Teil 2 - Wunschkinder, Patriks Toddler Jahre

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Teil 2 - Wunschkinder

Patriks Toddler Jahre

Mallorca

Guter Appetit

Angeboren oder anerzogen

Kai

Diagnose

Kieselspiele

Bullen, Hunde und Katzen

Einschulung

Kinderklinik

Bergtour

Zoo

Schulübertritt

Schulausschluss

Patriks Toddler[1] Jahre

Patrik war ein von Paul heiß ersehntes Wunschkind, auf das er über vierzig Jahre hinarbeiten und warten musste. Zu diesen vierzig Jahren könnte und sollte man jetzt wohl einiges sagen, aber eins nach dem anderen. Was hat es mit Patrik besonderes auf sich? Patrik ging seit knapp einem viertel Jahr auf eine für ihn neue Schule, ein kleines privates Gymnasium, von ihm zuhause in rund einer Stunde mit der S-Bahn zu erreichen. Um den Platz in diesem Gymnasium hatten alle in Pauls Familie monatelang gezittert, es war auch schon Patriks zweiter Versuch, dort aufgenommen zu werden. Warum war diese Schule so wichtig?

Patrik wuchs seine ersten Lebensjahre bei einer Tagesmutter mit drei ebenfalls noch kleinen Kindern auf, bei der er sich sichtlich wohl fühlte. Pauls kleine Familie wohnte damals noch in Tanis Zwei-Zimmerwohnung in Jesing. Tani hatte einen ganz guten Job bei einem amerikanischen IT-Konzern, den sie auf keinen Fall missen wollte. Als Patrik fünfzehn Monate alt war, wollte die Familie mehr Platz zum Wohnen für sich haben, suchten und fanden ein Haus in Clausdorf, auch das wieder eine eigene Geschichte. Die Tagesmutter war jetzt zweimal täglich zu fahrende zwanzig Autominuten weiter weg. Nach einem viertel Jahr oft feierabendlich stressiger Fahrerei wollte die Familie auf die Dauer eine andere Lösung suchen.

Pauls Frau hetzte ihn damals auf die Nachbarn mit Kindern los, um sich dort zu erkundigen, was es in der Gegend für Möglichkeiten der Kinderbetreuung geben würde. Eine ziemlich heikle, Paul einiges an Überwindung kostende Aufgabe, sich mit einer so persönlichen Frage an wildfremde Menschen wenden zu müssen. Ihm war auch nicht ganz klar, warum das hauptsächlich seine Aufgabe war. Das Argument Tanis war immer, du wolltest dieses Kind, also musst du auch eine entsprechende Verantwortung übernehmen. Ihre Vereinbarung war von Anfang an, dass sie ihren Job behalten würde, also biss Paul in den Apfel. Vorteil war, einen bleibenden Eindruck der nahezu kompletten Nachbarschaft zu bekommen und wahrscheinlich auch einen solchen zu hinterlassen.

Es gab tatsächlich eine Reihe Elterninitiativen zur Betreuung von Kleinkindern unter drei Jahren am Ort, die allerdings sehr viel Engagement der Eltern gefordert hätten, ein oder zwei Tage pro Woche ganztägige Betreuung zu übernehmen. Fast schon ein glücklicher Zufall, dass keine fünf Gehminuten von der neuen Adresse eine ebenfalls private Initiative eine ganztägige, zwar ähnlich wie die Tagesmutter nicht ganz billige, Kleinkinder-Betreuung anbot. Die Villa Kunterbunt, geleitet von einer Ärztin Dr. Weber mit einer von Geburt an stark behinderten Tochter und betrieben von ein paar sehr engagierten Kindergärtnerinnen, einer Köchin und weiteren Hilfskräften.

Die „Villa“ befand sich in einem älteren recht geräumigen Einfamilienhaus, es gab Gruppen mit Kleinkindern, mit Kindergarten-  oder auch schon etwas älteren Schulkindern.

Paul und Tani brachten also abwechselnd Patrik morgens in seine neue Gruppe und versuchten, dann nach einer abnehmenden Übergangszeit sich zu ihrer jeweiligen Arbeit aufzumachen. Mit Patriks Reaktionen musste man es eher als Davonstehlen bezeichnen. Um es kurz zu sagen, Patrik tat sich extrem schwer, sich in diese neue Gruppe einzufügen. Genau genommen hat er sich nie eingefügt, und das wurde irgendwann zum Problem für die Villa und noch mehr für seine Eltern.

Bis zu seinem zweiten bis dritten Lebensjahr war Patrik von seinen Eltern, Oma und Tagesmutter betreut worden. Die Eltern hatten keinen Vergleich, ob sich in dieser Zeit an seinem Verhalten etwas Besonderes zeigte. Nur leicht hatten sie sich von Anfang an nie mit ihm getan. Tani sagte, er schrie viel, war schwer zu beruhigen. So oft er konnte, trug Paul ihn spazieren, bis in ein Alter, in dem er auf eigenen Beinen die Welt erkunden wollte und das Getragenwerden nicht mehr ertrug, oder Paul fuhr ihn mit dem Fahrrad spazieren, oft zum Einschlafen.

Die Eltern versuchten, ihn zu beschäftigen mit dem üblichen Kleinkinderspielzeug, Spielautos, Bauklötze,  Holzpuzzles, etc. Manchmal entstand bei Paul schon der Eindruck, dass Patriks Art mit den Dingen umzugehen, etwas Destruktives an sich hatte. Einmal sagte er zu seinen Doppelhausnachbarn, er ist noch in seiner Analysephase und zerlegt immer erst mal alles, was er in seine Finger bekommt. Vielleicht, wenn er die Dinge dadurch dann irgendwann verstanden hat, kommt er auch in die Lage, sie wieder zusammen zu setzen. Vorläufig war das immer noch Pauls Job, in die Brüche gegangenes zu reparieren oder zu ersetzen.

[1] English: Kleinkind

Pauls Midlife Crisis / zeitlose Leiden des fast jungen W.  / Emotion und Verstand - Gleichklang oder GegensatzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt