Teil 23

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Sophie:

Yacine hat offenbar mitbekommen, was sich hier vor dem Kiosk abspielt und eilt nun in unsere Richtung. Als er neben mir steht, schaut er mit einem grimmigen Blick auf die drei Idioten, die mich bedrängt haben, hinab. Diese wirken zunächst etwas eingeschüchtert und rücken ein Stück von mir ab. Doch sie gehen nicht wirklich weg, sondern fangen an, mich zu beleidigen.

Als einer sich Yacine zuwendet und ihm zuwirft: "Sag nicht, die alte Schlampe da gehört zu dir!", reisst sein Geduldsfaden, und er holt aus und knallt dem Typen eine schallende Ohrfeige ins Gesicht. Dieser kann sich nur noch knapp auf den Beinen halten und hält sich seine Backe, auf der man die Fingerabdrücke einzeln zählen kann. Als er sich jedoch wieder umdreht, traue ich meinen Augen nicht, denn er hat ein Messer gezückt.
Kalte Angst schleicht sich meinen Nacken hinauf. Langsam geht er mit dem erhobenen Messer auf Yacine zu. Dieser scheint meine Angst nicht zu teilen, sondern wird nur noch wütender, geht einen Schritt auf den andern zu und knurrt: "Wag es nur nicht, mich mit dem Messer anzugreifen."
Ich will Yacine aus der Gefahrenzone fort ziehen, doch bevor ich dazu komme, geht alles ganz schnell: Der Angreifer schnellt mit dem Messer nach vorne, Yacine ist jedoch schneller und schlägt ihm das Messer mit dem Bein aus der Hand, die von seinem Fuss einen kräftigen Schlag abbekommt, so dass der Angegriffene laut aufjault. Sein Kollege will ihm zu Hilfe eilen und beginnt, mit den Fäusten auf Yacine einzuschlagen. Dieser ist jedoch unbeeindruckt, packt ihn am Arm und dreht ihn so auf den Rücken, dass er sich nicht mehr bewegen kann. Dabei schaut er den dritten Typen mit einem derart drohenden Blick an, dass dieser die Hände hebt und auf Abstand geht.

Ich habe mir inzwischen das Messer, das auf den Boden gefallen ist, aufgehoben, so dass es nicht mehr in falsche Hände geraten kann. Die Situation scheint unter Kontrolle.

Ich habe ganz zittrige Knie und schaue hinüber zu Yacine. Er hat von dem Messer einen blutenden Schnitt an seinem linken Bein, scheint aber ansonsten unverletzt. Mit einem entschuldigenden Lächeln und zerzausten Haaren schaut er mich an. Er scheint wieder ganz gelassen zu sein.

Um uns herum hat sich eine Gruppe von Schaulustigen eingefunden, und in diesem Moment erscheinen auch zwei Polizisten. Die drei Kerle können wegen der dicht gedrängten Leute um uns herum nicht mehr entkommen.

Yacine erzählt den zwei Ordnungshütern ruhig und gelassen, was passiert ist. Dazwischen stellen diese mir ein paar Fragen, die ich ergänzend beantworte. Als sie unsere Personalien aufnehmen, strahlt der eine über das ganze Gesicht und fragt: "Sie sind also der Volleyballer, der in der Profi-Liga spielt?" Stolz antwortet Yacine: "Genau, der bin ich." "Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir ein Autogramm zu geben? Wissen Sie, meine Frau und ich schauen häufig die Spiele im Fernsehen an." Yacine meint lässig: "Klar, wenn Sie mir etwas zum Schreiben haben?" Der Polizist sucht seine Taschen ab, findet aber nur einen Kugelschreiber, und mangels einer Alternative, reicht er ihm einen Strafzettel. Grinsend nimmt ihn Yacine entgegen und schreibt mit seiner grosszügigen Schrift darauf: "Mit einem herzlichen Dank für die schnelle und professionelle Hilfe" und unterschreibt mit seinem Namen.

Der Polizist nimmt das Autogramm dankend entgegen und meint: "Von uns aus können Sie jetzt gehen, wir haben ja Ihre Personalien, falls wir noch Fragen haben. Alles Gute, und lassen Sie Ihr Bein versorgen, nicht dass es Sie beim Spielen noch beeinträchtigt!" Yacine legt seinen Arm um meine Schultern und ruft beim Weggehen: "Mache ich, danke, gehe noch heute zu meiner Ärztin. Ihnen auch alles Gute!"

Die Unruhestifter sind in Gewahrsam genommen, die Menschenmenge löst sich allmählich wieder auf und Yacine fragt mich: "Hast du immer noch Hunger?" "Danke, nein, mir ist der Appetit grad etwas vergangen", bemerke ich. Er schaut mich etwas besorgt an und sagt: "Na gut, ich hole mir schnell einen Burger dort drüben", und fügt verschmitzt hinzu: "Aber nicht, dass du mir wieder solche Sachen machst, während ich weg bin."

Kurz darauf steigen wir in den Zug Richtung Süden und fahren schweigend die zwei Stunden bis zu unserer Endstation. Dort hat Yacine seinen Tesla X eingestellt, mit dem wir nochmals gut Dreiviertelstunden weiter fahren, bis wir bei seinem Chalet ankommen.


Yacine:

Sophie wirkt sehr blass, als wir aus dem Tesla aussteigen und unser Gepäck aus dem Kofferraum holen. Ich schaue sie prüfend an, und sie erwidert meinen Blick mit einem gequälten Lächeln. Ich schliesse die Türe auf und nehme ihr die Tasche ab.

Sie tritt in den Eingangsbereich, schaut sich um und meint: "Wow, du hast es ja wunder, wunderschön hier." Etwas stolz entgegne ich: "Ja, ich hatte über ein Jahr, bis ich alles so eingerichtet habe, wie es mir gefällt. Zwar etwas rustikal und im Chaletstil, aber grosszügig und modern interpretiert." "Hier könnte ich glaub grad unbegrenzt bleiben", meint Sophie. "Komm doch rein in den Wohnraum, ich bringe schnell das Gepäck nach oben", fordere ich sie auf.

Als ich zurückkomme, steht sie mitten im Raum, hat die Arme um ihren Oberkörper geschlungen und zittert leicht am ganzen Körper. Schnell bin ich bei ihr und drücke sie fest an mich. "Hey, Sophie, was ist denn plötzlich los mit dir?" frage ich sie. "Ich weiss auch nicht, ich glaube, die ganze Szene heute hat mich doch etwas mitgenommen", antwortet sie schwach. 

Dr. Sophie Marchand und Yacine VincentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt