Keine Blumen zum Umzug

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Keine Blumen zum Umzug

 Dieser Um- oder Auszug hat Paul beschäftigt. Nachdem sein Arbeitsweg ihn fast direkt an diesem Neubaugebiet vorbeiführt, konnte er sich von der Gegend immer mal wieder ein genaueres Bild machen. Quasi auf den Acker waren dort gute zwei Dutzend Häuser gesetzt worden, kurze Reihen-, Doppel- einige Mehrfamilienhäuser. Nicht so recht vergleichbar mit den in großzügigen Grundstücken schön eingewachsenen Häusern im früheren Viertel. Da muss es schon sehr schwerwiegende Gründe für einen solchen Tausch gegeben haben. Auch für die Kinder, für die offenbar genügend Platz in der Doppelhaushälfte eingeplant war, wird dieser Tausch nicht nur auf reine Freude gestoßen sein.

 Da seine Jungs in seinem neuen Haus beide mehr Platz haben, alles am Gebäude neu und sauber ist, ein aufwändig und inzwischen recht prächtig gestalteter Garten dabei ist, von den Nachbarn auch nicht viel mehr als Dächer zwischen üppigem Baum-, Strauch- und Pflanzenbewuchs zu sehen ist, kam bei keinem von ihnen jemals die Sehnsucht nach dem alten Zuhause auf. Obwohl auch dort der Garten sehr individuell von viel Grün fast uneinsehbar eingefasst war, eine gewisse Enge der Bebauung und damit sehr viel mehr Anlieger- und Durchgangsverkehr waren häufig zu spüren.

 Die Tischlers könnten sich mit der Umgewöhnung schwerer tun. Die Kinder können sicher zwischen Vater und Mutter pendeln, aber irgendwo muss der Schwerpunkt gesetzt werden, und das wird wohl die Mutter sein.

 In der Zeit ob seines Emailschreibens nagenden Gewissens kam Paul einmal während seiner Umzugsplanung der Gedanke, ein versöhnendes Blumenangebot zu machen. Das fiel ungefähr in die Zeit, da seine nicht winterharten Blumen ausgegraben werden mussten. Seiner Frau stand hier wie häufig einmal mehr der Sinn nach Abwechslung, Vereinfachung. Etwas Winterhartes sollte in den neuen Garten, um sich das lästige spätherbstliche Ausgraben, Konservieren und frühjährliche Wiederanpflanzen zu ersparen. Die Alternative war, den ganzen Segen am alten Haus vergraben zu belassen, womit er im nächsten Frühjahr komplett futsch gewesen wäre, oder wie gehabt wieder alles ausgraben, nur diesmal noch in Kisten verpacken und mitumziehen, während oder kurz nach dem Umzug wieder fürs Auspflanzen vorbereiten.

 Es wäre sicher keine schlechte Gelegenheit gewesen, sich schenkender Weise zumindest teilweise von der Pracht zu trennen. Vom alten auf ungefähr zwanzig Jahre geschätzten Anwesen der Tischlers sind von außen fast nur Bäume zu sehen. Der Garten hatte aber sicher genug Zeit gehabt, den Wüschen und Möglichkeiten entsprechend gestaltet zu werden. Ob da noch ein paar Sonne liebende Dahlien dazu gepasst hätten, eher fraglich.

 Ganz anders das Grundstück fast ohne Schatten auf dem ehemaligen Acker im Neubaugebiet. Dahlien würden dort förmlich explodieren, die vielen, fast den ganzen Sommer und Herbst erzeugten Blüten in allen Farben machen immer was her. Paul hatte die neue Adresse im Telefonbuch gefunden, es gab also auch eine Nummer dazu, könnte er spaßeshalber ja mal anrufen und fragen. Ein bisschen Adrenalin zwischendurch kann nichts schaden. 

Paul spricht sein Angebot, da zunächst sonst kein anderes Gegenüber auf Band. Da erwartungsgemäß keine Reaktion, fragt er die Woche drauf noch mal nach. Diesmal keine Automatenstimme, sondern eine ziemlich knappe, ihm unbekannte, etwas barsche weibliche Stimme. Etwas überrumpelt fragt er noch mal nach, mit wem er das Vergnügen habe. Die ältere Tochter ist offenbar nicht sehr erfreut über die Störung, sein erneuertes Angebot stößt auf entschiedene Ablehnung, nicht ohne den offenbar ungern zur Kenntnis genommenen Informationsstand kritisch zu hinterfragen, „Woher wissen Sie überhaupt unsere Adresse? Woher kennen Sie uns?“ Nach zu beschwichtigen versuchter Beantwortung denkt Paul zwar noch mal halblaut über die Verwendung seiner extra angefertigten Bilder nach und tritt dann alsbald mit den üblichen Floskeln einigermaßen geordnet den Rückzug an.

Pauls Midlife Crisis / zeitlose Leiden des fast jungen W.  / Emotion und Verstand - Gleichklang oder GegensatzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt