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Anna

„Ja, das sind meine Eltern."
„Ist schon okay, nicht weinen.", sie wischte mir vorsichtig die Träne von meiner Wange.
„Tut mir Leid, ich will nicht weinen.", ich nahm einen tiefen Atemzug und probierte wieder zurück zu der Arbeit kehren.
„Entschuldige dich niemals für deine Gefühle. Es ist okay zu weinen.", sie legte ihre Hände auf meine Wangen und hob mein Gesicht, damit ich sie ansah. Ich musste meine Tränen jetzt noch mehr zurückhalten und ich wusste, wenn ich jetzt noch ein Wort sage würde, würde ich komplett zusammenbrechen. Der Kloß in meinem Hals machte mir es sowieso nicht möglich zu reden.
„Wir machen jetzt eine Pause, okay? Wenn du mit mir reden willst, höre ich dir immer zu und werde dich nicht verurteilen, egal was du mir erzählst.", die aufmunterden Worte, die sie mit ihrer sanften Engelsstimme sprach, beruhigten mich. Ich wollte immer nur meine Gefühle vor jedem verstecken, denn in dem Ort, indem ich aufgewachsen bin, war für Gefühle kein Platz. Eine Lektion habe ich in meinem Block gelernt: Weinst du, bist du schwach. Vertraust du jemanden, wirst du verarscht. Liebst du, wirst du verletzt. Freust du dich, wirst du am Ende soweiso nur enttäuscht.
Doch Leyla konnte ich vertrauen. Ich wusste, sie würde mich niemals verletzten, denn ihr Herz war viel zu groß um jemanden Schaden zuzufügen. Eins wurde mir klar in diesem Moment: Ich muss Leyla vor dieser grässlichen Welt beschützen und ihr nur die Schönheit des Universums zeigen. Denn ihr großes Herz wird es nicht verkraften, gebrochen zu werden. Und ihre wunderschönen Augen düfen niemals den Glanz verlieren.
„Danke für alles!", ich küsste sie zärtlich und wollte ihr meine ganze Liebe schenken.
Sie war so nah bei mir, dass ich ihren Herzschlag spürte. Sie lag auf mir, umhüllt von meinen Armen. So erfüllt fühlte ich mich noch nie zuvor in meinem Leben. Nach Jahren der Kälte und Betäubtheit, fühlte ich endlich wieder etwas.
„Ich liebe dich.", flüsterte ich ihr in das Ohr mit Tränen in den Augen. Verdammt, wieso war ich so emotional geworden.
„Ich dich auch.", ihre weichen Hände glitten unter mein schwarzes Shirt und massierten meine Brüste. Bei jeder ihrer Berührungen gab ich ein leichtes Stöhnen von mir. Ich wollte nichts anderes als sie.
Als wir in meinem Bett lagen, hörte ich plötzlich eine Tür zuschlagen und schreckte auf.
„Anna!", meine Mutter platzte in das kleine Zimmer herein.
Ich zog mein Shirt schnell runter und schupste Leyla von mir weg.
„Ich hab dir gesagt, wenn du noch einmal ein Mädchen mit nach Hause nimmst, kommst du in die Hölle!", ihr Gesicht lief in dem gleichen Rotton ihrer Augen an.
„Wegen Leyla gehe ich gerne in die Hölle.", Leyla saß sprachlos neben mir im Bett.
„Raus hier, sofort!", sie schrie so laut, dass die Nachbarn uns hören mussten.
„Ich will keine Lesben hier in meiner Wohnung!"
„Willst du mich verarschen?", ich stand wütend auf und stach mit meinen Fingernägeln vor lauter Wut in meine Hand, „Wohin soll ich denn?"
„Du hast die Wahl.", die Röte in ihrem Gesicht verblasste langsam.
„Entweder du gehst mit mir zu einem Arzt, der deine Krankheit therapiert oder du haust jetzt sofort ab und kommst nie wieder zurück." Leyla lief nervös im Zimmer auf und ab und wusste eindeutig nicht was tun.
„Dein scheiß Arzt kannst du dir in den Arsch stecken. Ich lebe zehntausend Mal lieber auf der Straße, als mit dir in einer Wohnung!", nach einem Wimpernschalg spürte ich die flache Hand meiner Mutter auf meiner Wange, die kurz danach wie die Hölle brannte. Am liebsten hätte ich zurückgeschlagen, doch ich schupste sie auf die Wand und lief aus meinem Zimmer.
„Ich habe schon immer gesagt, dass du wie das Monstrum, das sich dein Vater nennt, bist.", schrie sie mir hinterher.
Ich lief direkt hinaus, die Treppen runter und ohne Ziel in der Gegend herum. Ich konnte mit meiner Wut nicht umgehen, deswegen lief ich einfach weg von hier. Alles wurde mir zu viel und ich brach auf dem Boden zusammen. Die Erinnerungen füllten mein Kopf und meiner farbenfrohen Welt wurde wieder einmal die Farben entzogen und es schien alles dumpf und betrübt.

Die rosarote StadtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt