Teil 25

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Yacine:

Sophie schaut mich mit grossen Augen an. Ich nehme sie spontan in die Arme und trage sie in mein Zimmer. Als ich sie auf das Bett lege, setzt sie sich gleich auf und sagt: "Yacine, lass uns miteinander reden." "Oh je", stelle ich fest, "wenn du so beginnst, tönt das schon fast wie ein Nein."

Sophie schaut mich an und beginnt: "Höre mir zu Yacine, ich mag dich unheimlich gut, du bist so ein toller, liebenswerter Mensch..." Ich unterbreche sie: "Warum nur möchte ich genau das jetzt nicht hören?" Doch sie fährt unbeirrt weiter: "Und du bist der attraktivste Mann, der mir je über den Weg gelaufen ist. Und trotzdem kann ich nicht mit dir schlafen, sogar aus zwei Gründen nicht."

Ich bin enttäuscht und traurig. Trotzdem möchte ich natürlich wissen, welches diese Gründe sind.

Sophie zögert recht lange, bevor sie beginnt: "Nun, das ist jetzt nicht einfach für mich, über dieses Thema zu reden." "Hey, ermuntere ich sie, "du weisst, du kannst mir alles sagen." Sie legt ihre Hand auf mein Bein und fährt fort: "Wie du vielleicht weisst, war ich bis vor ein paar Jahren verheiratet." "Ja, das ist mir bekannt", bestätige ich ihr. "Nun, wir haben uns in den letzten Jahren unserer Ehe auseinander gelebt. Was auch dazu beigetragen hat..." sie macht eine Pause und ich warte, bis sie weiter spricht. "Hmm, weisst du, ich konnte ihm sexuell nicht das geben, was er gebraucht hätte." "Inwiefern denn nicht?", will ich leise wissen.

Wieder macht sie eine Pause, bevor sie sich räuspert und fort fährt: "Nun, ich leide unter Vaginismus, das heisst, dass sich die Muskulatur der Scheide zusammenzieht, sobald etwas in sie eingeführt wird. Es kann so schlimm sein, dass Geschlechtsverkehr nicht möglich ist. Bei mir ist es nicht ganz so schlimm, aber ich habe beim Sex jeweils mehr oder weniger starke Schmerzen... anfänglich habe ich das ihm zu liebe ausgehalten, und als wir noch regelmässig Geschlechtsverkehr hatten, ging es auch ein bisschen besser. Mit der Zeit ist das dann weniger geworden, und irgendwann war ich auch nicht mehr bereit dazu."

"War das denn der Trennungsgrund?" frage ich sie. "Na ja, zuerst haben wir eine Zeit lang eine platonische Beziehung weiter geführt, doch es kam, wie es kommen musste, und er hat sich nach gut einem Jahr wieder verliebt in eine andere Frau." "Das tut mir leid", flüstere ich. "Die Trennung war nicht so schlimm, wie gesagt, hatten wir uns schon länger auseinander gelebt. Wir sind freundschaftlich auseinander gegangen." "Es war sicher auch einfacher, dass ihr keine Kinder hattet", werfe ich ein. "Da hast du recht, da war ich in diesem Moment echt froh." "War das denn nie ein Thema für euch?" interessiere ich mich. "Doch, anfänglich schon, aber wir hatten beide unsere Karrieren und haben das Thema immer weiter hinausgeschoben... bis es dann aufgrund der Umstände eh keines mehr war."

Schweigend sitzen wir beide nebeneinander auf dem Bett, immer noch nur mit unseren Duschtüchern bekleidet. Ich fahre leicht mit meiner Hand über Sophies Oberschenkel und bemerke, wie sie Gänsehaut bekommt." Ich frage sie: "Wie ist das denn für dich, wie stellst du dir deine Zukunft vor, vermisst du denn die Sexulität nicht in deinem Leben? Ich meine, sie besteht ja schliesslich aus mehr als einfach der Penetration, es gehören ja auch Dinge wie Sinnlichkeit, Körperkontakt, Zärtlichkeit, Berührungen dazu, man kann Höhepunkte auch ohne Geschlechtsverkehr erleben?"

Sophie überlegt einige Zeit und meint dann: "Ja, da hast du recht, und all das vermisse ich manchmal auch, sehr sogar. Vielleicht treffe ich ja mal jemanden, der das bereit ist mit mir zu teilen, ich meine, ohne den eigentlichen Geschlechtsverkehr."
Ich lasse mir das alles durch den Kopf gehen, während ich sie im Arm halte, und sage dann: "Sophie, du weisst, ich empfinde sehr viel für dich, und ich wäre auch bereit, so, wie du es gerade beschrieben hast, mit dir zusammen zu sein. Es gibt so unendlich viele Möglichkeiten, sich sexuell zu begegnen, dass man auch ohne Penetration erfüllend zusammenleben kann." Sophie entgegnet: "Aber Yacine, du bist noch so jung, du wirst mehr vom Leben erwarten, nicht zuletzt solltest du auch eine Familie und Kinder haben." Ich lächle leicht und frage sie: "Möchtest du das mich nicht selber entscheiden lassen?" Darauf weiss sie so spontan nichts zu erwidern.

Nach einiger Zeit kommt mir in den Sinn: "Aber du hast noch von einem zweiten Grund gesprochen, der dagegen spricht, dass wir miteinander schlafen?"

Sophie:

Ich schaue Yacine an und überlege, wie ich das am besten sagen soll. "Ja, dieser Grund liegt bei dir", beginne ich, und Yacine schaut mich fragend an. "Yacine, du weisst, dass der Freitod deiner Mutter für dich ein einschneidendes Erlebnis war. Du warst mit deiner ganzen Trauer ziemlich alleine und hattest nie die Chance, das Erlebte wirklich zu verarbeiten. Du hattest ein paar lose Kontakte, wo du hingehen konntest, wenn es dir nicht gut ging. Einer davon war ich. Leider habe ich das damals auch zu wenig gemerkt, dass du in mir mehr gesehen hast, als nur deine Ärztin, du hast in mir offenbar auch Teile oder Ähnlichkeiten zu deiner Mutter gesehen." Ich schaue Yacine an und suche in seinem Gesicht eine Reaktion, eine Zustimmung oder Ablehnung. Aber er bleibt ganz ruhig und fragt: "Meinst du?" Ich nicke nur, und es entsteht eine Pause, in der er mich an sich drückt und ich die Wärme seines Körpers geniesse.

Nach einiger Zeit erzählt er: "Ich kann mich nur erinnern, als ich in die Pubertät kam, und auf dem Sportgymnasium war, habe ich mich oft sehr alleine gefühlt. Ich habe mich nicht so sehr zu den Mädchen hingezogen gefühlt, sondern habe mir immer wieder vorgestellt, wie ich mit dir eine Beziehung führe. Ich habe mich damals richtig verliebt in dich." "Hmm", vermute ich, "vielleicht eher in das Bild, das du dir von mir gemacht hast." Er entgegnet: "Es war damals für mich jedenfalls viel mehr als einfach ein Bild, es war mein innigster Wunsch."

Ich erwidere: "Es war dein innigster Wunsch, deine Mutter zurückzubekommen. Du hast sie sehr vermisst, und ich wage zu behaupten, dass du das noch immer tust." Er schaut mich lange an, und ich sehe, wie er tief atmet und seine Augen langsam feucht werden. Er legt seinen Kopf an meine Schulter und sagt: "Mais pourquoi, Sophie, pourquoi, explique moi, je ne le comprend pas, je ne le vais jamais comprendre."

Ich fahre ihm leicht übers Haar und sage: "Ich weiss, Yacine, ich weiss. Ich verstehe es auch nicht." "Warum hat sie mich verlassen, warum hat sie das getan? Ich habe doch gemerkt, dass es ihr nicht gut ging in dieser Zeit, und ich habe alles getan, um ihr nicht noch mehr Sorgen zu bereiten. Ich dachte, wenn ich sie nur ganz fest liebe, dann verlässt sie uns nicht. Aber, Sophie, ich habe es nicht geschafft, es hat nicht gereicht, ich habe sie nicht retten können... ich habe versagt, ich hätte noch viel mehr tun sollen." Die Tränen fliessen ihm jetzt in Strömen über die Wangen.

Ich schlinge meine Arme um ihn und halte ihn fest. "Schscht, Yacine, du hast alles richtig gemacht", tröste ich ihn. Lange warten wir so, bis ganz langsam seine Tränen versiegen. Wir haben uns inzwischen hingelegt und die Decke über uns gezogen. Yacine atmet jetzt tief und regelmässig, ich liege hinter ihm und kann nicht sagen, ob er schläft, einfach döst oder sogar wach ist. 

Dr. Sophie Marchand und Yacine VincentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt