Eine fast entspannte Begegnung

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Eine fast entspannte Begegnung

Inzwischen, nachdem Paul den Großteil seiner Story weitgehend dokumentiert hat und nur noch gelegentlich ein paar Fortschreibungen, Ergänzungen oder Einschübe vornimmt, hat er angefangen, das Manuskript an einige wenige, ihm besonders vertraute Personen aus seinem Kollegen- und Freundeskreis zu verteilen. Tani möchte auch immer wieder mal eine aktuelle Version zum Lesen.

Manche der Leser reagieren ähnlich, meinen, die Geschichte ist noch nicht ganz zu Ende erzählt, da muss es noch eine Fortsetzung geben. Fortsetzungen könnte es geben, solange er lebe und Lust und Zeit zum Schreiben habe, meint Paul. Ideen hätte er noch genug, und er gehe immer noch wach und neugierig durchs Leben und mache sich seine Gedanken, die er immer mal wieder gerne auch aufschreibe.

Thea sieht er auch noch hin und wieder, in letzter Zeit sogar wieder häufiger. Seine Schwimmtermine sind jetzt montags und samstags, für ihn nicht mehr ganz so günstig, da er sonntags oft auch noch schwimmt. Drei Tage hintereinander und dann vier Tage Pause ist kein so idealer Rhythmus. Samstags passt ganz gut, es sind nicht so viele Teilnehmer, meist zwei pro Bahn, es ist noch recht früh am Abend. Paul kann anschließend noch in die Sauna vom Fitnessklub. Thea kommt samstags in letzter Zeit fast regelmäßig, zuletzt hatte sie sogar ihre große Tochter, die das per Telefon angebotene Blumengeschenk so brüsk abgewiesen hatte, dabei. Die hat wohl gerade ein Handicap und schwimmt lieber in der gemäßigten Gruppe, als in ihrer Leistungsgruppe.

Paul hatte die Absicht, wie angekündigt, vorerst keine Emails mehr zu schreiben. Es ist irgendwo albern, nicht richtig offen, eine Schwäche, sich nur schriftlich äußern zu können, obwohl man sich eigentlich oft genug sieht und, was man zu sagen hätte, auch direkt sagen könnte. Einige seiner Leser haben ihn auf die Idee gebracht, falls er seine Geschichte je veröffentlichen wollte, sollte er entweder das ganze noch mehr verfremden, oder zumindest die Betroffenen vorher um ihr Einverständnis fragen bzw. ihnen eine Chance geben, sich dazu zu äußern.

Noch in seinem Urlaub auf Rhodos, dachte er längere Zeit darüber nach, ob und wie er das Manuskript Thea selbst zukommen lassen sollte. Paul wollte es auf jeden Fall diesmal vorher mündlich ankündigen und dazu eine passende Gelegenheit abwarten. Das Zwölf-Sunden Schwimmen wäre keine schlechte Gelegenheit gewesen. Man verbringt einen Großteil der Zeit gemeinsam in der Halle und schließlich schwimmt man ja auch nicht die ganze Zeit. Irgendwie ergab sich’s nicht. Entweder schwamm Paul, und Thea nicht oder umgekehrt. Mal schwamm er auf der einen Bahn und sie auf der anderen Bahn, oder umgekehrt, oder er unterhielt sich gerade mit seinen Teammitgliedern, oder Thea war in irgendwelche Gespräche vertieft, wo schlecht einzuhaken gewesen wäre.

Nächste Chance wären die wieder aneinander liegenden Termine seiner Trainingsgruppe und der von ihr trainierten Leistungsgruppe gewesen. Paul hätte einfach mal wieder sehr früh kommen können und sicher ganz gut Zeit finden können, ein Email mit seinem Manuskript anzukündigen. Aber siehe da, welch Überraschung, Thea hat offenbar ihr Traineramt aufgegeben, der kräftige Herr vom Nachbarort macht den Job jetzt alleine oder wird von anderen Kollegen assistiert.

Hier war also wieder etwas Geduld erforderlich. Erstaunlicherweise sah er Thea immer mal wieder an ihrem früheren Wohnsitz, dabei sein neues Haus passierend, deren Sippenhund ausführend. Wäre notfalls auch noch eine Möglichkeit gewesen, aber schon sehr zufällig. Außerdem war sie dabei auch teilweise in ernste Gespräche mit Begleitung vertieft, oder er steckte mitten in einer schlecht unterbrechbaren häuslichen Betätigung, Antenne aufs Dach montieren, oder Ähnliches.

Blieb also wieder sein samstäglicher Trainingsabend. Paul konnte einige Minuten früher kommen, sah manchmal schon ihr Fahrzeug vor dem Eingang stehen, konnte sich also darauf einstellen. Und es hat sich immer noch nicht ganz geändert, Puls- und Blutdruck steigen, die alte Spannung zeigt sich noch etwas. Paul hatte sich diese Situation immer mal wieder in unterschiedlichen Varianten ausgemalt. Paul musste eine mögliche Abweisung irgendwie überwinden, sich notfalls ganz kurz und sachlich fassen. Paul könnte aber auch, falls sich die Gesprächsanbahnung ungeahnterweise nicht ganz so unfreundlich gestalten sollte, unterschiedlichste Themen ansprechen.

Ihre Eindrücke vom Zwölf-Stunden-Schwimmen wären ein Thema gewesen. Natürlich die Frage nach dem Gefallen oder Nichtgefallen an seinen Blumen. Oder das Hundebetreuungsprogramm der Tischler-Sippe, das relativ kompliziert sein muss. Bei der Vielzahl der Gassigeher muss es sich so ziemlich um den bestbetreuten Hund der ganzen Gemeinde handeln. Echt beneidenswert, dieser Bursche.

Nachdem sie jetzt nicht mehr bei jedem Wettkampf ihres Nachwuchses an den Wochenenden dabei sein muss, ist mit ihr womöglich öfter zu rechnen. Als Kampfrichter muss sie hin und wieder noch mit, Wettkampftermine gibt es noch genügend, aber heute hat sie sich offenbar mal wieder vorgenommen zu schwimmen.

Tatsächlich, fünf Minuten vor Beginn gerade noch ausreichend früh, Britta verabschiedet noch ihre Vorgruppe, Thea steht ganz alleine, fast wie Paul erwartend, am Becken, schaut auch noch recht freundlich und grüßt sogar so. Etwas ungläubig über so viel Freundlichkeit muss er zunächst den Moment noch etwas genießen, bis er sich gerade noch besinnt, und seinen Gesprächswunsch doch gleich vorbringt. Keine kritische Frage wie, „um was geht’s denn?“ , immer noch ein freundliches, fast aufmunterndes Lächeln, eher ein „nur zu!“ Jetzt bekommt er doch so langsam weiche Knie, fast verschlägt es ihm die Sprache und er weiß nicht so recht, wie anzufangen. Wenigstens kann er nach ein paar Schrecksekunden zugeben, dass er genau darüber kurz nachdenken muss. Paul fragt also nach den Eindrücken vom Zwölf-Stunden-Schwimmen. Das ist sicher eine besondere Erfahrung, wenn sie zum ersten Mal gemacht wird. Fast zu ungeduldig wechselte er zu seinen Blumen, die für ihn und Tani seit rund fünfzehn Jahren treue Begleiter sind und entsprechende Geschichten zu erzählen haben. Die Halle füllt sich, Pauls Knie werden immer weicher, er sagt sich, für heute reicht es erst mal. Das war nach über zwei Jahren Emails und sonst Schweigen jetzt wirklich kein so schlechtes Gespräch gewesen.

Auf die Idee hätte er auch schon längst kommen können, aber hätte er nicht das Buch geschrieben, und hätte er nicht einen wirklich guten Grund für eine Ansprache gehabt, hätte er sich wahrscheinlich nicht dazu durchgerungen. Es war ihm auch so schon nicht leicht gefallen, wobei er tatsächlich gar nicht zu seinem eigentlichen Punkt gekommen ist. Schadet vielleicht auch nicht, sich noch etwas aufzuheben.

Pauls Midlife Crisis / zeitlose Leiden des fast jungen W.  / Emotion und Verstand - Gleichklang oder GegensatzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt