Teil 40

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Sophie:

Während der nächsten paar Tage habe ich Mühe, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren, immer wieder kehren meine Gedanken zu Yacine zurück. Was er wohl auf dem Herzen hat? Endlich ist es Dienstagabend, und ich setze mich in den Zug. Ich muss nur einmal umsteigen und bin etwa zweieinhalb Stunden unterwegs, bis mich Yacine auf dem Bahnhof abholt. Er kommt mir strahlend entgegen, nimmt mich in den Arm und drückt mich so fest, dass ich fast keine Luft mehr bekomme. "Hey, Yacine, nicht so stürmisch, ich kann ja nicht mehr atmen", lache ich.
Darauf hält er inne, hebt mich hoch und wirbelt mich einmal um die eigene Achse. Dabei meint er: "Ach, Sophie, ich bin ja so froh, dass du da bist."

Wir gehen zum Parkplatz, Yacine, der mit seiner Baskenmütze hinreissend aussieht, nimmt mir meine Tasche ab, stellt sie in den Kofferraum und schwingt seine langen Beine lässig hinter den Fahrersitz des grossen Autos.

Auf der Fahrt zu seinem Haus plaudern wir locker über dies und das. Als wir an unserem Ziel ankommen, trägt Yacine meine Tasche nach oben, und als ich ins Wohnzimmer trete, sehe ich, wie er den Tisch schön gedeckt hat. "Wow, Yacine, das sieht denn toll aus", staune ich. "Und es riecht so lecker, mir läuft ja grad das Wasser im Mund zusammen."
"Schön, wenn du Hunger mitbringst, ich habe eine knusprige Entenbrust an Orangenschnitzen mit Country Cuts im Backofen." Yacine zündet die Kerzen, die er extra aufgestellt hat, an, und wir lassen uns das feine Essen schmecken.

Als wir fertig sind, setzen wir uns mit einer Tasser Kaffee aufs Sofa. Yacine schaut mich lange an, und ich gebe ihm die Zeit, die er braucht.
Schliesslich beginnt er zu erzählen: "Sophie, du kannst dich doch erinnern, dass ich Pauline bei euch zu Hause getroffen habe, als sie euch die Pläne für eure Praxis vorbeigebracht hat." "Hmm, ja, eine sympathische junge Frau", stimme ich zu. 
"Ja, das ist sie in der Tat." Nach einer Pause fährt er fort: "Wir haben angefangen uns zu schreiben und haben uns dann auch ein paarmal getroffen." Etwas verlegen fügt er hinzu: "Und, naja, du weisst schon, wir haben..." Als Yacine abbricht, meine ich: "Hey, Yacine, du brauchst dich doch nicht zu entschuldigen, ihr seid beide junge Leute, das ist doch voll in Ordnung. Wo liegt denn das Problem?" Yacine schaut mir in die Augen und meint: "Nun ja, das Problem liegt darin, dass Pauline nun schwanger ist."

Das kommt jetzt doch etwas überraschend für mich, und meine ganze Antwort besteht zunächst aus einem "Oh." In meinem Kopf drehen die Gedanken Purzelbäume, und als ich sie einigermassen wieder geordnet habe, frage ich ihn: "Wie weit ist denn die Schwangerschaft schon?"
Yacine antwortet: "Das ist es ja eben, sie hat anfangs noch Blutungen gehabt, und zudem hat sie ihre Tage wohl häufig etwas unregelmässig. Ausserdem war ihr nie schlecht, so dass sie erst im vierten Monat überhaupt gemerkt hat, dass sie ein Kind erwartet."

"Seid ihr denn immer noch ein Paar?" frage ich ihn. "Das ist das andere Problem, das sind wir eben eigentlich nicht mehr. Wir haben nach einigen Monaten uns im Guten wieder getrennt und befunden, es sei besser, wenn jeder seines eigenen Weges geht... tja, und einige Wochen darauf hat sie mich dann angerufen mit der Neuigkeit."
Ich überlege laut: "Medizinisch ist es nicht ganz einfach, die Schwangerschaft jetzt noch abzubrechen." Er stimmt mir zu: "Ja, das haben wir auch schon mit dem Gynäkologen besprochen. Er meint, wir müssten uns sehr bald entscheiden, ob wir es behalten wollen."

"Und, habt ihr schon eine Idee, wie es weiter gehen könnte?" frage ich ihn. Er meint: "Wir haben uns schon ausführlich unterhalten, und wir tendieren dazu, das Kind zu behalten, aber trotzdem die Partnerschaft nicht fortzuführen." "Hmm", sage ich, "das freut mich, dass ihr euch für das Kind entscheidet. Möchtet ihr es denn selber betreuen, oder ist auch eine Adoption eine Option für euch?"
Yacine macht ein besorgtes Gesicht: "Für Pauline ist es das in der Tat, aber ich tue mich extrem schwer mit diesem Gedanken. Genau genommen, bekomme ich Panik, wenn ich mir das vorstelle. Andererseits bin ich im Sport noch voll eingebunden und habe jetzt auch mit dem Musikstudium begonnen. Und Pauline hat ihren Job, der sie voll und ganz ausfüllt."

Ich lasse mir die ganze Situation durch den Kopf gehen.

Dr. Sophie Marchand und Yacine VincentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt