Teil 27

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Sophie:

Die nächsten Tage geniessen wir in vollen Zügen, schlafen am Morgen lange, geniessen einen reichhaltigen Brunch und bewegen uns viel an der frischen Luft, sei es auf den Skiern oder bei ausgiebigen Spaziergängen durch die verschneite Landschaft. Wir entspannen uns bei Sauna und Dampfbad, und am Abend gehen wir jeweils auswärts essen.

Auf dem grosszügigen Balkon mit Blick aufs Bergmassiv hat Yacine eine grosse Schaukel aufgestellt, in der man bequem zu zweit drin liegen kann. Und sie hat sogar einen Motor, der einen sanft hin und her bewegt.
An diesem Nachmittag hat Yacine links und rechts neben der Schaukel je eine Finnenkerze angezündet, und wir haben uns neben einem grossen Schlafsack zwei Wolldecken geholt, die uns wärmen. Ich habe mich schon darin eingekuschelt, als Yacine auf den Balkon tritt. Erst nach einiger Zeit bemerke ich, dass er mich schon seit längerem betrachtet.
Ich winke ihn heran, und er schlüpft geschmeidig in den geräumigen Schlafsack und zieht die warmen Decken über uns. Er legt den Arm um mich, und ich bette meinen Kopf an seine breite Schulter. So liegen wir lange in der Schaukel und brauchen keine Worte um uns zu verstehen. Von mir aus hätte die Zeit jetzt einfach still stehen können.

Yacine:

Die Tage im Ferienhaus vergehen wie im Flug, und es ist bereits Freitag, als wir während eines Stadtbummels durch die nächstgelegene Kleinstadt auf ein Plakat stossen, das ein Snow-Volleyball-Turnier ankündigt. Es findet am Samstag statt, und der Anmeldeschluss ist einen Tag vorher, also heute.
Ich schaue Sophie an und frage sie: "Du spielst doch auch Volleyball, hättest du Lust, mit mir das Turnier zu spielen?" Sophie lacht geradeheraus und meint: "Hahaha, wenn das, was du machst, sich Volleyballspielen nennt, habe ich keine Ahnung, wie man dem sagt, was ich mache... vielleicht Ball über die Schnur für Dummies oder so!"
"Hey, stell doch dein Licht nicht so unter den Scheffel, ich würde auf jeden Fall sehr gern mit dir spielen", versuche ich sie zu überzeugen.
Sie schaut mich belustigt an und meint: "Also, wenn du mit mir spielen möchtest, an mir liegt es sicher nicht, das Angebot abzulehnen." "Prima", stimme ich ihr zu, nehme das Handy zur Hand und rufe die Nummer auf dem Plakat an. Tatsächlich ist noch ein Platz frei, und ich melde uns als Mixed-Team "Jung und jünger" für das Snow-Volley-Turnier an.

Wir schlendern etwas weiter und schauen uns die Schaufenster mit den exklusiven Kleidern drin an. Eines ist besonders schön beleuchtet, und es sind nur einige Wollpullover darin ausgestellt. Einer ist aus Kaschmir, einer ein Gemisch aus Wolle und Seide und ein dritter, ein einfacher rehbrauner feiner Pullover, ist mit Vikunja-Wolle angeschrieben. Sophie staunt nicht schlecht, als sie diesen Pullover sieht und stösst einen überraschten Laut aus. Ich schaue sie fragend an.
Sie erklärt mir: "Es gibt ein Garn, das noch viel wertvoller ist als Seide oder Kaschmir oder alles, was wir kennen, und das ist die Wolle des Vikunjas." "Das hab ich gar nicht gewusst, sind das nicht die kleinen Kamele aus Südamerika?" frage ich sie. "Ja", bestätigt sie, "aus ihnen sind wahrscheinlich die domestizierten Alpakas hervorgegangen. Vikunjas sind aber allesamt wild lebend. Sie werden nur zweimal im Jahr geschoren, und von der feinen Unterwolle ihres Fells gewinnt man nur wenige Gramm pro Tier. Deshalb ist die Wolle auch so teuer."
Ich staune: "Wow, woher weisst du das alles?" "Ach, ich weiss es gar nicht mehr so genau, ich stricke sehr gern und habe mal über verschiedene Wollarten recherchiert." Ich möchte wissen: "Wie viel kostet denn so ein Pullover wohl?" Sophie wiegt den Kopf hin und her und schätzt: "Ich vermute, dass der Preis so zwischen zwei- und dreitausend Euro liegt."

Ich stosse einen leisen Pfiff aus, das hätte ich nicht gedacht. Sophie lacht und meint: "Wenn ICH im Lotto gewinnen würde, würde ich mir einen Vikunja-Pullover kaufen. Oder - noch besser - ich würde mir selber einen stricken." "Ach, man kann auch einfach die Wolle kaufen", staune ich. "Ja, das kannst du, du zahlst einfach etwa 200 Euro für einen kleinen Fünfundzwanzig-Gramm-Knäuel", erklärt sie mir. "Da darfst du dich dann aber nicht verstricken", werfe ich ein. Sophie meint: "Nein, das solltest du in der Tat nicht."

Sophie:

Für den heutigen Samstag müssen wir ausnahmsweise den Wecker stellen, weil das technical Meeting unseres Turniers bereits um halb zehn ist, und wir müssen vorher noch etwa zwanzig Minuten mit dem Auto dorthin fahren. Wir haben unsere Langlaufkleider angezogen, und an den Füssen weiche Schuhe mit einer Gummisohle. Handschuhe und Mütze sind natürlich auch dabei.

Ich bin etwas aufgeregt, aber Yacine beruhigt mich: "Hey, wir spielen einfach ganz chillig unsere Spiele, es ist völlig egal, wenn wir mal verlieren." "Hast du dir eigentlich mal überlegt, dass du wegen der Verletzungsgefahr nicht unbedingt spielen solltest?" frage ich ihn. "Ja, habe ich mir, und ich habe mich entschieden, dass ich gern spielen möchte, einfach locker vom Hocker, ich werde keine Löcher in den Boden schlagen." Sie stimmt mir zu: "Das ist sicher die richtige Einstellung."

Als wir auf dem Gelände ankommen, sind schon viele Teams da und wärmen sich auf. Unser erstes Spiel beginnt in einer Stunde, so dass wir noch etwas Zeit haben, uns umzuschauen. Unser Altersdurchschnitt ist etwa gleich wie der der andern Teams, was heisst, dass Yacine zu den jüngeren und ich zu den älteren Spielern zählen. Die ersten Spiele laufen schon, und das Niveau ist ganz ansprechend.
Wir joggen ein paar Runden um die Felder und beginnen, mit einem Beachball uns einzuspielen. Wir sind beide noch etwas ungelenk, was Yacine jedoch nicht daran hindert, alle meine ungenauen Zuspiele perfekt zu kompensieren. Ich sage ihm: "Wenn du weiterhin so genau spielst, werde ich nie richtig warm." Er lacht und meint: "Spar du deine Energie nur für nachher." Da muss ich ihm recht geben.

Wir werden aufgerufen, begrüssen unsere Gegner und können noch ein paar Bälle auf dem Feld einschlagen. Da ich mit meinen kalten Fingern eh noch kein Obenzuspiel zustande bringe, passe ich mit Manchetten und staune, wie hoch ich diese für Yacine spielen muss. Er hat nach zwei, drei Bällen schon herausgefunden, wie ich die Zuspiele gern habe, und so gelingen mir ein paar ansprechende Shots.

Dann kommt der Moment der Wahrheit, und wir stellen uns auf dem Feld auf. Unsere Gegner haben den Service gewonnen, und die Gegenspielerin spielt natürlich gleich mich an. Auf meine mässig geglückte Annahme bekomme ich jedoch einen perfekten Pass, so dass ich mit einem Lineshot den ersten Punkt hole. Yacine strahlt über das ganze Gesicht.
Er serviert ausschliesslich auf den Mann des gegnerischen Teams, nicht sehr hart, doch dieser braucht trotzdem drei Anläufe für das Sideout. Es ist ein spannendes Spiel, unsere Gegner servieren beide fast ausschliesslich auf mich, aber ich mache mit einem variantenreichen Shotspiel und zwei, drei harten Schläge die meisten der Punkte. Yacine witzelt schon: "Nicht schlecht, da möchte ich nachher gern deine Angriffsstatistik sehen." Ich verdrehe nur die Augen.

Das Spiel macht auf jeden Fall richtig Spass. Wenn Yacine mal zum Angreifen kommt, spielt er ebenfalls fast ausschliesslich Shots, und wenn er mal smasht, dann sind es lockere, platzierte Schläge. In der Verteidigung ist er jedoch blitzschnell und deckt deutlich mehr als nur seine Feldhälfte ab. Wir gewinnen das Spiel in zwei Sätzen und bedanken uns bei den Gegnern.

Auch unsere nächsten Spiele verlaufen ähnlich, ich komme viel zum Angreifen, weil Yacine nur schon wegen seiner Grösse erst gar nicht angespielt wird. Unter den vielen Kleidern und der Mütze erkennt niemand den Profispieler, und weil er sich zurücknimmt, kommt auch niemand auf den Gedanken, dass da einer der weltbesten Spieler auf dem Feld steht.

Nur in einem Spiel, es geht um den Einzug in den Halbfinal, haben wir überehrgeizige Gegner. Sie spielen mit dem Service, aber auch mit dem Angriff fast ausschliesslich über mich, und das Spiel ist ein Kopf- an Kopfrennen. Einmal schlägt der gegnerische Mann den Ball sehr scharf genau auf meiner Kopfhöhe, und ich kann nur noch die Hände vor das Gesicht halten, dass ich den Ball nicht direkt in meinem Gesicht habe.
Yacine regt sich dermassen darüber auf, dass er mir zuflüstert: "Lass mich den nächsten Ball annehmen und gib mir dann einen hohen Pass." Somit deckt er für die Annahme das ganze Feld ab, und ich gebe mir besonders Mühe, den Ball schön hoch und etwa einen Meter vom Netz entfernt aufzuspielen. Das einzige Mal nimmt Yacine richtig Anlauf, schraubt sich trotz des Schneeuntergrundes in die Höhe und knallt den Ball mit voller Wucht ganz präzise dem Gegner vor die Füsse. Dieser versteht die Welt nicht mehr und flucht: "Verdammt, pass doch auf, du hättest mich auch abschiessen können." Locker entgegnet Yacine: "Nein, im Gegensatz zu dir kann ich schlagen UND zielen."
Im weiteren Verlauf des Spiels versuchen die beiden aggressiver zu spielen und mich noch mehr anzuspielen, doch Yacine kompensiert mich einfach ein wenig mehr als vorher, so dass wir das Spiel dann doch noch klar gewinnen. Die Gegner geben sich geschlagen und gratulieren uns: "Wo hast du so Volleyballspielen gelernt? Hast du vielleicht mal höher gespielt?" Yacine winkt ab: "Ach, mit der richtigen Partnerin geht das ganz leicht." Ich schmunzle, und der Typ denkt wohl, Yacine sei nicht ganz richtig im Kopf. 

Dr. Sophie Marchand und Yacine VincentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt