Die Chemie passt nicht

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Die Chemie passt nicht

Nachdem Paul in seiner Studienzeit auch damals schon ein großes Bewegungsbedürfnis hatte, außerdem auch die Gelegenheit zu allen möglichen sozialen Kontakten gerne nutzte, nahm er dazu regelmäßig die unterschiedlichsten Angebote des Hochschulsports an. Schiausfahrten, Rudern, Volleyball, Tennis, Schwimmen, und Laufen. Häufig war er auch mit dem Rad zu den verschiedenen Veranstaltungen unterwegs, Motorrad leistete hier auch ganz gute Dienste.

In einem Semester stand Reiten oder Trampolin an einem Wochentag zur Auswahl. Paul besprach sich kurz mit einem seiner noch aus Schultagen bekannten Kommilitonen Siegfried. Nachdem die beiden kurz vorher bereits bei einem Trickskikurs mit Wasserschanze sich in halsbrecherischer Akrobatik versucht hatten, und von Siegfried noch das überzeugende Argument kam, dass ihm die armen Pferde leid täten, die sicher nie ganz freiwillig ihre Reiter mit sich herumtragen würden, versuchte man sich am Trampolin. Vorwärts- und Rückwärtssalto mit halber Schraube und Ähnliches will erst einmal gewagt werden, Konzentration und Körperbeherrschung sollte vorher schon geübt werden. Irgendwie mussten die Damen schließlich beeindruckt werden. Außerdem steckten manche die Jungs in dieser Disziplin eh in die Tasche, etwas Einsatz musste schon gezeigt werden.

Wenn einer der Neulinge sich auf die Sprungmatte wagte, standen die Übrigen außen am Gerät, um die sich gelegentlich gefährlich dem Rahmen entgegen schlingernden Kandidaten wieder in die Mitte zu lenken. Das Setting bot damit ganz gute Chancen zur Gesprächsanbahnung. Im Anschluss konnten die Fahrzeugbesitzer die Mädels auch noch nach Hause chauffieren. Auf die Art freundete sich Paul mit Alexandra, einer Germanistik-Studentin aus England an. Er nahm sie sogar einmal zu einem Besuch zu seinen Eltern mit und führte ihr dabei verschiedene Sehenswürdigkeiten seiner Heimat vor.

Sandy war offenbar eine sehr ehrgeizige Philologin, mit Ambitionen in den diplomatischen Dienst oder Ähnlichem. Immerhin war Maggi Thatcher gerade Premier im United Kingdom geworden, und englische Frauen, die mit ihren mächtigen Königinnen vor Augen etwas auf sich hielten, wollten hoch hinaus. Paul konnte Sandy mit seinen eher bodenständigen Karrierevorstellungen hierbei wohl nicht so richtig überzeugen. Auch die an Sandy in ihrer Sprache verfassten Briefe fanden bei ihr mehr für die Form weniger für den Inhalt Interesse.

Sandy versuchte Paul behutsam zu erklären, dass für ihre Pläne andere Partner benötigt würden. Immerhin bescheinigte sie ihm Warmherzigkeit, aber die Chemie zwischen ihnen würde nicht stimmen. Paul hatte zwar verstanden, dass er mit Sandy keine gemeinsamen Ziele anstreben konnte, was es mit der Chemie im zwischenmenschlichen Bereich auf sich hat, darüber musste er noch nachdenken. Als Student der Naturwissenschaften war ihm die Chemie als Beschreibung der Eigenschaften der Stoffe und warum wann was in welchem Verhältnis wie reagiert immer recht klar erschienen. Dass es bei einem so komplexen Stück Materie wie dem menschlichen Gehirn und den darin ablaufenden seelischen Vorgängen womöglich auch so simple zusammenpassende, zu einer gewünschten Reaktion führende Komponenten geben könnte, wie bei chemischen Reaktionen, das zu erkennen würde ihn wohl noch einiges an Lebenserfahrung kosten.

Bei diesem Crash mit Thea dämmerte Paul so langsam die Erkenntnis, dass hier wohl zwei Menschen mit ganz unterschiedlichen, ihrer Gehirnchemie entsprechenden Erwartungen aufeinander getroffen waren. Bei den sich dabei als unüberbrückbar zeigenden Diskrepanzen ist die Bezeichnung der Konstellation als ein nicht reaktionsfähiges Gemisch, einer nicht passenden Chemie, nicht so daneben und hat sich so schon fast in den allgemeinen Sprachgebrauch eingebürgert.

Pauls Midlife Crisis / zeitlose Leiden des fast jungen W.  / Emotion und Verstand - Gleichklang oder GegensatzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt