Guter Appetit

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Guter Appetit

Patrik war von Geburt an mit exakt viertausend Gramm ein sehr kräftiger Junge gewesen, obwohl seine Mama während der Schwangerschaft aus Sorge um ihre Figur kaum, jedenfalls weniger Gewicht als Kind und Nachgeburt zusammen, zugenommen hatte. Er hatte auch von Anfang an immer einen guten Appetit. Auch dass er die Zwiemilchernährung, Brust und Flasche, sechs Monate bis zur Entwöhnung mit großem Zuspruch anstandslos durchzog, deutete darauf hin, dass er nehmen würde, was er bekommen kann.

Sobald er krabbeln konnte, wenn Paul ihn in seinem ersten Lebensjahr mal auf die Liegewiese am See mitnahm, schaute Patrik, was an den umliegenden Liegeplätzen an Nahrungsmitteln zu finden sein könnte. Kekse, Säfte, Knabberzeug, irgendetwas in der Art, sicher viel Spannenderes als das langweilige Angebot der Eltern, versuchte er blitzartig ausfindig zu machen. Dass diese Angewohnheit seinen besorgten Eltern höchst peinlich war, war ihm eher Ansporn. Die von ihm hervorgerufene und  zweifellos auch erspürte Aufregung schien er zu suchen, sie entlockte ihm gar ein gelegentliches Strahlen.

Im Spätsommer nach der Mallorcatour absolvierte Pauls kleine Familie doch noch den Pflichtbesuch bei Granny und Grandpa. Zum ersten Mal im eigenem Kombi mit Fähren über England den Hinweg und zurück über Frankreich. In England machten sie einen Zwischenstopp im Süden von London bei Bea, einer Freundin von Tani, deren Mann Tom und Tochter Cora in Patriks Alter.

Patriks körperliche Fitness hatte sich in den vier Monaten seit Mallorca beträchtlich gesteigert, sein Benehmen, trotz größter Mühen zu dessen Verbesserung, hinkte dem deutlich nach, wie in der nächsten Episode zu erkennen. Die beiden Familien planten einen kleinen kindgerechten Ausflug in einen Park mit Spielplatz bei bestem Sommerwetter. Es gab ein Restaurant mit einer leicht erhöhten Terrasse von der der Spielplatz mit den Kindern gut zu überschauen war. Alles schien easy, glatt zu laufen. Plötzlich großes Geschrei, Unruhe, Aufregung. Leicht aus der Fassung konnten Patriks Eltern gerade noch beobachten, wie der einem größeren Mädchen eine Eistüte aus der Hand gerissen hatte und davon stürmte, um die Reste schleunigst zu vertilgen. Vermutlich waren alle so schockiert, es war auch so schnell gegangen, dass keiner von den Erwachsenen vernünftig reagiert hat. Natürlich hätte man das zutiefst beleidigte Mädchen trösten, ihm den Schaden ersetzen und Patrik deutlich klar machen müssen, dass er bei Hunger und Durstgefühlen sich zunächst an seine Eltern wenden sollte, bevor auf eigene Faust zu Raubzügen ansetzt. Was blieb, war sicher der Eindruck bei den englischen Freunden, dass ihnen da ein etwas ungezogener, eigenwilliger Knabe mitgebracht worden war.

 

Pauls Midlife Crisis / zeitlose Leiden des fast jungen W.  / Emotion und Verstand - Gleichklang oder GegensatzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt