Beschluss

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Beschluss

Gekränkt fühlte er sich wirklich nicht. Er vertraute darauf, dass kein Vorsatz zur Kränkung bestand. Er wusste zwar aus eigener Erfahrung, dass Zahnärzte, berufsbedingt, natürlich nur um zu helfen, manchmal schmerzhafte Behandlungen, wie beim Ziehen der kranken Zähne, vornehmen müssen, also diesbezüglich eine gewisse Routine vorliegen könnte. Selbst die beste Narkose hilft da nicht immer, die Schmerzen kommen meist trotzdem, nur etwas verzögert.

Er war sicher geknickt und zerknirscht. Er war ins Bockshorn gejagt worden, hatte sich zu einer Dummheit hinreißen lassen, wie ein Vollidiot benommen und sich zum Deppen gemacht.

So ähnlich wollte er einerseits das auch noch mal bestätigen, und kommentieren. Andrerseits waren bei ihm in dieser ganzen Zeit derartig viele Gedanken ausgelöst, Prozesse angestoßen worden, durch welche er auf irgendeine Weise eine Veränderung, eine Verbesserung in seiner gesamten Lebenssituation herbeiführen wollte, die er zum Unterstreichen seiner Ernsthaftigkeit wenigstens andeuten wollte, diesmal im Betreff „рече́ние“, auf gut Deutsch Entscheidung, Beschluss

      Hallo Thea,

       

      Danke für die „Strafmilderung“. Das „Sie“ wollte ich auch nicht dauerhaft aufrechterhalten. Es gehörte zum Versuch mit dieser etwas übertriebenen Förmlichkeit, die Episode aus einer humorvollen Distanz zu sehen. Ich bin nicht gekränkt. Der Fehler lag schon ausschließlich bei mir. Signal oder nicht, meine Reaktion war völlig realitätsfern und in jedem Fall überzogen. Ähnliches „passierte“ nun zum zweiten Mal innerhalb der letzten fünf Jahre. Ich hoffe, die Dir bekannte Dame – Clausdorf ist kleines Dorf- hat diese ungebetene Attacke ebenso gut überstanden. Die Wiederholung hab ich gebraucht, um das Muster zu erkennen - der Lernprozess war bei meiner letzten Email noch im Gange. Jeder unsrer kleinen Familie hat mehr oder weniger große Gemütsprobleme. Bei der letzten professionellen Beratung hierzu äußerte ich, zwar kein leichtes Paket zu tragen, meistens aber mich doch ausreichend stark dazu zu fühlen,  manchmal aber auch einem gewaltigen Druck ausgesetzt zu sehen - und der sucht sich wohl gelegentlich ein Ventil in einer Art Realitätsflucht. Ich bräuchte Gesprächspartner zur gegenseitigen Stützung. Völlig unbeteiligte Wildfremde in einer gänzlich anderen Lage sind mit Sicherheit ungeeignet. Ich werde mir gezielt eine passende – die benachbarte Großstadt sollte hierfür ausreichen - Gruppe suchen.

                Gruß von Paul

Dieses Email hätte die ganze Geschichte nun wirklich abschließen können und hat es auch fast getan. Pauls vier Emails und die zwei Entgegnungen wurden zwar schon mit einigen Kommentaren wieder gegeben, tatsächlich zogen während dieser vier Wochen eine Unmenge verschiedenster Gedanken durch seinen Kopf, kamen Erinnerungen an alle möglichen Erlebnisse zurück, von Achterbahnemotionen hatte er bereits gesprochen. Immer wieder fragte er sich, warum und was genau ihm eigentlich passiert ist. Die angeführten Emails waren innerhalb weniger Wochen ausgetauscht worden. Paul hatte jetzt wieder eine ganze Menge Zeit sich zu sortieren, das Geschehene nochmal zu reflektieren, sich über sich und seine familiäre Situation im Klaren zu werden.

Pauls Midlife Crisis / zeitlose Leiden des fast jungen W.  / Emotion und Verstand - Gleichklang oder GegensatzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt