Bergtour

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Bergtour

 Eine Exkursion der Familie in die vor der Türe liegende Alpenwelt war angesetzt, die Jungs waren ungefähr sieben und zehn Jahre alt. Sie fuhren mit dem Auto auf  halbe Höhe einer kleinen Bergtour. Es war im Frühjahr, es lag noch etwas Schnee in den höheren Lagen. Sie durchwanderten die bewaldete Flanke des Bergrückens, suchten die Aussicht auf den im Sattel liegenden See. Das Wetter war durchwachsen, leicht windig und kühl aber trocken.

 Sie queren ein Schneefeld in einer schattigen Mulde. Die Jungs sind mal vor ihren Eltern mal dahinter. Die Stimmung ist nicht ganz schlecht. Sie überlegen sich verschiedene Varianten ihrer Tour, es war früher Nachmittag, ein kleiner Gipfel mit Aussicht ins Alpenvorland wäre sicher noch zu machen gewesen. Die Saumpfade nach der Schneeschmelze im Frühjahr sind nicht immer so klar zu erkennen, nach dem größeren Schneefeld sucht man wieder die Spur oder läuft einfach ein Stück in den noch sichtbaren Spuren des Weideviehs vom letzten Herbst oder parallel zu den Pisten über die im Winter als Skigebiet genutzten Almen.

 Ab und zu stehen nahe der Baumgrenze noch einzelne Baumgruppen, die man links oder rechts umgeht, um sich dann wieder neu nach dem besten Weg zu orientieren. Es scheint den Buben Spaß zu machen, sich an der Wegfindung zu beteiligen, aber die Aussicht, von der Baumgrenze bis zu einem der Gipfel weiter zu steigen, stößt offenbar nicht nur auf einhellige Zustimmung. Die Familie lässt die Entscheidung zunächst offen und sucht einen Weg, der ihnen die Möglichkeit, Auf- oder Abstieg, frei lässt, sie laufen ein Stück einer Höhenlinie entlang, sammeln sich an einer Gabelung oder Kreuzung, warten noch einen Moment auf ihren Großen, der wieder einmal seinen eigen Weg gegangen war, der taucht aber nicht mehr auf, ist auch nirgends in der Nähe zu sehen.

Leicht nervös rätseln sie, was ihm in den Sinn gekommen sein möge, beratschlagen sich zu teilen, um nach oben oder unten nach ihm zu suchen und sich bald wieder zu treffen. Dass er allein zu einem Gipfel aufgebrochen sein könnte, hält Paul für unwahrscheinlich. Es gab fast nur die Erklärung, dass Patrik für sich die Entscheidung, kürzere oder längere Tour, getroffen hatte, und um weiteren Diskussionen aus dem Weg zu gehen, mit seinem Abstieg auch gleich umgesetzt hatte. Uneinig aber notgedrungen, machte der Rest sich an den Rückweg durch den Wald. Das Wetter hatte sich verschlechtert, leichtes Nieseln setzte ein. Tatsächlich aus dem Wald wenige hundert Meter oberhalb ihres Parkplatzes kommend, konnten sie eine Person am Fahrzeug kauernd entdecken. Sein extremer Hang zur Eigenständigkeit, sich abzugrenzen, hatte ihn einmal mehr nicht erkennen lassen, wie sehr seine Eltern und sein Bruder durch diese Alleingänge in Sorge versetzt worden waren.

Pauls Midlife Crisis / zeitlose Leiden des fast jungen W.  / Emotion und Verstand - Gleichklang oder GegensatzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt