Einschulung

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Einschulung

 Dass für Patrik eine besondere Schule gebraucht werden würde, stand von Anfang an außer Frage. Einerseits nahmen seine Eltern mehrere Schulen nicht nur in Augenschein, sondern an deren Tagen der offenen Tür noch genauer unter die Lupe, ohne so richtig zwischen Förder-, Montessori- oder Walddorfschule das Richtige für Patrik zu erkennen. Letztlich haben das aber die Profis wohl unter sich ausgemacht. Aufgabe der Betreuer in der HPT war nach zwei Jahren intensiver Kleingruppen-Arbeit und laufender Beurteilung zu wissen, welche Schule die geeignete ist und auch bei der Schule zu erfragen, ob dort die Kapazität zur Aufnahme vorhanden ist. So war relativ klar, dass es für Patrik zunächst eine E-Schule, E wie Erziehungshilfe, werden würde. Weiterhin sollte auch die Betreuung an einer neuen HPT für größere Kinder fortgesetzt werden. In wieder nicht allzu großer Entfernung gab es eine solche Schule mit angeschlossenem Kinderheim, die Bezeichnung war genau genommen umgekehrt, Schule am Kinderheim. Das Kinderheim war auch eine heilpädagogische Einrichtung, dort wurde dann auch eine Nachmittagsbetreuung für nicht im Heim, sondern bei ihren Eltern wohnende, so genannte Tagesschüler angeboten.

 Patriks Eltern schauten sich sowohl die Schule als auch die HPT an, vor allem natürlich das Betreuungspersonal. An drei Probenachmittagen durfte Patrik sich sogar dort schon einmal aufhalten. Anschließend gab es Gespräche mit den Betreuern über die wechselseitigen Eindrücke.

 Das Gespräch, das Paul mit dem Herrn Insegrimm, dem Leiter der Einrichtung, führte, war sehr eigentümlich. Paul hatte sich gegen Ende dieses Probenachmittags eine ganze Zeit lang in der Nähe aufgehalten und so aus der Ferne beobachtet, wie Patrik in dieser für ihn ungewohnt neuen Situation reagieren würde, im Hinterkopf seine manchmal bizarren Verhaltensweisen fürchtend. Patrik hatte aber einen ausgesprochen guten Tag erwischt. Er redete manchmal kurz mit einzelnen der Jungs, versuchte sich an deren Spielen zu beteiligen und fügte sich fast unauffällig in deren Gruppe ein. Umso mehr überrascht war Paul, als Herr Insegrimm ihm eröffnete, noch nie einen solchen verschlossenen, abweisenden Jungen gesehen zu haben, und dass er große Bedenken hätte, ob Patrik sich auf Dauer in seine Gruppe einfügen würde.

 Tani hatte Patrik gebracht, Paul hatte ihn dann dort abgeholt, weil er gerade in der Nähe seinen Arbeitsplatz hatte. Auch Tani hatte an einem der drei Probetage ein kurzes Gespräch mit Herrn Insegrimm gehabt und einen extrem schlechten Eindruck gewonnen, so dass sie auf keinen Fall bereit war, ihm ihren Jungen anzuvertrauen. Paul konnte das damals nicht so recht verstehen. Er war so voll guter Hoffnung, nach langer Suche überhaupt eine vernünftig scheinende Lösung für Patriks Unterbringung gefunden zu haben, als dass er sie für einen flüchtigen negativen Eindruck gleich wieder aufgeben wollte.

 Tani hatte sich in der Phase noch eine zweite HPT in einer anderen Stadt angeschaut und auch dort Kontakt mit dem Leiter Herrn Ingmar aufgenommen, zu welchem sie einen sehr viel besseren Draht bekam. Ergebnis war, Patrik wurde morgens von zuhause abgeholt, nach Ottersbach in die Schule gefahren, von dort in die HPT nach Falkenberg chauffiert und gegen Abend wieder bei seiner Familie abgeliefert. Diesmal weitgehend vom Jugendamt bezahlt, mit relativ bescheidener Beteiligung, nach irgendeinem Schlüssel für halbstationäre, ambulante Betreuung. Dazu kam die Auflage eines ab sofort halbjährlich stattfindenden Hilfeplangesprächs mit Betreuern, Eltern und Jugendamtvertretern, um eine Prognose für Patriks Entwicklung zu stellen und pro forma die Weiterführung der getroffenen Maßnahmen zu beschließen.

 Das Schöne an der HPT in Falkenberg war die Gestaltung nach dem Würzburger Modell. Die Räume waren mit einer Holzverbauung so strukturiert, dass sie mehrere kleine Abschnitte bildeten, in denen sich die noch recht kleinen Kinder gut zurückziehen, verstecken oder auch mit Polstern einrichten konnten. Patriks kleiner Bruder Kai war so begeistert, dass er unbedingt später auch einmal in die gleiche HPT wollte, ein Ansinnen, das seinen Eltern gemischte Gefühle verursachte. Wenigstens ein Kind ohne eine erforderliche Sonderbetreuung wäre diesen auch nicht so unlieb gewesen.

Zunächst ließ sich alles ganz gut an. Die Schule mit der Lehrerin Frau Musmann war zufrieden, wie laut Hilfeplangespräch protokolliert, der Gruppenbetreuer Herr Patterer von der HPT war ebenso zufrieden. Patrik machte brav seine Hausaufgaben, die zwar kaum lesbar waren und eine etwas eigenwillige Papiernutzung zeigten. Die Zeilen bewegten sich auf Wellen, gingen dabei manchmal ineinander über, und endeten selten an den vorgesehenen Rändern. Manchmal gab es leichte Klagen über persönliche Rivalitäten in Schule oder HPT, aber das schien sich noch im Rahmen der üblichen altersgemäßen Bubenraufereien zu bewegen. Patrik wusste sich wenigstens zu behaupten. Mit Herrn Patterer gab es sogar monatliche Gespräche wechselweise zuhause oder in der HPT, es war immer alles recht easy, Patrik auf gutem Weg, macht sich, lernt, fügt sich ein und so fort.

Pauls Midlife Crisis / zeitlose Leiden des fast jungen W.  / Emotion und Verstand - Gleichklang oder GegensatzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt