Kapitel 12

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Den nächsten Vormittag – es war Sonntag – verbrachte sie am Ufer des Sees. Es war kalt und windig, ab und zu nieselte es, aber ein simpler Wärmezauber schaffte ihr eine behagliche Ruhezone, und sie brauchte ein wenig Einsamkeit, um nachzudenken. Sie war einige Monate nicht mehr hier gewesen, aber sie war dankbar, dass sich zumindest die äußerlichen Gegebenheiten hier nicht geändert hatten.

Dem Schulleiter war bewusst, dass sie Harry und Ron alles erzählen würde, aber er hatte sie gebeten, ihre Verwandtschaft nicht überall publik zu machen. Es war schließlich auch ihre Privatsache, und sie akzeptierte das.

Sie blickte über den sich kräuselnden See. Zwei Tentakel des Riesenkraken dümpelten an der Oberfläche. Hermione lehnte sich bequem an den Stamm der Weide zurück, die genau am Ufer stand. Hier war sie geschützt vor allen neugierigen Blicken, hier hatte sie oft die Zeit mit Nachdenken oder Hausaufgaben verbracht, wenn sie nicht gestört werden wollte.

Sie sah auf ihre Hand. Sie hatte gestern vergessen, den Schnitt zu verschließen, und so war jetzt eine kleine Wunde erkennbar. Es spielte keine Rolle. Sie hatte Madam Pomfrey eine Probe ihres Blutes zum Untersuchen gegeben, aber bis jetzt hatte die Medihexe noch nichts Besonderes finden können. Verdammte Prophezeiung!

Sie dachte über Severus Snape nach, ihren ehemaligen und wahrscheinlich demnächst wieder aktiven Lehrer für Zaubertränke.

Sie erinnerte sich an all die Gemeinheiten, mit denen er sie und ihre beiden Freunde bedacht hatte, an das völlig offensichtliche Bevorzugen seines eigenen Hauses, seine harsche und abweisende Art, seine Neigung zu provozieren, zu verhöhnen, zu ungerechten Aktionen und das Verteilen von Strafarbeiten.

Hermione seufzte. Er hatte einen Oskar verdient. Nicht dass irgendein Zauberer wusste, was ein Oskar war. Aber verdient hatte er ihn definitiv. Für die Rolle seines Lebens.

Trotz der Tatsache, dass er zweifellos der am meisten gehasste und gefürchtete Lehrer auf Hogwarts war, hatte er es fertig gebracht, ihnen immer diejenigen Dinge zu lehren, die sie gerade am nötigsten brauchten.

Ob es der Trank zur Schärfung der Konzentration war, der Zauber zum Entwaffnen seines Gegners oder einfach nur, ständig auf das Unerwartete gefasst zu sein.

Er war es, der jederzeit versucht hatte, sie aus lebensgefährlichen Situationen zu retten, auch wenn er das hervorragend hinter einem abfälligen Grinsen und gewaltigem Punkteabzug verbarg.

Und wahrscheinlich war es auch ihm zu verdanken, dass sie die Horkruxe innerhalb weniger Monate entdeckt hatten, denn manches Mal schienen ihnen die Hinweise geradezu glücklich in den Schoß gefallen zu sein.

Professor Dumbledore und sie hatten gestern Abend noch lange zusammen gesessen, selbst als der Tränkemeister tief eingeschlafen war. Es war ihr unangenehm gewesen, in dem Quartier ihres Lehrers am Kamin zu sitzen, aber der Direktor schien sich hier wohl zu fühlen, und wahrscheinlich wollte er noch eine Weile da bleiben, falls Snape doch noch einmal erwachen und etwas brauchen sollte.

Sie schnaubte. Da hätte er sich überhaupt keine Sorgen machen müssen. Bei dem Rausch, den Snape hatte, wäre es ein Wunder, wenn er vor heute Abend wieder erwachen würde. Fast musste sie bei dem Gedanken an den Kater, der ihn erwartete, grinsen.

Der Schulleiter hatte sie wie seinesgleichen behandelt. Das war nichts neues, aber es schmeichelte ihr trotzdem. Er hatte ihr anvertraut, dass er den Schulalltag so normal wie möglich verlaufen lassen wollte. Soweit das jedenfalls möglich war, denn es würde einige Veränderungen geben müssen.

Sowohl er als auch Professor McGonagall würden immer öfter fehlen, so auch Professor Flitwick. Sie würden im Dienste des Ordens unterwegs sein. Und da Severus Snape verletzungsbedingt noch einige Zeit ausfallen würde, müsste man improvisieren.

Das war der Punkt, an dem sie ins Spiel kam. Es hatte ihn offensichtlich Überwindung gekostet, aber dann hatte er sie gefragt, ob es ihr etwas ausmachen würde, ab und zu den Unterricht in den unteren Klassen zu übernehmen. Sie hatte ihn nur überrascht angesehen.

„Sehen Sie, Miss Granger, sie sind die Nummer Eins hier auf Hogwarts, und Sie haben schon langjährige Erfahrungen im Unterrichten ihrer eigenen Klassenkameraden. Es ist nur noch ein kleiner Schritt weiter, nicht wahr? Und hatten Sie nicht sowieso überlegt, einmal Lehrer zu werden? Mir schien, die Tätigkeit eines Aurors haben sie bereits vor einem Jahr verworfen..."

Er zwinkerte.

Deshalb saß sie jetzt hier und zerbrach sich den Kopf darüber, wie es wohl sein würde, auf einmal selbst vor einer Klasse zu stehen, selbst wenn es nur die Erst- bis Viertklässler betraf.

Natürlich, hatte ihr der Direktor versichert, würde sie sämtliche benötigten Unterlagen der verantwortlichen Lehrer erhalten, wenn sie diese Aufgabe übernehmen würde, und sie könnte jederzeit mit Problemen zu einem der anwesenden Lehrer kommen. Und doch... Es würde schwierig werden.

Und genau deswegen würde sie auch zusagen. Sie konnte einer solchen Herausforderung nicht widerstehen. Nachdem sie mit Ron und Harry die verbleibenden Horkruxe aufgestöbert und mit Hilfe des Ordens zerstört hatte, befand sie sich in einem Zustand des Wartens und Angespanntseins.

Nach all der Hektik, der Gefahr und der ständigen Wachsamkeit war es jetzt seltsam, wieder zurück zu sein und normalen Unterricht zu bekommen.

Sie machte sich keine Sorgen darüber, dass sie hinterher hinken könnte, weil sie die erste Zeit des Schuljahres gefehlt hatte; überhaupt war sie in Hinsicht auf ihren Abschluss tatsächlich viel abgeklärter geworden.

Hermione sah auf die Uhr und fuhr sich sinnend durch die Haare. Es wurde Zeit zu gehen. Sie hatte schon das Frühstück verpasst, und sollte sie auch zum Mittagessen fehlen, würden Ron und Harry wahrscheinlich die gesamte DA mobilisieren, um sie zu suchen und aus vermeintlicher Gefahr zu retten.

Sie lächelte, als sie dem Pfad zum Schloss folgte. Es war schön, solche Freunde zu haben. Und offenbar hatte sie sogar einen Ritter. Ihrer war kein strahlender Held in einer weißen Rüstung.

Sie war die Lady des Schwarzen Ritters. Dieser Gedanke brachte sie tatsächlich zum Lachen.

Professor Dumbledore wartete, bis die meisten ihr Essen beendet hatten, um seine Ankündigungen zu machen. Es gab einiges Geraune und Getuschel, als er ihnen mitteilte, dass Hermione Granger einige Unterrichtseinheiten übernehmen würde und deshalb den Status des Headgirls abgab.

Hannah Abbot würde stattdessen Schulsprecherin werden. Das Mädchen aus Hufflepuff wurde rot vor Stolz. 

A snake, with a Gryffindors heartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt