... ob sich nicht doch ...

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… ob sich nicht doch …

Aber immer wenn die Rede in Richtung Kinder und Familie führte, war auch nach gut zwei Jahren gemeinsamer Zeit keine Annäherung abzusehen, so dass Paul eine Entscheidung treffen musste. Er hatte es sich angewöhnt, gelegentlich Partneranzeigen zu studieren, fing an, sich eines Tages selbst auf eine solche Anzeige hin zu melden.

Aus einer Erwiderung ergab sich eine Verabredung. Derartige Treffen sind immer äußerst intensive Momente. Dieses war also sein erstes dieser Art. Die Dame war ungefähr in seinem Alter, eine diplomierte Psychologin und bereits schon verheiratet gewesen. In ihrer Anzeige hatte sie sich natürlich in den hellsten Farben geschildert. Bei ihrem Treffen, war Pauls erster Eindruck eine Art Frustration, Resignation, sogar Aggression, die von dieser auch noch heftig an ihren Glimmstängeln hängenden Frau ausging und dazu eine ausgeprägte Reserviertheit. Sie saßen also bei einem Glas Wein zusammen und versuchten, in lockerem Gespräch ihre Persönlichkeiten gegenseitig abzutasten. Paul hatte irgendwie den Eindruck, gegen eine Wand zu laufen.

Außer, dass die Dame mit einem „schönen“ Mann verheiratet war, wollte sie ihm nichts zu ihrer Ehe sagen. Selbst bei einem ersten lockeren Kennenlernen, war seine Auffassung, sollten wenigstens ein paar Sätze über frühere Beziehungen möglich sein, fallen dürfen. Im Übrigen schien ihm die Schönheit eines Mannes nicht zu dessen wesentlichen Eigenschaften zu gehören. Was fängt man mit einem Dressman oder einem Mannequin an, wenn zum adretten Äußerlichen nichts oder nur wenig in der Birne ist? Man kann diese Leute anschauen, und das ist es dann auch. Äußerliches hat zwar seine Bedeutung, ist quasi die Visitenkarte, aber doch nur ein eher kleiner Aspekt einer Persönlichkeit, beim Mann noch weniger als bei der Frau. Zum Thema Schönheit steuerte die Dame dann auch noch einen bemerkenswerten Satz bei: Geld und Macht heiratet Schönheit.

Paul hatte zu dem Zeitpunkt weder viel von dem einen noch vom anderen, trotzdem wollte er sich das Streben nach einer möglichst idealen Frau, nach der Prinzessin, immer noch nicht ausreden lassen. Entweder müsste er noch länger warten und sich dabei wenigstens eins von den Mitteln zum Erreichen einer schönen Frau erwerben, oder er musste versuchen, auf andere Qualitäten zu setzen, jedenfalls in seinem Bemühen nicht locker lassen. Mit dieser Dame jedoch sollte es bis auf einen abschließenden Briefwechsel nicht unbedingt weiter gehen.

Nach weiteren Reaktionen auf Annoncen, kam er zum Entschluss sich auch einmal für sich selbst einen kurzen Text auszudenken, einen kleinen Betrag zu investieren und in einer größeren Tageszeitung zu veröffentlichen. Die Resonanz war fast überwältigend. Offenbar hatte er die richtigen Worte gefunden.

Paul musste eine Auswahl treffen. Er hatte gerade einen neuen Auftrag außerhalb der Großstadt angenommen und außer am Wochenende kaum Zeit, irgendwelche Verabredungen zu vereinbaren. Immerhin war er damit rund sechs bis acht Wochen lang beschäftigt. Jemanden nach dieser Zeit noch zu kontaktieren, stieß auf Verärgerung.

Paul kann sich noch recht genau an jede dieser Verabredungen erinnern. Eine angehende Philologin, mit der er zum Schwimmen im See war; eine Maklerin, die mit ihrem kleinen Schoßhund zum Treffen kam; eine liebenswürdige junge Dame, die ihm irgendwelche Storys aus der Zeit, als sie in ihrer Jugend von zu Hause durchgebrannt war, erzählte.

Schließlich fuhr er in den Nachbarkreis, um eine in Sibirien aufgewachsene Spätaussiedlerin in genau seinem Alter zu treffen. Sie saßen bei strahlender Nachmittagssonne auf der Terrasse eines Cafes, Katja schlug ihn sofort in ihren Bann. Sie war etwas Besonderes, dichte dunkle Haare, türkiesblaue Augen, mittlere Größe, weder zu dünn, noch zu dick, sehr selbstbewusst, pharmazeutisch-technische Assistentin.

Sie ließ ihn noch etwas zappeln, er schrieb ihr einen am PC entworfenen, dann mühsam per Hand abgeschriebenen, langen Brief, vielleicht der einzige, mit dem er jemals größeren Erfolg hatte. Sie wurden schnell ein Paar, verbrachten das nächste halbe Jahr jedes Wochenende zusammen. Katja besuchte ihn in ihren Ferien sogar in dem mehrere hundert Kilometer entfernten benachbarten Bundesland, wohin ihn sein nächster Arbeitseinsatz in der Nähe eines Feriengebiets geführt hatte.

Als der Winter kam, wurden allmählich die Gegensätze ihrer Interessen deutlich. Er war an die Exkursionen mit Tani gewöhnt, die Radausfahrten, Skifahren, Bergwandern, Schwimmen. Katja war am liebsten zuhause. „Wir sind Hauskatzen“, sagte sie dann, wollte regelmäßig seine Küchenschränke auswischen, mit ihm neue Bad- und Einbaumöbel kaufen.

Das Fahrrad, das er extra für sie besorgt hatte, fand sie zwar schön, weigerte sich aber, sich auch nur ein einziges Mal draufzusetzen. Als Paul seine, besagtes Feriengebiet bereisende Eltern besuchte, lehnte Katja, die zufällig auch gerade bei Paul war, es ab, ihn zu begleiten und diese kennenzulernen.

 Mit den Geschichten aus ihrer Firma, einem Pharmaunternehmen, räumte sie ein, keine besonderen intellektuellen Ansprüche, „mir Pharmazeutisch Technische Assistenten san alle a bisserl bled“, an sich zu stellen. Es ging um irgendeine Abmahnung, die sie sich eingehandelt hatte, weil sie blind auf die Eingebungen einer Kollegin vertraut hatte.

Es war nicht einfach, die beiden mochten sich, sie haben fast nie miteinander gestritten, aber Paul spürte, dass mit dieser Frau in seinem Leben eine Seite nicht zum Tragen kommen würde, und sah der Gründung einer Familie mit einer solchen Partnerin mit wachsender Skepsis entgegen. Sie sprachen offen über dieses Thema und beendeten ihre Beziehung. Von Katja hatte Paul sehr viel gelernt, ihr hatte er viel zu verdanken. Auch nach über 20 Jahren dachte er immer noch oft und gerne an sie zurück. 

Pauls Midlife Crisis / zeitlose Leiden des fast jungen W.  / Emotion und Verstand - Gleichklang oder GegensatzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt