Zwölf Stunden Schwimmen

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Zwölf Stunden Schwimmen

Um für den Bau eines neuen Bads zu werben, hatten zwei der jungen Trainer der Schwimmabteilung die Idee entwickelt, ein Zwölf- Stunden-Schwimmen am ersten Samstag nach Schulbeginn in seiner alten Schwimmhalle zu veranstalten. Bereits vor dem Beginn der Sommerferien wurde kräftig dafür geworben. Es war eine extra Webseite eingerichtet worden mit einem Formular für die online Anmeldung und einem Zähler, wie viele der hundert Startplätze noch zu vergeben waren. Paul fand die Idee super, hatte er doch schon zwei-, dreimal an einer ähnlichen Veranstaltung im Nachbarort teilgenommen, die dort zwar immer über vierundzwanzig Stunden lief, aber einen ähnlichen Charakter hatte, nämlich in der zur Verfügung stehenden Zeit eine möglichst lange Strecke zu schwimmen.

Paul meldete sich als einer der ersten und warb extra nochmal innerhalb seiner Trainingsgruppe für die Teilnahme und die Bildung eines Teams aus der Mitte der Gruppe.

Die Resonanz blieb wieder einmal aus. Paul verfolgte die Zahl der Meldungen bis eine Woche vor Veranstaltungsbeginn. Erst knapp die Hälfte der möglichen Teilnahmeplätze war bis dahin vergeben. Was seiner Ansicht auf der Veranstaltungswebseite noch fehlte, war eine Meldeliste so wie sie auch in der Regel bei Triathlon- oder Laufveranstaltungen üblich ist. Dort lässt sich sehen, wer von den Mitstreitern der Konkurrenz schon oder auch nicht dabei ist. Nachdem sich zum von ihm angeregten Gruppenteam keiner gemeldet hatte, wollte er gerne sehen, wer sich bereits gemeldet und zu welchen Teams zusammengetan hatte.

Also setzte er ein Email an die beiden Veranstalter auf, um nach einer Starterliste und nach der Zusammensetzung der Teams zu fragen. Fast postwendend hatte er dann auch eine Antwort in der Box, und am nächsten Tag gab es dann den Link auf die begehrte Meldeliste auf der Veranstaltungsseite. Fast alle der bis dahin zusammengekommenen siebzig Starter hatten sich zu irgendwelchen Teams zusammen getan, teilweise einfach aus den diversen Leistungsgruppen heraus, einige zu Familienteams oder zu sonstigen Teams. Paul stand mit seinem Gruppenteam ziemlich saublöd alleine da. Das gefiel ihm natürlich gar nicht. Da musste was unternommen werden.

Die Mitglieder aus seiner Trainingsgruppe, die sich gemeldet hatten, waren alle in eigenen, meist Familienteams gemeldet, übrigens auch Madame Tischler mit ihrem kompletten Nachwuchs. Trainingsgruppenmitglieder, die sich bis dahin noch nicht gemeldet hatten, brauchte er gar nicht erst fragen. Bei drei Aufforderungen ohne Resonanz bringt eine vierte auch nichts mehr.
Dafür dachte er an seine alten Kameraden aus seiner Triathlonsparte. Von den meisten hatte er fast drei Jahre lang nichts mehr gehört oder gesehen. Ein Versuch eines Rundmails sollte es wert sein. Er wollte die Ex-Kollegen mit der bei einem Badneubau gegebenen Aussicht auf eine neue Vergabe der Hallenplätze ködern. Nach so langer Zeit fast ohne Kontakt musste er sich ein bisschen Mühe geben, um den alten Geist zu beschwören. Immerhin erhielt er wenigstens ein paar kleine Reaktionen, allerdings war kurzfristig zum Ausdauerschwimmen keiner zu haben. So sollte er bei seiner Team-Bildung nicht so recht weiterkommen, musste sich also noch mal was Neues einfallen lassen. Er könnte sich einerseits ans Organisations-Team wenden oder auch versuchen, beim einzigen Kandidaten aus der Trainingsgruppe mit einem Nicht-Familienteam, dem Team „Old Generation“ unterzuschlüpfen.

Also machte er sich nochmals ans Werk schrieb einerseits das Organisations-Team, mit zwei Vorschlägen zur Teambildung und der Bitte um Unterstützung bei der Vermittlung an, ein fast gleich lautendes Email verschickte er an Bertold mit dem Wunsch, über eine Aufnahme in seinem Team nachzudenken.

Der Verein hat einen stark familiären Charakter. Viele Familien, oft mit mehreren Kindern, engagieren sich. Natürlich gibt es bestimmte Hierarchien. Eltern, aktive oder ehemalige Leistungsschwimmer, die Trainingsämter übernehmen, stehen selbstverständlich schon eine Stufe über normalen Mitgliedern. Wenn die Kids sich dann auch noch bei Meisterschaften hervortun, hat man sozusagen die ganz oben stehenden Hierarchen vor sich.

Nachdem er es nicht vermochte, auch nur eines seiner Familienmitglieder hier einzubinden, er inzwischen fast schon mit Abstand zur „Old Generation“ der aktiven Schwimmer gehöre, ist sein Rang offenbar eher am unteren Ende. Umso mehr nervte es ihn, mit seinem Ein-Mann Team einmal mehr als offenkundiger Außenseiter dazustehen. Daher sein großes Bestreben, diesem Umstand in letzter Minute abzuhelfen.

Es gingen also am Vorvortag der großen Veranstaltung noch eine ganze Reihe Emails hin und her zum Zweck, geeignete Teams zusammenzuführen. Die zwei Melder des „Cool Water“ –Teams, eine Mama mit ihrem Teenager Sohn, hatten Zustimmung signalisiert, somit hatte Paul endlich sein Team. Das Email von Bertold kam dann auch noch, was ihn wirklich belustigte. Der gab sich ziemlich emotionslos, was die Teambildung anbelangt, behauptete gar, selbst nicht zu wissen, wie er in sein Team gelangt war.

Am Samstag kurz nach Acht in der Früh war Paul recht pünktlich in der Eingangshalle zum Schwimmbad, wo sich schon eine ganze Reihe Teilnehmer versammelt hatten. Direkt neben der Türe vermutete er dann auch gleich zutreffend die Mama mit ihrem Sohn vom „Cool Water“ – Rumpfteam, und sie machten sich bekannt. Der Ex-Kamerad, den er fürs Teambuilding gewinnen wollte, hatte ihm in einem seiner letzten Emails mitgeteilt, dass sich die abgespaltene Truppe um eine Dame namens Elvira erweitert hatte, und - die Welt erweist sich einmal mehr als klein - genau diese Elvira und ihr Sohn sollten mit Paul zusammen das Team „Cool Water“ bilden, womit die drei natürlich gleich jede Menge Gesprächsstoff hatten.

Obendrein erwies sich Elvira als sehr liebenswürdig und ziemlich ehrgeizig, so dass sie sich immer wieder gegenseitig anspornen konnten, und Pauls Team unter den zwanzig Teams am Ende einen hervorragenden Platz im vorderen Viertel belegte. Alle Familienteams mit einer Ausnahme selbst „Old Generation“, das Team von Bertold, ließen sie hinter sich. Am Ende schmerzte Pauls Schulter, aber das war es wert. Paul saß bei der Siegerehrung eine Zeit lang am Tisch mit dem Gesamtsieger, der im selben Konzern wie er aktuell seit fast dreißig Jahren beschäftigt ist. So ein bisschen Netzwerken kann manchmal den Status etwas heben oder zumindest festigen.

Pauls Midlife Crisis / zeitlose Leiden des fast jungen W.  / Emotion und Verstand - Gleichklang oder GegensatzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt