Das Muster

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Das Muster

Die im letzten Email angedeutete Wiederholung und das Muster waren so ein Thema, das noch näher erläutert werden sollte. Wie schon gesagt, hatte er vor einigen Jahren einmal die Beratung der Nachbarin von Thea aufgesucht. Obwohl eine völlig andere Geschichte, gab es doch ein paar deutliche Parallelen zur aktuellen. Dass die beiden Damen außerdem direkt nebeneinander wohnen, ist schon eine sehr eigenartige Koinzidenz.

Pauls Frau Tani ging seit einem Jahrzehnt schon in diverse Fitnessklubs. Teilweise begann oder pflegte sie auch Kontakte zu den meist weiblichen Kursteilnehmern. Als Englisch-Muttersprachlerin hatte sie eine Zeit lang, gegen Ende wohl auch recht vertrauten, regelmäßigen Umgang mit Frau Würfler aus der Gamskogelstraße. Sie gingen zusammen zum Essen, oder mit Cäsar, dem Hund von Frau Würfler spazieren. Frau Würfler holte Tani gelegentlich bei ihr zu Hause ab, einmal war Paul zufällig in der Nähe und konnte gerade noch aus der Entfernung einen kurzen Blick auf das Pärchen werfen. Vorstellen wollte Tani ihn eher selten oder ungern ihren Bekannten oder Freundinnen. Dafür erzählte sie ihm umso lieber von ihren Gesprächen und schwärmte ihm in diesem Fall von dem kinderlosen Luxusleben der Frau Würfler vor. Zur Beschreibung der Vertrautheit der beiden Damen hat die gegenseitige Vorlage der jeweiligen Steuererklärung nur knapp gefehlt.

Einmal erzählte ihm Tani leicht verwundert, dass Frau Würfler nichts gegen eine Beziehung außer der Reihe hätte, so eine Art Rache gegenüber ihrem Mann, dem seine Ehe wohl auch nicht immer auf einen Partner bezogene Ausschließlichkeit bedeutet hatte. Von der tollen Figur von Frau Würfler hat ihm Tani übrigens auch noch vorgeschwärmt. Gelegentlich bekam sie irgendwelche abgelegten Kleidungsstücke von Frau Würfler, die muss Paul und Tani wohl für sehr bedürftig gehalten haben. In der Summe könnte man fast meinen, Tani wollte Paul mit Frau Würfler verkuppeln. Das allein hätte aber nicht ausgereicht. Noch ein weiterer Zufall war notwendig, um ihn aktiv werden zu lassen.

Die Wocheneinkäufe werden seit Jahren schon meist von Paul erledigt. Tani sind entweder die Taschen zu schwer oder das Gedränge zu groß, was Paul nie störte. Im Gegenteil, er liebt es, einzukaufen. Dinge, die er unbedingt brauche, zu einem möglichst günstigen Preis mit möglichst wenig Aufwand einzuholen, dabei Menschen zu beobachten, die es ähnlich halten. Gelegentlich hatte er einen oder beide seiner Jungs dabei. Als die noch klein waren sowieso, damit sie unterhalten und betreut waren.

Beim einem seiner Einkäufe im Supermarkt während dieser Zeit, er hatte seinen Kleinen dabei, fegt durch die Regale, behält nebenher den Bub im Auge, fällt ihm eine dunkelhaarige Dame auf, die ihn wohlwollend, interessiert, mehrfach Blickkontakt suchend, in seiner Manie verfolgt. Sehr beeindruckt von so viel ungewohnter Aufmerksamkeit meinte er, in der Dame Frau Würfler erkannt zu haben.

Eine ganz ähnliche Kaskade wie in der Episode mit Frau Tischler löste sich in ihm los. Wieder wollte, musste er etwas unternehmen. Wieder war er auf einen besonderen Einfall verfallen. Von Tani wusste Paul, dass Frau Würfler eine Ernährungsberatung betreibt. Was er auch wusste, war, dass der Mann von Frau Würfler zufällig an einem Marathon der benachbarten Großstadt teilgenommen hatte, an dem auch er sich versucht hatte. Er hatte den Herrn, übrigens ein sehr sympathischer Bursche, sogar kurz auf dem Heimweg in der S-Bahn gesehen und auch gleich angesprochen. Unter Läufern, insbesondere nach einem gemeinsam durchgestandenen Marathon, finden sich immer schnell Themen, über die man sich austauschen kann.

Paul griff also zum Telefon mit der Absicht, Frau Würfler dafür zu gewinnen, ihn in seiner späten Sportkarriere ernährungstechnisch zu beraten, um mit ihrer Hilfe noch ein paar spezielle Ziele erreichen zu können. Mit der von Frau Würfler bestätigten Annahme, dass sie ihren Mann doch sicher auch beraten hätte, willigte sie schließlich ein, wenn auch nicht restlos begeistert, da das Coaching von Sportlern nicht der Schwerpunkt ihrer Beratung sei.

Sie tauschten zunächst ein paar Emails mit allgemeinen Informationen aus und vereinbarten einen Besuchstermin. In der ersten Sekunde ihrer Begegnung erkannte Paul sofort schon aus der Entfernung seinen Irrtum. Die Dame aus dem Supermarkt war, trotz einer gewissen Ähnlichkeit, eine andere gewesen, und die hier schaute auch weit weniger freundlich drein, eher etwas unsicher aber geschäftsmäßig kühl. Trotzdem wurde es ein ganz interessantes Gespräch, kurz unterbrochen von der argwöhnischen Frage von Frau Würfler, ob Tani denn über seinen Besuch bei ihr Bescheid wüsste, und mit dann auch etwas unterschiedlichen Ansichten zum geplanten Thema. Frau Würfler meinte, Paul sei für seine Größe bereits zu leicht, wenn er noch mehr abnehmen würde, hätte er keine Kraft mehr. Als Ausdauersportler war Paul der Meinung, man könne in Wettkämpfen fast nie leicht genug sein, schließlich muss jedes zusätzliche Kilo in den oft über mehrere Stunden gehenden Veranstaltungen ins Ziel getragen werden. Einer seiner Triathlonkameraden meinte bei der Erwähnung des unverfänglichen Teils der Geschichte dazu noch: "Da hättest gleich aufstehen und wieder gehen sollen".

Auch die Frau Würfler verschonte Paul im Anschluss an dieses Beratungsgespräch per Email nicht mit der eigentlichen Motivation seiner Kontaktaufnahme, der Originaltext ist leider bei diversen Festplattencrashs verloren gegangen und bei der NSA nachfragen lohnt sich dafür jetzt auch nicht. Die Frau Würfler muss aber ziemlich schockiert gewesen sein, über ihn oder sich selbst, so dass sie nicht nur mit ihm, sondern auch mit Tani den Kontakt unmittelbar abbrach.

Paul beherzigte übrigens Frau Würflers Vorschläge zu seiner Ernährung, wurde zwar nicht schwerer, eher leichter, wahrscheinlich weniger wegen der speziellen Tipps, sondern wegen des davor schon aus dem Gleichgewicht geratenen Hormonspiegels. Die Wettkampfsaison wurde dann auch die erfolgreichste in seiner Laufbahn, er konnte in seiner Altersklasse zum Teil gegen bis zu 30 Konkurrenten eine ganze Reihe von kleinen und mittleren Triathlons gewinnen und war somit auch bei einem der Cups weit vorn dabei.

Paul hat seiner Frau übrigens bald die ganze Geschichte gebeichtet, was sich zwar vorübergehend eher intensivierend auf deren Eheleben auswirkte, letztendlich aber nach seiner Empfindung leider keinen wesentlichen, bleibenden, positiven Effekt hatte.

Pauls Midlife Crisis / zeitlose Leiden des fast jungen W.  / Emotion und Verstand - Gleichklang oder GegensatzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt