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Anna

Die Sonnenstrahlen, welche mein Gesicht trafen, weckten mich. Noch einige Minuten blieb ich in der Position verharrt. Die Sonne schien mir Kraft zu geben. Mein Gesicht erhitzte sich, somit wurden meine blassen Backen ein bisschen rot. Ich suchte mein Handy, welches wohl unter den Sitz gerutscht ist. Neben einer leeren Trinkflasche hob ich es auf und als mein Blick den Display traf, bemerkte ich die sieben verpassten Anrufe von meiner Freundin. Mittlerweile war es schon zwölf Uhr Mittags und mein Magen knurrte. Mein Körper signalisierte mir zwar, dass er Essen brauchen würde, doch ich hatte keinen Appetit. Schon alleine der Gedanke an Essen, ließ eine unerträgliche Übelkeit in mir aufkommen. Immer noch verschlafen kurbelte ich das Fenster runter und ließ frische Meeresluft in den stickigen Wagen hinein.
Der Geruch erinnerte mich an Leyla. Alles erinnerte mich an sie. Es gab keinen Moment, in dem ich nicht an das schönste Mädchen des Universums denken konnte. Plötzlich wurde mir klar, dass sie sich vielleicht Sorgen um mich machen könnte, deshalb beschloss ich ihre Nummer einzugeben und sie anzurufen.
Nicht einmal fünf Sekunden läutete es, bis sie meinen Anruf annahm.
„Wo bist du?", sie klang aufgewühlt.
„Verdammt, ich mache mir Sorgen!", ich merkte an ihrer Stimme, dass sie kurz vor dem weinen war oder sogar schon seit einigen Minuten weinte.
„Ich habe dich überall gesucht. Seit Stunden durchsuchen wir schon den Wald, neben dem Park. Ich dachte du wärst hier.", ich überlegte, wer „wir" sind, doch fragte nicht nach.
„Ich komm zu dir.", es tat mir unglaublich Leid sie so zu hören. Nachdem ich auflegte fuhr ich zu meinem Mädchen und betrachtete die Geschwindigkeitsbegrenzung nicht im geringsten. Ich hatte Bauchschmerzen und wäre jetzt am liebsten auf die Seite gefahren und hätte die schöne Gegend betrachtet. Bedauerlicherweise musste ich wieder gut machen, was ich vermasselt habe.
Eigentlich hätte ich mir denken können, dass Leyla sich Sorgen machen wird. Nachdem mich ihr Mutter rausgeworfen hatte, hätte ich auf sie warten sollen und mit ihr reden sollen. Meine Gefühle gehen manchmal mit mir durch und bringen mich dazu dumme Sachen anzustellen, ohne darüber nachzudenken.
Wegen ihren Eltern war ich wirklich verzweifelt. Verdammt wohin soll ich denn gehen, wenn mich niemand will? Ich hatte das Gefühl keinen Platz in dieser Welt zu haben. Nirgendwo dazugehören und für immer alleine zu sein.
Ich erkannte nicht, dass Leyla einen Platz für mich hatte. Sie war immer da für mich. Doch nun habe ich auch unsere Beziehung zerstört. Alles was in meine Hände gelang zerbrach. Ich konnte nicht auf Dinge aufpassen. Fasse ich Dinge an, verlieren sie sofort ihre Schönheit. Ich verderbe sie. Ich verderbe Leyla. Ein schlechter Einfluss für sie bin ich, mehr nicht.
Ich fühlte mich extrem schuldig. Durch den Tränenschleier konnte ich das Tachometer so oder so nicht mehr sehen und drückte auf das Gaspedal.
An allen Autos raste ich vorbei. Es kam mir so vor, als würde alles stehenbleiben und ich wäre die einzige Person, die sich bewegt. Auch wenn ich spürte, wie es mich in meinen Sitz hineindrückt, bremste ich nicht. Ich wollte die Fluchtgeschwindigkeit erreichen. Es klang schön, von dieser Welt abzuheben und für immer im Universum zu schweben. Ich musste nur schnell genug sein, um den Anziehungsbereich der Erde zu verlassen. Ich würde nie wieder zurück auf die Erde kommen und somit für immer im dunklen und kalten Universum verweilen, doch dies ist schöner als hier.
Elf komma zwei Kilometer pro Sekunde müsste ich erreichen. All zu unrealistisch klang das für mich nicht. Wenn man bedenkt, dass wir auf einem schwebenden Stein leben in einem Universum voller anderer „toter" Planeten, war mein Plan der Realität nicht zu fern.
Aus meinem Wahn oder besser gesagt meinem hypnotischen Zustand zerrte mich das unangenehme Geräusch von Sirenen. Mit einem Blick in den Rückspiegel konnte ich das blaue blinkende Licht erkennen. Während ich mein Auto immer langsamer rollen ließ, stellte ich mir die Frage, wie lange die Polizei schon hinter mir herfuhr. In meinem schnellen Auto vergaß ich meine Umgebung. Wie sollte ich denn schon die Umgebung beachten, wenn alles ineinander verschmilzt und das einzige klare Objekt mein Lenkrad ist?
Ich hatte das Bedürfnis ein Wettrennen mit der Polizei zu machen, doch mein Verstand drängte mich dazu rechts ran zu fahren.
Das Fenster kurbelte ich runter, als der Polizist an meiner Scheibe klopfte.
„Führerschein und Fahrzeugpapiere, bitte.", ich kramte in dem Handschuhfach herum und hoffte, meinen Führerschein zu finden.
„Sie sind knapp hundert km/h schneller gefahren, als das Tempolimit.", er lehnte sich gegen mein Auto.
„Warum haben Sie es denn so eilig?", der Polizist war noch recht jung anhand seines jugendlichen Gesichts.
„Ich muss zu meiner Freundin.", zum Glück fand ich meinen Führerschein. Ich reichte ihm diesen und überlegte mir eine Ausrede.
„Meine Freundin ist schwanger. Sie liegt im Krankenhaus und ich will sie wirklich bei ihrer Geburt unterstützen. Sie liegt dort ganz alleine.", er hebte seinen Blick von dem Führerschein und schaute kritisch zu mir.
„Bitte einmal hineinblasen.", er reichte mir den Alkoholtester.
„Es sollte doch keine Frau eine Geburt alleine durchstehen müssen.", ich nahm meinen Führerschein wieder und legte ihn auf den Beifahrersitz.
„Fahren sie.", überrascht schaute ich den blauäugigen Mann an.
„Los, bevor ich es mir anders überlege.", dies ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich startete das Auto und fuhr los.
Ich fühlte mich zwar schlecht, den Polizisten angelogen zu haben, doch ich musste Leyla sehen. Sofort.

Die rosarote StadtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt