Pauls Midlife Crisis / zeitlose Leiden des fast jungen W. / Emotion und Verstand - Gleichklang oder Gegensatz

Kreisschwimmsportfest

Kreisschwimmsportfest

 Das Kreisschwimmsportfest rückte näher, Paul hatte sich am letzten Tag zur Anmeldung entschlossen und konnte ein paar Tage später auch seinen Namen neben über hundert anderen aus dem Verein in der entsprechenden Meldeliste nachlesen. Neben dem Check dieser Liste auf alle ihm bekannten Namen ging ihm zur Vorbereitung noch anderes durch den Kopf.

 Es hätte ja sein können, dass sich bei dem Fest, weil vor der Tür liegend, und mit dem Nachwuchs reichlich vertreten, die komplette Familie Tischler bei diesem Fest einfindet. Paul stellte sich vor, den Herrn Tischler vor sich zu sehen und, da dann schon seit über einem Vierteljahr in der Nachbarschaft wohnend, ihn auf deren bereits stattgefunden habende Begegnung, die Wohnsituation in seinem Viertel, seinen Nachwuchs und anderes anzusprechen. Er wollte doch auch noch mal sehen, ob nicht aus irgendwelchen Webseiten von alten Schulfreunden hervorgehen könnte, dass der Herr Tischler schon im Ort auf die Schule gegangen ist. Er gibt also einmal mehr den Namen mit dem Wohnort ein und erhält zunächst einmal eine aktuelle Telefonliste.

 Er findet zwar nichts Besonderes nur eine Namensgleichheit, eine Frau Tischler in einem Neubaugebiet am anderen Ortsende. Einerseits ist der Name doch nicht so häufig, andrerseits hat er die Damen der Familie Tischler erstaunlicherweise das ganze laufende Jahr noch nie in der Nachbarschaft gesehen. Sieht alles danach aus, als ob hier ein Aus- oder Umzug stattgefunden hat. Das wirft ein etwas neues Licht auf die Zeit von Pauls Emailaktion, würde auf vielerlei Weise ein entscheidendes, nicht so schlecht ins ganze Bild passendes Mosaiksteinchen liefern. Die Aktualisierung der Kontaktdaten müsste wahrscheinlich irgendwann auf der Vereinswebsite nachgezogen werden, er würde sich auf dem Laufenden halten.

 Der definitiv stattgefunden habende Auszug von Thea in die Hertha-Osang-Straße, vermutlich mit Anhang, verändert tatsächlich das Bild der kompletten Geschichte des vergangenen Jahrs. Mit seiner Einschätzung im „Strafmaß akzeptiert“ - Email, Stichwort „allein erziehende Mutter“, hatte er jetzt plötzlich doch nicht so völlig daneben gelegen. Mit ihrem Auszug hat sich Thea nunmehr genau in diese Richtung bewegt, und es ist anzunehmen, dass die Absicht, der Plan dazu, bereits zu einem weit zurückliegenden Zeitpunkt vor Pauls Email-Aktion existierte.

 Paul fragte sich, wann der Umzug genau stattgefunden hat. Im aktuellen, im Netz zu sehenden Satellitenbild waren sowohl das neue Domizil von Thea als auch das seine noch als Baustelle zu sehen, obwohl das von Thea im Frühjahr des Vorjahrs wohl schon etwas weiter war. Im Herbst nach seinem Canossa Email hatte er Thea noch mal bei ihrer alten Adresse mit Gustav, in der Früh eine kurze Runde drehend, gesehen. Sie machte einen sehr nachdenklichen, fast schon betrübten Eindruck, muss mit ihrer Umzugsplanung damals wohl auch schon einiges um die Ohren gehabt haben.

 Vor allem das Mona-Lisa-Lächeln nach diesem Canossa Email bekommt eine neue Bedeutung. Mit seiner Sorge um die Störung der im Email vermutenden Idylle lag er bei einem bereits lange geplanten Auszug dann so gewaltig falsch, dass diese schon ein Schmunzeln wert war.

 Für Paul verwunderlich war immer der extrem ausgeglichene, stets fröhliche Eindruck, den Theas Töchter auf allen Fotos der Schwimmvereinsaktivitäten machten, von deren Sohn hatte er hierzu noch keine Infos. Bei einer in der Luft liegenden Trennung der Eltern wäre dies nicht unbedingt zu erwarten gewesen. Von seinen eigenen Kindern wusste Paul, dass zumindest sein Kleiner sehr unter den häufigen elterlichen Auseinandersetzungen litt. Sein Großer fragte ihn auch schon mal, „Warum hast Du die überhaupt geheiratet?“, ohne sich ganz im Klaren darüber zu sein, dass es ohne die Verbindung seiner Eltern ihn vermutlich nicht geben würde.

 Mit der Zuordnung der Sippenmitglieder zu Theas männlichem Familienteil war Paul wohl auf einem Holzweg gewesen. Das waren nicht unbedingt Theas Mann und Sohn, sondern könnten genauso gut auch Schwager mit Neffe und Gustav gewesen sein. Offenbar wird das halbe Viertel von Theas Manns Sippe bewohnt, die sich gemeinschaftlich um den Hund kümmert. Bei dem das Nachbarhaus von Theas früherem Wohnsitz bewohnende Paar, handelt sich aller Wahrscheinlichkeit nach um den Vater vom Dr. Hubert Tischler, übrigens auch ein Dr. Hubert Tischler, womöglich sogar der die früher durch die Eheleute Tischler gemeinsam betriebene Praxis in der Großstadt begründet habende. Der Neffe hatte dunkle Haare, der Sohn von Thea, Hubert und damit der dritte, ist wie seine Schwestern blond. Paul hat die beiden Cousins womöglich einmal zusammen in dem kleinen Wald gesehen, den Bruder vom Hubert, dem mittleren, mit seiner dunkelhaarigen Frau auf bekanntem Waldweg. 

Das Kreisschwimmsportfest fand bei recht wechselhaftem Wetter statt. Familie Tischler war doch nur mit zweien ihrer Sprösslingen vertreten, von Madame nur hin chauffiert, selbst hatte sie sich gleich wieder abgesetzt. Einige Schwimmer aus Pauls Gruppe waren selbst oder über ihre Kinder mitangetreten. Es war eine ganz ordentliche Stimmung, und es war immer wieder faszinierend, die noch ganz Kleinen aber auch die Cracks in voller Aktion zu sehen. ‚Einmal im Jahr lässt sich für so eine Veranstaltung schon ein halbes Wochenende ansetzen, schauen wir mal, wie sich die Form bis nächstes Jahr entwickelt‘ resümierte Paul noch am Ende.