Kompetenz oder Anmaßung

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Kompetenz oder Anmaßung


Im Sommer gab es eine kleine Terminumstellung. Die Gruppe vor der von Paul wollte bei jetzt ausreichend warmen Temperaturen im Freibad schwimmen, also wurde die Halle früher frei. Mit einer Übergangsphase verlegte Pauls Gruppe also ihren Termin nach vorne, anfangs beließ man es aber auch überlappend noch bei dem späteren Termin, für von der Umstellung nicht rechtzeitig in Kenntnis Gesetzte. Effekt war, einige kamen früh, und hatten bald genug, andere kamen spät und waren fast alleine. Paul kam heute spät und so waren gerade nur ganze drei Schwimmer im Becken. Die etwas unglücklich, weil in ihrem, ähnlich Pauls, großen Bewegungsdrang gebremste, am Beckenrand stehende Nora war über den letzten Ankömmling auch nicht so ganz erfreut, würde dies doch für sie bedeuten, bis zum Ende ausharren zu müssen. Paul war auch noch besonders guter Laune, wollte Nora mit seiner Monoflosse noch ein wenig trazen, begrüßte sie also mit den Worten:
 „Hey das ist ja super, eine ganze Bahn für mich alleine, da kann ich ja gleich meine Flosse auspacken“.

Nora war der damalige Kompromissvorschlag zur Flossennutzung von Britta eher zu weit gegangen, das Teil muss ihr tatsächlich größtes Missbehagen verursacht haben, dass sie Paul in seiner Freude nicht ganz zustimmen wollte und meinte:

 „Da musst Du Dir erst noch eine Bahn freischaufeln“.

Also dass in einer Schwimmhalle mit vier Bahnen mit momentan drei Schwimmern noch eine ganze Bahn für einen vierten reichen sollte, schien Paul nun wirklich keiner Diskussion mehr zu bedürfen. Auch der promovierten Mathematikerin Nora gegenüber sollte klar sein, dass das Zählen-Können im einstelligen Zahlenbereich allgemein vorausgesetzt werden kann.

„Also bis drei kann ich schon noch zählen“

Entweder hatte Nora einen ganz schlechten Tag erwischt oder gehört schon wieder eher zu der Gruppe Zeitgenossen, die wenn überhaupt, dann nur über ihre eigenen Witze lachen können, auf gar keinen Fall aber über sich selbst. Das einzige, was ihr in dem Moment einfiel, war einmal mehr, auf die ihrer Meinung nach zustehende Autorität ihres Amtes zu pochen und Paul massive Konsequenzen anzudrohen:

„Also, ich schmeiß Dich gleich raus!“

Instinktiv meinte Paul, das könne wohl nicht so ganz richtig sein, ihn wegen unbotmäßiger Äußerungen aus dem Training auszuschließen. Nachdem, wie er später hörte, noch nicht einmal eine der größten Parteien der Bundespolitik, die Möglichkeit hat, aufgrund der hohen Hürden innerhalb des Vereinsrechts, ihre schärfsten Kritiker aus ihren Reihen auszuschließen, war er sich relativ sicher, dass Nora hier wohl ihre Kompetenzen überschreiten würde. Trotzdem wollte er bei Nora doch noch nachfragen, wie sie dies genau bewerkstelligen wolle, ihn rauszuschmeißen.

„Willst Du mich jetzt am Händchen packen und aus der Halle schleifen, oder wie hast Du Dir das in Detail vorgestellt?“

Nora schien sich darüber wohl selbst auch nicht so ganz im Klaren zu sein, und so entstand eine kleine Pause. Paul dachte mit einer gewissen Erleichterung an die neue Truppe, zu der er in weiser Voraussicht vorsorglich Kontakt aufgenommen hatte, und fragte sich einmal mehr, ob er sich das wirklich antun will, sich mit solchen Menschen wie Nora noch länger herumzuschlagen. Und um Nora weiteres Kopfzerbrechen über das Wie eines Rausschmisses zu ersparen, teilte er ihr mit:

 „Ach weißt Du was, ich möchte es nicht darauf ankommen lassen, mir ist so oder so gerade die Lust, hier heute mitzuschwimmen vergangen“,

und machte sich daran, seine Tasche aufzunehmen und den Ausgang anzusteuern. Entweder war Nora jetzt doch über ihre eigene Forschheit bestürzt, sie hatte tatsächlich etwas Mitgefühl mit dem extra zum Schwimmen angetreten Paul, oder sie wollte sich das Heft des Handelns nicht aus der Hand nehmen lassen.

„Jetzt bleib halt da!“

Die Mädels sind manchmal irritierend, dachte Paul, herumkommandieren wollte er sich von Nora aber auch nicht lassen.

„Ich nehme doch von Dir keine Befehle an.“ 

Aber eigentlich wäre er schon gern in dem schönen großen fast leeren Bad geschwommen und so beendete er den Disput mit der Entscheidung:

„Na ja, nur, um den anderen dreien Gesellschaft zu leisten, lasse ich mich nochmal breitschlagen“. Nora musste jetzt also ausharren, bis Paul und Emil, der letzte seiner Mischwimmer endlich auch genug hatten. Paul hatte seine Angriffsmütchen noch immer nicht ganz gekühlt und verabschiedete sich bei Nora zu Emils Vergnügen mit den Worten:

„Wollen wir das arme Mädchen endlich von ihrem traurigen Wartebänkchendasein erlösen“,

womit er sich bis auf weiteres wohl die Chancen einer dickeren Freundschaft mit Nora auch erst einmal verbaut hatte.

Mit der wärmeren Jahreszeit standen auch wieder die traditionellen Freiluftveranstaltungen an. Vielleicht schaue ich mir dieses Jahr wenigstens einmal das Kreissportfest an, überlegte Paul. Sicher gibt es dort einiges zu sehen, und seine Eindrücke davon könnten irgendwann erzählt werden.

Pauls Midlife Crisis / zeitlose Leiden des fast jungen W.  / Emotion und Verstand - Gleichklang oder GegensatzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt