Leyla
Nervös wartete ich auf dem Parkplatz neben dem Park auf Anna. Ich hielt Ausschau nach ihrem Auto, doch konnte es nirgendwo sehen. Langsam wurde es kalt und ich begann zu zittern.
„Willst du eine Decke?", ich schaute zu Herr Grüner und nickte.
Er öffnete daraufhin seinen Kofferaum und holte aus diesem eine dunkelblaue Decke. Wir saßen nebeneinandern in dem Kofferaum und warteten.
„Warum wurde Anna eigentlich von ihrer Mutter aus ihrer Wohnung geschmissen?", hackte er nochmal nach.
Ich überlegte, ob ich ihm die Warheit sagen sollte und entschied mich dazu ihn nicht anzulügen.
Ich erzählte ihm, dass Anna meine Freundin ist und ihre homophobe Mutter und zusammen gesehen hat. Er verstand nicht wie jemand im einundzwanzigsten Jahrhundert immer noch so eine eingeschränkte Denkweise haben kann.
„Für Anna muss es bestimmt ziemlich schwer sein. Ich wuchs auch in einer homophoben und rassistischen Familie auf. Als ich auszog verlor ich den Kontakt mit meiner gesamten Familie.", er faltete seine Hände zusammen, „Wenn mein Vater mich mit einem Jungen gesehen hätte, wäre er, ohne Spaß, mit dem Gürtel gekommen.", er lachte zwar, doch dieses Thema war überhaupt nicht zum Lachen. Es war traurig. Als er mir das erzählte, ging er wahrscheinlich davon aus, dass Anna mir erzählt hat, er würde auf Männer stehen.
„Das ist krass.", es war schon komisch, dass ich mit meinem Lehrer alleine so viel Zeit verbrachte, doch es tat gut mit einem anderem Erwachsenen zu reden, als mit meinen Eltern.
„Warum kennen Sie Anna eigentlich so gut?", fragte ich und lenkte von dem Thema ab.
„Sie hatte Probleme und ich half ihr damals. Bei dieser Geschichte mit ihrem Vater konnte ich sie einfach nicht alleine lassen und musste ihr schon fast helfen.", ich fragte mich was wirklich mit ihrem Vater passiert ist, doch ich fragte nicht weiter nach.
„Sie wird es dir schon von selber erzählen. Weißt du, Anna braucht Zeit um sich zu öffnen. Du tust ihr aber unglaublich gut. Sie braucht dich.", überrascht schaute ich zu ihm hoch. Ein kleines Lächeln zeigte sich in meinem Gesicht. Als ich wieder auf den leeren Parkplatz starrte, leuchteten mich helle Scheinwerfer an. Annas Auto stand vor uns. Plötzlich sprang ich auf, legte die Decke in den Kofferaum und lief zu Anna. Sie stieg aus der Tür aus und hielt mich fest in den Armen.
„Ich dachte, du hättest dir etwas angetan.", es tat gut sie wieder in meiner Nähe zu haben.
„Mach das nie wieder.", ich löste mich von ihr und bemerkte ihr müdes Gesicht, anhand den dunklen Augenringen.
„Es tut mir so Leid.", Tränen bildeten sich in ihren Augen, die noch dünkler und düsterer wirkten, als sonst. Schon bald flossen die Tränen ihre Wange hinunter und tropften auf den Kiesboden.
„Ich muss mich entschuldigen.", ich trat wieder ein Schritt näher zu ihr, „Meine Mutter ist so blöd!"
Ihr Atem war unregelmäßig und unruhig, als wäre sie gerade einen Marathon gelaufen. Mit jedem Atemzug flossen mehr Tränen ihre Wange herunter.
„Du hast mir versprochen, du machst keine Dummheiten mehr.", bemerkte Herr Grüner, welcher einige Meter hinter uns in dem Kofferaum saß.
Anna konnte nichts sagen. Sie weinte so sehr, dass es ihr die Kehle zuschnürte. So hatte ich sie noch nie gesehen und wusste absolut nicht, was ich nun machen sollte. Sie schien immer so unglaublich stark. Von ihrer Stärke und Kälte fehlte in diesem Moment jede Spur.
„Setz dich erst einmal.", Herr Grüner bot ihr den Platz im Kofferaum an. Daraufhin setzte sie sich und ich stand nur blöd daneben.
„Verdammt, was soll ich denn jetzt hin?", fragte sie nachdem sie sich beruhigte.
„Ich kann mit meiner Mutter noch einmal versuchen zu reden.", ich stampfte mit meinem Fuß nervös in dem Kies herum.
„Es tut mir Leid, aber ich will nicht bei jemandem wohnen, wenn ich gar nicht willkommen bin.", sie verschränkte ihre Arme.
„Es sieht so aus, als würde mein Auto nun mein neues Zuhause werden.", fügte sie hinzu.
„Das geht so nicht.", bemerkte Herr Grüner nach langem Schweigen.
„Ich hab sonst noch ein Gästezimmer frei und dort kannst du bleiben, bis du etwas neues gefunden hast.", hoffnungsvoll wendete Anna ihren Blick von mir ab und schaute zu Herr Grüner.
„Ich bleibe sowieso nur noch bis zu meinem Schulabschluss.", im Endeffekt nahm sie Gott sei Dank das Angebot an. Das hieß, ich konnte sie in Ruhe gehen lassen.
„Ich liebe dich und bitte pass besser auf dich auf.", mit einem Kuss verabschiedete ich mich von Anna. Ihre Lippen schmeckten salzig von den Tränen.
Ich bedanke mich noch bei Herr Grüner und nahm die nächste Bahn nach Hause.
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Die rosarote Stadt
Roman d'amourImmer wenn Anna mit Leyla zusammen ist, verwandelt sich die sonst so graue Stadt in eine rosarote Metropole. Leyla will alles über Anna erfahren, doch diese hält ihre Geheimnisse tief verschlossen. Zwischen Sonnenuntergängen und Graffittis wollen b...