Anna
„In meiner Gegend stach sich früher jeder gegenseitig Tattoos. Ich bin gespannt wie diese jetzt aussehen.", ich packte die Nadel aus und hielt sie unter die Flamme meines Feuerzeugs. Ich desinfizierte alles, inklusive Leylas Unterarm, auf dem das Tattoo später sein sollte. Mit einem dünnen Stift zeichnete ich das Tattoo auf und fragte sie, ob es okay aussieht. Das Haus bestand eigentlich nur aus sechs Strichen und war nicht besonders aufwendig zu stechen.
„Bist du bereit?", fragte ich und bemerkte in ihrem Gesichtsausdruck, wie nervös sie ist.
„Es tut nicht weh, versprochen.", daraufhin zog ich meine Handschuhe an und setzte auf ihrer Haut an.
„Denk an etwas schönes.", befahl ich ihr, als ich mit der Nadel in die Tinte eintauchte und daraufhin in ihre Haut stach.
„Also an dich.", sie grinste mich an und mein Herz wurde warm. Am liebsten hätte ich sie jetzt geküsst, doch ich musste mich konzentrieren und die Linie treffen. Ich wollte nämlich, dass das Tattoo ein Kunstwerk wird und nicht etwas, was sie später bereuen wird.
„Macht es dir etwas aus, wenn du mir auch etwas stichst?", fragte ich, als ich schon fast fertig war. Zuerst zögerte sie, doch dann konnte ich sie überreden sich auf meiner Haut zu verewigen.
Im Anschluss saßen wir im Auto und betrachteten unsere Tattoos. Das Haus auf ihrem Unterarm ist wirklich gut geworden. Ich war stolz auf mich es so gut hingekriegt zu haben. Ihr schien es auch zu gefallen. Mein Tattoo, welches ebenfalls auf meinem Arm war, sah etwas verkrüppelt aus, doch ich liebte es trotzdem. Dieses schiefes Haus wird nun für immer meinen Arm schmücken. Es bestand nicht aus einer konstanten Linie, wie ihr Tattoo, sondern eher aus einzelnen Punkten, die irgendwie ein verwackeltes Haus darstellen.
„Warm das Haus?", ich klebte ein Pflaster auf ihren Unterarm und strich mit meinen Fingern über ihre Haut.
„Ein Zuhause. Es lässt mich nie vergessen wohin mein Herz gehört, nämlich nach Hause.", sie schaltete das Radio lauter und wippte auf dem Beifahrersitz herum.
„Schön.", ich betrachtete mein Arm nochmal, „Mein Zuhause bist du, deshalb bist du ab nun an verewigt auf meinem Arm.
Wir fuhren durch die Gegend und genossen die Musik.
„Anna, was ist wirklich passiert in deiner Vergangenheit?", ihre Worte veränderten die Stimmung in diesem Auto sofort. Ich redete ungerne über das Thema, vorallem mit ihr.
„Du kannst mir vertrauen. Ich werde dich nicht verurteilen.", ich hielt nach einem Parkplatz ausschau.
„Mir ist es egal, wer du in deiner Vergangenheit warst, denn alles was zählt ist jetzt.", ich fuhr auf die Seite und hielt das Auto an, denn ich wollte nicht während der Fahrt über dieses Thema reden.
„Mir ging es schlecht. Ich wusste nicht mehr weiter in meinem Leben.", ich nahm einen tiefen Atemzug, denn die Worte, welche ich sagen werde, raubten mir die Luft, „Ich wollte nicht mehr leben, ich wollte sterben.", ich dachte mir nicht, dass es so unglaublich schwer war, ihr die Warheit zu sagen, „Ich dachte, ich hätte nichts mehr zu verlieren. In meiner Stadt kam man ziemlich gut an Drogen, wie Heroin, Kokain, Amphetamine, Benzodiazepine, man kam an fast alles. Da ich schon am Ende war, dachte ich mir: „Scheiß drauf." und schluckte jeden Tag Pillen, zog mir Dreck die Nase hoch und rauchte sehr viel. Anfangs halfen mir die Drogen sehr mit dieser ganzen Scheiße klarzukommen. Ich dachte, ich könnte ab jetzt jeden Tag high sein, denn ich fühlte mich glücklich und frei. Endlich fand ich diese Geborgenheit und Liebe, die mir jahrelang fehlte.", sie nahm meine Hand in ihre, als eine Träne den Weg aus meinen Augen fand, „Du kannst dir eh schon denken, wie das endete. Es kann nämlich nie gut enden, wenn ein fünfzehn-jähriges Mädchen sich jeden Tag so wegdrückt, dass es gar nichts mehr vom Leben mitbekommt.", plötzlich fühlte ich mich dreckig, aber gleichzeitig auch ein Stück leichter.
„Das tut mir wirklich Leid!", ich merkte, dass sie nicht wusste, was sie sagen sollte.
„Ist schon okay.", auf meinen Lippen bildete sich ein falsches Lächeln.
„Komm her.", sie breitete ihre Arme aus und schlug sie daraufhin eng um meinen Körper.
„Ich werde ab jetzt auf dich aufpassen.", flüsterte sie mir in mein Ohr.
„Du bist ja auch mein Engel, Liebes.", ich strich mit meinen Fingern über ihren Rücken und zeichnete darauf sinnlos Figuren.
„Das war die Zeit, als mein Vater in das Gefängnis kam wegen Drogenhandel und meine Mutter sich gehen hat lassen. In dieser Zeit verbrachte ich teilweise Nächte auf der Straße.", fuhr ich fort, nachdem wir unsere Umarmung gelöst hatten, „An einem Abend lernte ich Mark kennen. Ich war ziemlich betrunken und übergab mich in einem Busch am Straßenrand. Er fragte mich, ob alles okay sei und ab diesem Zeitpunkt half er mir.", der Gedanke an ihn gab mir Hoffnung. Ich spürte Hoffnung, dass dort draußen doch noch gute Leute existieren und es immer jemand gibt, dem man nicht egal ist. Als er zu mir kam, dachte ich mir, ich wäre jedem egal und niemand würde es interessieren, ob ich verrecke. Es fühlte sich gut an, jemanden zu treffen der sich kümmert.

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Die rosarote Stadt
RomanceImmer wenn Anna mit Leyla zusammen ist, verwandelt sich die sonst so graue Stadt in eine rosarote Metropole. Leyla will alles über Anna erfahren, doch diese hält ihre Geheimnisse tief verschlossen. Zwischen Sonnenuntergängen und Graffittis wollen b...