Mallorca

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 Mallorca

 Zwei Episoden aus dieser Zeit werfen ein ganz gutes Licht auf Patriks Besonderheiten. Der erste Urlaub zu Pfingsten nicht zu den Großeltern entweder nach Irland oder nach Tedelfingen sondern nach Mallorca. Patrik war gerade knapp eineinhalb Jahre alt, konnte schon recht flott laufen, aber noch nicht schwimmen. Die Familie hatte eine kleine Ferienwohnung in der ersten Etage eines Komplexes mit mehreren Pools nicht weit weg von Meer gebucht. Über eine Treppe ging es von der Wohnküche zu den Freizeiteinrichtungen. Sie genossen die dort im Frühling schon recht warmen Temperaturen, machten Ausflüge, waren an irgendwelchen Sandstränden, hatten immer mindestens ein Auge auf Patrik. Es war fast alles, wie es sein soll, und man erwarten konnte.

 Eines Abends, Pauls Frau war wahrscheinlich am Kochen - er war vielleicht gerade mal kurz auf der Toilette gewesen – war Patrik auf einmal nicht mehr in der Wohnung. Pauls erster Gedanke war tatsächlich, jemand hat ihn aus der Wohnung geraubt. Patrik hatte aber die wenigen Sekunden Unaufmerksamkeit und die nicht abschließbare Tür genutzt, um sich über die Treppe davonzumachen und seinen Eltern zu entwischen. Nach dem ersten Schreck, hetzte Paul sofort die Treppe hinunter und in der bereits einsetzenden Dämmerung nach ihm Ausschau haltend. Die Lage war extrem prekär. Es waren keine Leute mehr unterwegs, die auf ihn Acht geben oder ihn auch nur gesehen haben könnten. Es gab überall Pools in die er hineingefallen sein könnte. Er könnte auch auf die angrenzenden Straßen gelaufen sein, wo Spanier und Urlauber mit ihren Fahrzeugen auf ihren nächtlichen Vergnügungstouren reichlich und zum Teil auch jugendlich, unbekümmert flott, unterwegs waren.

Vielleicht waren es nur wenige Minuten, bis er Patrik gefunden hatte. Vorgekommen sind sie ihm wie Stunden. Er rannte mindestens zweimal um und durch die gesamte Anlage, schaute auch auf die Straßen hinaus, versuchte die ganzen verlassenen Pools abzuscannen, ob da irgendetwas zappelte, oder womöglich schon auf den Grund gesunken war. Irgendwann fand er ihn in oder bei einem Gebüsch, wo Patrik wohl Flora und Fauna inspizierte. Patrik schaute seinen Vater erstaunt, leicht unwillig an, dass seine Solo-Spritztour schon zu Ende sein sollte. Nicht, dass er jemanden seiner Eltern erwartet hätte. Sein Bedürfnis nach Selbständigkeit schien noch nicht erschöpft zu sein.

Nun, er ließ sich wenigstens ohne größere Widerstände aufsammeln, und Paul konnte ihn mit einer unbeschreiblichen Erleichterung seiner Mama präsentieren. Sicher hatte diese kleine Episode eine von vielen elterlichen Auseinandersetzungen über den rechten Umgang mit dem zunehmend Selbstständigkeit zeigenden Sprössling zu Folge. Details sind nicht weiter bekannt, aber alles andere wäre verwunderlich gewesen.

Die ungetrübte Erholung hatte jedenfalls einen ersten kleinen Knacks bekommen, und das war nur der Auftakt zu einer ganzen Reihe ähnlicher Begebenheiten, von denen ein paar besonders charakteristisch sind und daher noch überdeutlich in Pauls Erinnerung eingebrannt sind. Dass Patrik seinen Eltern vor dem Rückflug ständig beim Schlange stehen im Terminal, sobald man ihn nicht auf dem Arm hielt, was ihm schon gar nicht mehr so recht taugte, unter den Barrieren davon rannte, um vielleicht wieder ohne diese sich mit einem anderen Flugzeug zu eigenen Abenteuern in fremden Ländern aufzumachen, war noch eher harmlos.

Pauls Midlife Crisis / zeitlose Leiden des fast jungen W.  / Emotion und Verstand - Gleichklang oder GegensatzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt