Nein, aber vielleicht

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Nein, aber vielleicht

Paul hatte das Email an einem Samstag in der Früh unmittelbar nach einem der Trainingsabende, die immer montags und freitags stattfanden, abgeschickt. Natürlich hat er brennend auf eine Reaktion gewartet. Irgendeine musste irgendwann kommen. Auch wenn es keine explizite schriftliche oder mündliche geben würde, an der Haltung bei einem der Trainingsabende würde er eine positive oder negative Aufnahme erkennen können. Es vergingen ein paar Tage mit noch weniger Schlaf und in Hochspannung. Natürlich schaute er mindestens zweimal am Tag nach seinem Briefkasten. Seine Emotionen durchrasten von da ab eine andauernde Achterbahn, von der er schon bald fürchtete, demnächst einmal unsanft herausgeschleudert zu werden.

Madame kam schon damals nur unregelmäßig zum Training. Freitag war ihr bevorzugter Tag. Montag war von ihr also diesmal nichts zu sehen. Paul war fast erleichtert, so erschöpft war er von dieser dauernden Anspannung, dass er sich gar nicht in der Lage fühlte, eine Reaktion, wie auch immer geartet, entgegennehmen zu wollen. Fast eine ganze Woche später nur einige Stunden vor dem nächsten Trainingstermin war schließlich folgende Email im Postfach:

      Hi Paul,

      finde ich nett von dir, dass du nochmal versuchst, mich für den Triathlon zu begeistern.

      Prinzipiell würde ich das schon gern mal ausprobieren, aber es gibt einfach zu viele Gründe, die dagegen sprechen.

      Zum einen natürlich meine bereits geäußerte übermäßige Vorsicht was das Rad fahren anbetrifft - natürlich fahre ich gern Rad - nur eben nicht mit höheren Geschwindigkeiten und mit Zeitdruck im Nacken. Auch Laufen und Schwimmen müsste ich viel regelmäßiger trainieren, um mit meiner eigenen Leistung dann zufrieden sein zu können. Dazu fehlt mir aber leider die Zeit. Mit meinem verantwortungsvollen Job, zwei ganze, zwei halbe Tage, einer eigenen Vereins-Leistungsgruppe die ich zweimal pro Woche trainiere und die ich am Wochenende auf Wettkämpfe begleite, drei eigenen Kindern, die zwar schon größer sind aber trotzdem noch ihren Anteil fordern und auch aktiv im Verein sind - sprich auch hier Wettkämpfe und nicht immer dieselben wie für meine Trainingsgruppe, einem Haus mit Garten, einem Hund.......bleibt mir für mein eigenes Training zu wenig Zeit.

      Wenn ihr mal einen Engpass bei den Staffeln habt und wen fürs Schwimmen braucht, kannst du dich ja gern nochmal melden - wenn es zeitlich geht, springe ich gern mal ein.

      vielleicht sehen wir uns ja heute im Training,

      Liebe Grüße Thea

Wahrscheinlich hatte Paul diese Antwort bereits kurz nach Eintreffen gelesen und selbstverständlich war er am Abend diesmal sogar pünktlicher als üblich in der Trainingsstunde. Madame war auch bereits da, gerade etwas mit einer ihrer Trainerkolleginnen besprechend, am Fenster der Halle sitzend. Paul gesellt sich zu seinen sich am Spielfeldrand aufstellenden Teamkollegen mit dem Eindruck, alle schauen zu den beiden Trainerdamen, um irgendwie von dort den Startschuss zum Trainingsbeginn zu erhalten. Was dann passierte, war für Paul einfach überwältigend. Madame erhebt sich schließlich, läuft auf seine Gruppe zu, ihn nur ihn mit einem intensiven Blick bedenkend, nicht lächelnd, eher forschend, aber keineswegs unfreundlich. Er hatte das Gefühl leicht zu schwanken, brachte gerade noch ein ‚Hallo’ hervor.

Das Schwimmtraining bietet normalerweise nicht übermäßig viele Möglichkeiten zur Kommunikation. Nebeneinander schwimmen und sich unterhalten, wie es manche Damengrüppchen in öffentlichen Bädern pflegen, oder wie man es in einer Gruppe in einem größeren Gewässer tun würde, ist ausgeschlossen. Man schwimmt pro Bahn mit möglichst gleich starken Schwimmern im Kreis, um Staus oder Überholvorgänge zu vermeiden. Auch Pausen am Rand gestalten sich eher knapp zwischen zwei Serien – Schwimmer, im Trainingsprogramm den anderen leicht voraus oder nachkommend, brauchen ihren Platz zum Wenden. Gespräche reduzieren sich auf kurze Zurufe, nötigste Absprachen.

In deren Trainingsbecken gibt es eh nur vier Bahnen. Es gibt eine gewisse Staffelung, ganz links die schnelleren, ausdauernden, ganz rechts die eher ruhigeren, auch Neuankömmlinge mit besonderen Trainingswünschen. Anfangs schwamm Paul eine Zeit lang ganz links. Für die erste Bahn war er zu langsam für die zweite zu schnell, er wechselte gelegentlich. Auch sind die Teilnehmerzahlen immer unterschiedlich. Insgesamt hatte sich in den letzten Jahren aber in seiner Gruppe ein Wechsel zu einer mehr am sportlich konzentrierten Schwimmen als an der Kommunikation interessierten Teilnahme vollzogen.

An dem Abend schwamm Paul auf seiner mittlerweile üblichen zweiten Bahn, Madame nahm sich heute die vierte. Sie wechselte auch des Öfteren von der zweiten bis zur vierten, hat keine so klare Präferenz. Heute also hält sie Abstand. Man schwimmt bis zum Ende der Stunde, ganz kurze Small Talks mit Schwimmern auf derselben Bahn. Beckenräumung erfolgt sozusagen beim Glockenschlag, Männlein und Weiblein begeben sich in ihre jeweiligen Kabinen. Nach dem Umziehen gegen viertel vor elf möchte jeder meist nach einem mehr oder weniger langen Tag bald nach Hause, nach kurzer Verabschiedung verläuft man sich.

Paul hätte sich noch etwas mehr Resonanz von Madame gewünscht, aber nach der Begrüßung war er insgesamt doch so angenehm benebelt, dass er sich zunächst erst dieses Email noch mal genauer anschauen und über weitere Schritte nachdenken wollte. Bis auf Madames wöchentlichen Arbeitsumfang stand in dieser Email fast nichts, was er nicht schon gewusst hätte. Immerhin, es war eine recht ausführliche Antwort, und die Ablehnung seines Ansinnens war nicht absolut entschieden vorgebracht. Was wohl diese sechs Pünktchen nach der Aufzählung ihrer Verpflichtungen durch Job, Kinder, Haus, Hund und Garten bedeuten? Kann eigentlich nur noch der Hausherr gemeint sein. Da bei einem harmonischen Paar derartige Pflichten in der Regel zu den angenehmeren gehören, hätten statt der Pünktchen ruhig auch ein paar treffende Worte gefunden werden können.

Pauls Midlife Crisis / zeitlose Leiden des fast jungen W.  / Emotion und Verstand - Gleichklang oder GegensatzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt