Serienschwimmen

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Serienschwimmen

Mails an Thea wollte er vorerst, nach ausbleibenden oder höchstens frostigen Reaktionen keine mehr schreiben. Eine Reaktion auf die Startsprungübung konnte er sich aber doch nicht ganz verkneifen. Wir wissen nicht, ob dahinter ein von ihm durchdachter Plan steckte, aber er fand eine neue Möglichkeit zu einer Art indirekten Kommunikation  über die Bande.

Bei den so genannten Serien in ihrer Trainingsgruppe werden jeweils hintereinander rund zehn gleiche Distanzen von vier bis sechs Schwimmern um die Wette geschwommen, von der Trainerin gestoppt und anschließend mit Name und Ergebnis durchgegeben. Paul liebte diese Wettbewerbe. Die Ergebnisse sind zwar immer wieder ähnlich. Ein paar Cracks sind für den Rest unerreichbar, und dieser schwimmt meist auch in einer sich immer wieder ähnlich ergeben Reihenfolge. Manchmal gibt es aber auch leichte Verschiebungen durch Tagesformeffekte, Unpässlichkeiten, kleine Verletzungen. Da die Ergebnisdurchsagen nach den Einzelläufen immer einen etwas flüchtigen Charakter haben, und mancher sich seine Zahlen auch gerne in aller Ruhe noch mal schwarz auf weiß anschauen würde, wurde hin und wieder, bisher vergeblich, der Wunsch geäußert, das Ergebnisblättchen auf den Scanner zu legen und per Email an die Gruppe zu versenden. Hier konnte Paul nun versuchen, seinen Punkt zu machen. Er bot nach der Stunde der Trainerin an, ihr dabei zu assistieren und diesen Part für sie zu übernehmen. Sie nahm dieses Angebot gerne an und drückte ihm auch gleich ihre kompletten Aufzeichnungen der ganzen bisherigen Saison in die Hand. Paul hatte damit einen richtigen kleinen Schatz an Informationen ergattert, mit dessen Hilfe er nicht nur die Gruppe, sondern insbesondere auch Thea erreichen konnte.

Paul scannte also brav die Ergebnisse ein, machte sogar noch eine kleine Tabelle, und verfasste ein kurzes Schreiben dazu an die Gruppe. Nachdem der Disput über das Versenden von Signalen ihm keineswegs erschöpfend diskutiert schien, wollte er dazu noch einen Kommentar in diesem Email unterbringen, und verfiel auf folgende Formulierung:

      Hi Serienschwimmer vom vergangenen Freitag,

       auf mehrfachen Wunsch einzelner Teilnehmer haben wir beschlossen, die Serienergebnisse an Interessierte wie auch früher schon per Email zu verteilen.     Selbst finde ich ganz aufschlussreich, wie man im Vergleich zur Konkurrenz abgeschnitten hat, wer wann wo seine Stärken und Schwächen hat, und wie die Leistungskurve sich nach acht oder zehn Durchgängen verändert.

       Einige der Zeiten sind nicht ganz plausibel, wenn die Zeiten innerhalb eines Durchgangspaars beispielsweise um mehr als fünf Sekunden abweichen, oder die eigene Zeit schlechter war, obwohl man geschätzte fünf Meter vor seinem Nachbar angekommen ist, auch schwimmt nicht jeder immer die geforderte Disziplin, was den Quercheck erschwert.

       Eine kleine Korrektur hab ich selbst vorgenommen, falls noch jemand korrigieren möchte, bitte melden. Aber hier großes Lob an Britta, die gleichzeitig die Rollen von fünf oder sechs Zeitrichtern übernimmt. Bei ungefähr 100 Messungen hätte sie sich dafür mit einer Fehlerquote unter drei Prozent  immer noch eine glatte Eins verdient.

       Von den Teilnehmern habe ich aktuell nur die Hälfte im Emailverteiler, werde versuchen, die anderen zu erfragen. Wer keine Ergebnisse will, wird umgehend gestrichen. Wer den Service schätzt, soll und darf auch gern entsprechend deutliche Signale geben.

       Angehängt das Original als Bilddatei und zum Erstellen eigener Pie Charts, Kurven und Statistiken auch als Tabelle.

       Gruß von   Paul

Man muss schon ganz genau hinschauen, um die Botschaft zu erkennen, trotzdem wurde sie vermutlich genau so verstanden, wie sie gemeint war. Wer etwas von sich mitzuteilen möchte, hat nicht nur das Recht sondern auch die Pflicht, dies doch bitte so deutlich zu tun, dass hinterher kein Verdacht aufkommen kann, Signale könnten halluziniert worden sein.

Lustigerweise wurde diese Versandaktion von einigen, nicht allen, der Mitschwimmer sehr goutiert. Paul hatte schon mit dem Gedanken gespielt, so lange in künftigen Emails an die Gruppe mit immer wieder neuen Anspielungen auf irgendwelche Signale zu sticheln, bis er selbst wieder ein paar ihm genehme bekommen würde, aber um keinen allgemeinen Verdacht aufkommen zu lassen, auch um nicht unbedingt zu provozieren, gab er den um das Wohl der Gruppe Bemühten:

      Hi Serienschwimmer vom Juli,

      Fazit des ersten Serienergebnis - Versands:

      Von den angeforderten positiven Signalen gab’s immerhin eine gute Hand voll, Streichungen wurden keine verlangt, vereinzelt wurde der Aufnahme in die Liste widersprochen- selber schuld.

       Übrigens schreibt Britta so sauber, dass meine Orthographic Character Recognition Software ihre Ziffern auch ohne großes Eintippen im Klartext erkennen sollte, ich muss nur noch etwas mit ihr trainieren. Bis dahin, wer will, die restlichen Ergebnisse vom Jahr.

       Vorschlag zur Verteilung der Ergebnisse, um die Email-Flut einzudämmen: nur wer mitgeschwommen war, soll sie haben. Beim ersten Mal gab’s nur deshalb den großen Verteiler, um das neue Verfahren zur Abschreckung oder zum Ansporn, je nach Lust am Wettbewerb, bekannt zu machen.

       Nachdem dies die letzte Serie vor der Sommerpause war, allen schöne Ferien mit viel Schwimmen im See oder Meer zum fit-Bleiben  - immer dran denken, künftige Ergebnisse werden mit früheren verglichen.

       Gruß von Paul

Mit dem erforderlichem Training dachte Paul selbstverständlich an die von ihm ausgesuchte Software, die sich speziell beim Erkennen von nicht normierten Strukturen, wie beispielsweise einer handgeschriebenen Schrift oder auch gesprochener Sprache durchaus auf vorgegebene Muster trainieren lässt.  Ob das von allen so verstanden wurde, und nicht etwa jemand befürchtete, Paul würde sich anmaßen, die allseits respektierte Trainerin trainieren zu wollen?

 Thea hat übrigens auch reagiert, per Email mit einem eher gelangweilten Satz, dafür beim nächsten Trainingsabend wieder mit einem dieser intensiv forschenden Blicke, diesmal aber keine besondere Freundlichkeit, eher leichtes Befremden ausdrückend.

Pauls Midlife Crisis / zeitlose Leiden des fast jungen W.  / Emotion und Verstand - Gleichklang oder GegensatzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt