Trainerfreuden

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Trainerfreuden

Seine Spannungen, sein Interesse an der Geschichte begannen tatsächlich ganz langsam abzunehmen. Mehr aus Gewohnheit sammelte er noch ein paar konkrete Mosaiksteinchen zu seinem eher impressionistisch schöngefärbten aber unscharfen Bild von Thea.

Theas Trainertätigkeit war da so eine stetige Quelle immer wieder neuer ins Netz gestellter Informationen, vielsagende Bilder diverser Trainingscamps, Termine und Ergebnisse der zahlreichen Wettkämpfe ihrer Leistungsgruppe. Paul war immer wieder erstaunt, wie stark diese Leute einen offenbar nahezu ausschließlich auf den Bereich des Sportvereins konzentrierten Teil ihrer Freizeit investieren oder opfern. Der Verein scheint mindestens die zweite Familie zu sein, vielleicht sogar wichtiger. Gelegentlich lässt sich Verein und Familie auch hervorragend verbinden, wie Paul es auch bei einigen seiner Triathlonmitstreiter immer wieder beobachten konnte. Es erfüllte ihn mit einem gewissen Neid, weil er jahrelang erfolglos Ähnliches mit seinem eigenen Anhang angestrebt hatte. Über wenige oft nach langwierigen, mühsamen Diskussionen vereinbarte Radtouren, Bergwanderungen hat er es mit seiner Familie selten hinausgebracht. Diese oft bei bestem Morgenwetter bis in die Mittagsstunden, mit sich dann fast regelmäßig mit Wolken zuziehendem Himmel geführten Debatten hatten ihn allmählich zermürbt, ließen ihn schließlich resignieren und führten dazu, dass er immer mehr sein eigenes Ding machte.

Eine  Zeit lang spielte er selbst mit dem Gedanken, sich zum Trainer ausbilden zu lassen, um Thea auf diese Art näher kommen zu können. Tatsächlich hatte er sich vor einigen Jahren schon einmal zu einem Übungsleiterkurs angemeldet, saß auch schon in der ersten Ausbildungsstunde, als ihm Tani einmal mehr mit Trennung drohte, sollte er noch mehr Zeit mit dem Sport statt mit der Familie verbringen, und er notgedrungen die Ausbildung abbrechen musste.

Aus den mit Stolz präsentierten Bildergalerien auf den Webseiten des Vereins konnte Paul entnehmen, dass Thea mehrfach im Jahr mit verschiedenen Trainerkollegen Trainingscamps durchführte.

Einerseits machte es ihn leicht fassungslos, wie man die Gestaltung seiner Freizeit auf so einen schmalen Bereich verengen konnte. Jahrein, jahraus, bei bestem Frühlings-, Sommer- und Herbstwetter in den immer gleichen Hallen herumzuhängen, oder im Sommer gelegentlich auch bei lausigem Regenwetter mit Schirm an einem Freibadbeckenrand zu stehen, um die ewig gleichen Wettkampfrituale zu verfolgen, schienen ihm doch ein sehr großer Verzicht auf die vielen sich im Leben bietenden Abwechslungen. Selbst hatte er zwar über 10 Jahre regelmäßig an Wettkämpfen teilgenommen, aber da sah er doch kleine Unterschiede. Triathlonveranstaltungen haben einen einzigartigen Charakter. Nicht nur Ergebnisränge zählen, obwohl auch die immer wegen der Dreiteiligkeit ganz unterschiedlich sind. Wesentlich ist das Naturerlebnis, so wie er es in seinem zweiten Email an Thea, dem nachhakenden Motivationsmail beschreiben wollte.

Andrerseits konnte er feststellen, dass auf diesen Trainingscamps immer eine großartige Stimmung herrschte, alle Teilnehmer zumindest auf den Photos immer bester Laune waren. Für Thea war es sicher eine wunderbare Möglichkeit, ihren Mädels nahe zu sein und sie in wichtigen Phasen ihres Erwachsenwerdens zu begleiten, wobei sich die Kids dabei ohne Zweifel wesentlich Besseres tun, als mit oder ohne Konsolen vor irgendwelchen Mattscheiben zu hocken. Die Zeit in seinem einzigen eigenen, auch im Email erwähnten Trainingscamp hat er als absolut einmalig außergewöhnlich erlebt, so dass er auch wieder nachvollziehen konnte, wie erfüllend Organisation und Durchführung solcher Camps sein können.

Pauls Midlife Crisis / zeitlose Leiden des fast jungen W.  / Emotion und Verstand - Gleichklang oder GegensatzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt