Ohne ein Wort zu verlieren studierten wir nun genauer die Speisekarten und gaben kurze Zeit später die Bestellung bei unserem Kellner auf.
„Cartia, dein Vater hat erzählt, dass du dich wieder dem Cheerleaderteam deiner Schule angeschlossen hast. Stimmt das?" Meine Tante umfasste den schmalen Stiel ihres Weinglases mit den schlanken Fingern und ließ mit kleinen, kreisenden Bewegungen die dunkle Flüssigkeit immer wieder an den Rand hochsteigen.
„Ja, das stimmt", erwiderte ich schlicht. Ich wusste nicht, was sie von mir erwartete und warum sie ihre Frage so klingen ließ, als zweifle sie an der Richtigkeit der Aussage meines Vaters.
„Aber hoffentlich als Top Girl, oder? Was anderes käme wirklich nicht in Frage, Cartia. Einfach nur mitzuschwimmen. Das musst du dir nicht antun." Ich biss mir von innen auf die Wange. In diesem Moment verachtete ich die Tatsache, dass sie mit ihrer Hoffnung rechtbehielt.
Für sie waren alle anderen im Team nichts wert. Insgesamt hielt sie nichts von Teamsport, war eher eine Einzelkämpferin und wollte sich nicht auf andere verlassen. In den Grundzügen ihrer Ansichten erkannte ich mich wieder, aberin beim Cheerleading liebte ich genau die Tatsache, dass man als Mannschaft auftreten musste, wenn man bestehen wollte.
Der Verlust oder Gewinn eines Titels hing von der gesamten Formation ab und jeder versuchte den anderen auf dessen Höchstform zu puschen. Egal welche Position er innehatte.
Ein schwaches Nicken war meine Antwort auf ihre Frage. Im letzten Jahr hatte ich einiges dafür gegeben, auf die Pyramiden zu dürfen und nicht nur zu jenen aufzusehen, die gehoben wurden. Aber es war mir nie darum gegangen, dass ich mich dadurch in den Mittelpunkt stellen und die anderen in meinen Schatten schieben konnte.
Einzig allein das Gefühl, die Leidenschaft und das Adrenalin in meinen Adern, das durch Würfe oder die einzelnen Stunts entstand, hatte mich auf meine Position pochen lassen. Gleich zu Beginn meines ersten Trainings hatte unser Coach uns klargemacht, dass eine Pyramide nicht zustande kommen könnte, wenn es niemanden gab, der sich als Base zur Verfügung stellte. Nur, weil man sie in manchen Teilen nicht gleich erkannte wie den Flyer, der alle Blicke auf sich zog, waren sie nicht weniger wichtig. Im Gegenteil. Das eine baute auf das andere auf.
„Sehr gut, wenigstens das." Zufrieden nippte sie an ihrem trockenen Rotwein, ehe ihr Blick zu Lennox glitt, der schweigend neben mir auf seinem Platz saß und ebenfalls ab und an einen Schluck von seinem Bier nahm.
„Und du? Was ist mit dir? Bist du auch Teileiner Mannschaft?"
Sie hatte eine Augenbraue gehoben und die Stirn in Falten gelegt. Die Finger trommelten auf dem unteren Teil ihres Glases.
Lennox' Blick streifte jeden der Anwesenden, ehe er sich auf die Fragestellerin konzentrieren. Er richtete sich auf und lehnte sich ein wenig nach vorne, um meine Tante ansehen zu können.
„Ja. Ich bin Teil des Schwimmteams, im zweiten Jahr." Das Gesicht meiner Tante hellte sich ein wenig auf und verriet mir, dass es eine der Antworten war, die sie sich erhofft hatte.
„Ein Schwimmer, sehr interessant." Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich daran festgehalten, dass etwas Lob und Achtung in ihrer Stimme mitschwang. Über die Jahre hatte ich es aufgegeben zu erkennen, was nur vorgespielt, und was wahre Emotion war. Zu oft hatte ich mich früher geirrt und selbst in Erklärungsnot gebracht.
„Was liegt dir am meisten? Gibt es eine ähnliche Rangordnung bei euch wie bei Cartia? Ich kann mir vorstellen, dass du eine hohe Position haben musst, wenn du schon im zweiten Jahr dabei bist."
„Das Kraulschwimmen." Lennox' Antwort folgte nur wenige Sekunden auf die Frage meiner Tante und sie war so ehrlich, dass es nicht von der Hand zu weisen war. Die Lockerheit, die noch bei der ersten Frage Besitz von ihm ergriffen hatte, wurde jäh unterbrochen, als er sich die Antwort auf die zweite Frage zurechtlegte. Noch während die Sekunden vergingen und er keinen Ton von sich gab glaubte ich, sein Stolz wäre einer Art Schwarm gewichen.
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Paralyzed | ✓
Teen Fiction𝑺𝒆𝒊𝒕 𝑾𝒐𝒄𝒉𝒆𝒏 𝒃𝒆𝒇𝒊𝒏𝒅𝒆𝒕 𝒔𝒊𝒆 𝒔𝒊𝒄𝒉 𝒊𝒎 𝒇𝒓𝒆𝒊𝒆𝒏 𝑭𝒂𝒍𝒍 - 𝒆𝒓 𝒉𝒂𝒕 𝒆𝒔 𝒔𝒊𝒄𝒉 𝒛𝒖𝒓 𝑨𝒖𝒇𝒈𝒂𝒃𝒆 𝒈𝒆𝒎𝒂𝒄𝒉𝒕, 𝒔𝒊𝒆 𝒂𝒖𝒇𝒛𝒖𝒇𝒂𝒏𝒈𝒆𝒏. Cartia hatte in ihrem Leben alles, was sie sich wünschen konnte, bis d...