheinbar versöhnlicher, der Antwort schon wieder eine Ambivalenz verleihender, mich aber ein wenig tröstender Schlusssatz.

Pauls Midlife Crisis / zeitlose Leiden des fast jungen W.  / Emotion und Verstand - Gleichklang oder GegensatzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt