Yacine:
Heute hat mich schon den ganzen Tag die Vorstellung beschäftigt, dass ich Sophie heute gehen lassen muss. Ich habe den Gedanken, so weit es ging, verdrängt. Doch jetzt lässt er sich nicht mehr verscheuchen. Obwohl ich am liebsten einfach losheulen würde, möchte ich Sophie nicht zeigen, wie es um meine Gefühle steht und reisse mich zusammen. Ich nehme ihre Hand, und wir schlendern durch die Bahnhofstrasse und schauen uns die Geschäfte an. Und wieder fühlt sich alles so perfekt an. So perfekt, wenn nur dieser Abschied nicht wäre. Doch irgendwann kehren wir zurück zum Gleis, auf dem Sophies Zug schon wartet. Ich fühle mich so verloren, dass ich kaum mitbekomme, was vor sich geht. Sophie stellt ihre Tasche auf den Boden, atmet einmal tief ein und begegnet mir mit einem aufmunternden Lächeln. Mich jetzt noch zusammenzureissen, bringt mich an die Grenze meiner Selbstkontrolle.
"So, Yacine, hier müssen wir uns wohl lebewohl sagen", meint sie und schliesst mich in die Arme. Wie automatisch lege ich meine Arme um sie und konzentriere mich darauf, meine Tränen zurückzuhalten. Sophie flüstert: "Ich danke dir ganz herzlich für alles, ich werde dich vermissen." Ich kann nur mit gepresster Stimme entgegnen: "Gern geschehen, ich werde dich auch vermissen - merde, et comment je le vais." Sie haucht mir einen Kuss auf die Stirn, greift zu ihren Taschen und steigt in den Zug.
Während der Zug sich langsam in Bewegung setzt, winke ich ihr zu, bis ich beide nicht mehr sehen kann.
Dann stehe ich da, total leer. Ich kann mich nicht bewegen und habe keine Ahnung, wie lange ich so da gestanden habe. Irgendwann bahnen sich die Tränen ihren Weg nach draussen, und ich beginne zu schluchzen, erst leicht, dann mehr und immer mehr, bis ich mich auf eine Bank setze und das Gefühl habe, nie mehr aufhören zu können.
Sophie:
Oh Mann, wie haben mir die Tage in den Bergen gut getan, ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so unbeschwert gewesen bin. Umso trauriger war der Abschied, auch wenn ich das Yacine gegenüber nicht zeigen wollte, ich glaube, er hatte selber schon genug zu kämpfen damit. Aber er hat sich gut gehalten, vielleicht ist es ihm ja doch nicht so schwer gefallen, wie ich befürchtet habe.
Als ich zu Hause ankomme, packe ich schnell meine Tasche aus, mache mir etwas Brot und Käse bereit und kuschle mich mit meinem Pad auf die Couch.
Ich lese zuerst die lokale Online-Zeitung und wechsle dann zur Sportausgabe der Zeitung aus der Region, in der Yacine spielt. Die App habe ich mir mal herunter geladen, und schon zwei, drei Artikel über sein Team gefunden.Doch diesmal staune ich nicht schlecht, als ich im Panorama-Teil ein Bild von Yacine sehe, der einsam und verlassen tränenüberströmt auf einer Bahnhofbank sitzt. Das Bild trägt die Überschrift: "Wer oder was macht unseren Volleyballstar denn so traurig?" Und im Text darunter lese ich, wie ein Leserreporter erzählt: "Zufällig war ich gleichzeitig auf dem Bahnhof und habe Yacine tränenüberströmt auf dieser Bank gesehen. Ich hätte ihn zuerst fast nicht erkannt. Und als ich eine Stunde später noch einmal vorbeigegangen bin, sass er immer noch da." Zudem wurden einige Vermutungen angestellt, was wohl der Grund für seinen Zustand sein könnte.
Ich las den Text wieder und wieder durch und machte mir, je länger, je mehr, grosse Vorwürfe. Wenn ich gewusst hätte, wie schwer ihm der Abschied fallen würde, hätte ich seine Einladung in die Berge nie angenommen, hätte ihn nie in diese Situation gebracht.
Ich nehme das Handy zur Hand, kopiere den Link und schreibe ihm dazu: "Yacine, es tut mir ja so leid..."
Postwendend kommt die Antwort: "...dann komm zurück zu mir!!! ;-) !!!"Ich lege das Handy zur Seite, denn ich weiss, dass ich Yacine nicht geben kann und nicht geben darf, was er sich wünscht und beschliesse schweren Herzens, in nächster Zeit mehr auf Abstand zu ihm zu gehen.
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Dr. Sophie Marchand und Yacine Vincent
RomanceDie Ärztin Sophie Marchand trifft eines Tages auf den jungen Yacine, der ihr irgendwie bekannt vorkommt. Was sie jedoch nicht ahnt: Yacines bewegte Vergangenheit wird auch ihr Leben in der nächsten Zeit gewaltig auf den Kopf stellen.