Schwankende Gemüter finden sich

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Schwankende Gemüter finden sich

Die mehr oder weniger großen Gemütsprobleme in Pauls kleiner Familie sind noch so ein Thema, mit dem Werdegang seines Großen bereits relativ umfangreich angerissen, das wenigstens mit ein paar Worten zu Bruder, Mama und Papa ergänzt werden sollte. Patriks Problematik ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auch genetisch bedingt, wie schon Hans Asperger, der dieser Form des Autismus seien Namen gab, in seiner Habilitationsschrift von 1943 mit einigen charakteristischen Fallbeispielen erwähnt. Nachdem die Eheleute Paul und Tani um fast alles streiten, gab es auch zu diesem Punkt eine latente Auseinandersetzung, wer hier sozusagen den größeren Anteil geliefert hat.

Auch bei ihrem Kleinen wurden sie bald zu ernsten Gesprächen mit den jeweiligen Betreuern in Schule und Hort gebeten. Auch für ihn wurde eine HPT empfohlen. Sie konnten das noch abbiegen mit dem Verweis auf seinen autistischen Bruder, mussten sich aber verpflichten, Kai eine Kinder- oder Jugendtherapie angedeihen zu lassen. Wieder kam das Jugendamt zu ihnen, das zwar auch diesmal die Behandlung finanzierte, aber deren Familienheim erneut argwöhnisch inspizierte. Auch die Kai behandelnde Therapeutin fühlte den Eltern auf den Zahn und setzte ihnen, besonders Paul, bei den Elterngesprächen dadurch zu, dass sie gleich mal fragte, ob Tani nicht den Kleinen und er den Großen nehmen sollte, und sie fortan getrennte Wege gehen sollten.

Tani ist, vorsichtig ausgedrückt, ein ebenfalls sehr eigenwilliger Mensch. Da sie, aus Irland kommend, ihren ersten Job in Deutschland in derselben Firma antrat, in der auch Paul ein halbes Jahr zuvor angeheuert hatte, und auch noch im selben firmeneigenen Haus wie er ein Zimmer angeboten bekam, lernte er sie gleich in den ersten Tagen nach ihrer Ankunft in der Großstadt kennen. Er war damals der einzige Herr in dem sehr schön am Stadtrand gelegenen Einfamilienhaus, in dessen anderen sechs Zimmern jeweils eine junge Dame einquartiert war. Die Chefin der Firma, der er dieses Arrangement wohl zu verdanken hatte, meinte es offenbar gut mit ihm. Die meisten anderen der jungen Damen waren ihm gegenüber allerdings sehr reserviert, weil er zwar nach ihnen ins Haus gezogen war, ihm aber trotzdem das schönste Zimmer zugeteilt worden war. Die eine oder andere hätte in Folge älterer Rechte gerne den Neuankömmling lieber in die Besenkammer geschickt und sich selbst das große Zimmer mit der Terrasse reserviert.

Ihm kam zugute, dass in der Personalservicebranche, in der ein Zweig der Firmengruppe aktiv war, eine sehr hohe Fluktuation üblich war, und daher ständig neue Mitbewohner wie auch eines Tages seine spätere Frau ins Haus geschneit kamen, die von der Vorgeschichte unbelastet waren und ihm mit seinem schönen Zimmer gegenüber sehr viel wohlwollender eingestellt waren. Tani war tatsächlich quasi in die Besenkammer gesteckt worden. Mehr als Bett und Schrank passten in ihr Zimmer nicht hinein, so dass sie sich schon bald etwas Geräumigeres, auch näher an ihrem Arbeitsplatz gelegen, suchte. Irgendwann war die Paul für die Firmenwohnung gesetzte Frist auch abgelaufen, so dass er sich ebenfalls etwas Eigenes suchen musste. Nach kurzer Suche wurde er auch mitten im gefragtesten Viertel in der Großstadt fündig, wo er für die nächsten drei Jahre bis zum Kauf des ersten Eigentums auch gerne wohnte. Die Wochen im selben Haus waren aber für Tani und Paul ausreichend gewesen, genügend gemeinsame Interessen zu entdecken und immer wieder zusammen Unternehmungen zu planen und umzusetzen. 

Pauls Midlife Crisis / zeitlose Leiden des fast jungen W.  / Emotion und Verstand - Gleichklang oder GegensatzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt