Prolog II

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Der Besuch von Vill war drei Wochen her, als meine Mutter starb. Es kam nicht überraschend, doch trotzdem veränderte es alles. Der König verlangte öfter nach mir. Und mein Zorn auf die Welt wuchs Tag für Tag. Ich ging mit bitteren Tränen zu Bett und stand mit blinder Wut wieder auf. Ich konnte keine Freude mehr wahrnehmen und das machte mich noch wütender. Das Essen schmeckte mir nicht mehr. Ich empfand keinen Schmerz, wenn ich stürzte und selbst meine Magie verweigerte mir den Dienst. Ich schleppte mich zum Unterricht, abends in den Stall und wenn es verlangt wurde zum König. Ich beantwortete keine Briefe und ging allen aus dem Weg.

Ich benutzte die Geheimgänge, um niemandem begegnen zu müssen und sperrte den Großteil der Zeit alle Geräusche um mich herum aus. Ich ritt Alessandro nicht mehr. Mir fehlte nicht nur meine Mutter. Es war mehr. Soviel mehr, dass mein Herz kaum noch Kraft hatte zu schlagen. Am Tag meines zehnten Geburtstags hatte ich mich fest entschlossen mich zusammen zu reißen. Ich wollte mir aus der Bibliothek ein Buch holen, um endlich wieder zu lesen und ich nahm mir vor Vill endlich auf seinen Brief zu antworten. Und ihn vorher zu lesen.

Als ich morgens die Küche betrat, war niemand da. Die Öfen waren kalt und es war kein Kuchen zu finden. Ich schluckte die Enttäuschung runter und verbarg sie hinter der pechschwarzen Mauer in meinem Kopf, die alles zu verschlucken schien. Ich begegnete den ganzen Tag lang niemandem, obwohl ich ausnahmsweise keinen der Geheimgänge nutzte. Ich ging so nah an den Thronsaal wie seit Monaten nicht mehr und trotzdem war niemand da. Alles war wie ausgestorben.

Mit dem Brief in der Hand und ohne mich in kleinen Nischen und hinter Bäumen zu verstecken ging ich zu den Pferden. Alessandro wieherte, doch selbst sein warmer Atem schenkte mir kaum Trost. Tränen liefen mir über das Gesicht, noch bevor ich wirklich registrierte, dass ich weinte.  Zum ersten Mal seit dem Tod meiner Mutter erlaubte ich mir an sie zu denken. Ich versuchte es jedenfalls. Doch ich bekam keine einzige Erinnerung zu fassen. Nicht einmal ihr Gesicht tauchte in meinem Inneren auf.

Les beobachtete mich aufmerksam, als ich seine Box öffnete. Ich zitterte und spürte genau, dass irgendetwas nicht stimmte. Dass irgendetwas total falsch lief mit mir. Ich faltete Villains Brief auseinander und bückte mich nach dem grünen Stein, der herausgerutscht war. Er lag warm in meiner Hand, während ich seine Worte las.

Belle, etwas geht in deinem Land vor. Es gibt Vorfälle, die meisten betreffen Mischwesen. Mein Vater sagt, dass es keine Erklärung gibt. Wenn du jemanden warnen willst, tu es bald. Nutze die Macht des Steins um zu mir zukommen, wenn du in Not bist.

Zögere nicht, du kannst nichts tun.

Villain

Vorfälle und Mischwesen. Das war alles, was in meinem Kopf hängen blieb. „Les." Mein Zittern wurde schlimmer. „Wir müssen dadurch." Ich zeigte auf die unsichtbaren Mauern, die jedes Pferd in seiner Box gefangen hielt. Er stupste mich an. Seine schwarzblauen Augen klug und abwartend auf mich gerichtet. „Okay, Alessandro. Ich kann das." Ich nickte und holte tief Luft. Nach wenigen Augenblicken stand mir Schweiß auf der Stirn. „Wir müssen dadurch", sagte ich mir wieder und immer wieder.

Die braunen Augen eines Mädchens blitzten vor mir auf. Wettrennen, Bogen schießen, baden, verstecken spielen. Erinnerungen brachen wie eine Flut auf mich ein. Les wieherte und ich riss die Augen auf. Die Mauer war verschwunden. Meine Magie hatte es tatsächlich geschafft. Erleichterung erfasste mich. Mit eiligen Zügen kletterte ich auf die Boxentür und von dort auf den warmen Pferderücken. Ich hatte die Hütte vor Augen, die mein Ziel war und als Les angallopierte wusste ich, dass er sie auch sah.

Ich konnte den Rauch riechen, noch bevor ich etwas hörte. Ich spürte die Flammen, bevor ich sie sah. Ich hörte den Schrei meiner besten Freundin, die in den letzten Monaten keinen Platz in meinen Gedanken gefunden hatte. Wir erreichten die zweistöckige Hütte. Sie brannte lichterloh.

Ich sprang von Les runter und drückte den Stein in meiner Hand. Ich spürte ein Schutzschild, dass nicht ich erschaffen hatte und betrat das Haus, nachdem ich den Riegel vor der Tür geöffnet hatte. Es waren keine Stimme mehr zu hören, keine Schreie, aber ich wusste das sie hier waren. Ich arbeitete mich durch den Rauch, durch die einzelnen Räume und an den Flammen vorbei.  Erst auf dem Dachboden angekommen konnte ich drei zusammen gesunkene Gestalten ausmachen. Arya, ihre Schwester und ihre Mutter. Ich hüllte sie in mein Schutzschild. Das Feuer war hier oben noch nicht angekommen, aber der Rauch hatte sie trotzdem bewusstlos gemacht.

Ich konnte sie nicht alle tragen und ich konnte nicht mit einer gehen und die anderen zurück lassen. Ich kauerte mich neben sie. Mit meiner alten Kraft hätte ich es geschafft. Ich hätte ein Schutzschild aufrecht erhalten und sie raus bringen können. Tränen liefen über meine Wangen und ich legte meine Hand auf die von Aryas Mutter, die ihre Töchter selbst in der Bewusstlosigkeit fest umschlossen hielt.

„Wie konntest du durch den Schutzring kommen?" Aryas Stimme klang kratzig. Sie blinzelte heftig und schien ihre Augen trotzdem nicht richtig öffnen zu können. „Arya." Meine Stimme versagte. „Es tut mir so leid." Ihre Augen tränten, aber sie hielt sie offen. „Wir wecken sie jetzt." Entschlossen rüttelte sie an der Schulter ihrer Mutter, während ich begann die Wange ihrer Schwester zu tätscheln. Ein knackendes Geräusch ganz in unserer Nähe und die Flammen hatten den Dachboden erreicht.

Aryas Mutter blinzelte, dann richtet sie sich kerzengerade auf. Sie erfasste mit einem Blick die Situation, schnappte sich ihre jüngere, immer noch bewusstlose, Tochter und ging zu der Luke. Ich sah es in ihrem Gesicht, als sie über den Rand blickte. Wir waren zu hoch. Wir würden es nicht schaffen. Ich tastete nach meinem Stein. Er glühte leicht, forderte mich auf ihm zu vertrauen. Die Balken über uns knirschten, während wir zu viert vor der Luke verharrten. Aryas Blick verlor an Entschlossenheit, der ihrer Mutter wurde weich, als sie uns zu ihr zog. Ich sah die Trauer in ihren Augen, bevor sie uns alle in die Tiefe riss.

Etwas in mir brach, während der Stein mir in die Hand schnitt, weil ich ihn so fest umklammerte. Wir landeten auf den Füßen. Arya öffnete zuerst die Augen. Ungläubig wanderte ihr Blick von den Steinen unter uns zu dem Dachboden, von dem wir gesprungen waren. „Wir müssen hier weg." Les erwartete uns. Geduldig ließ er zu, das wir alle uns auf ihn setzten. Mein Herz donnerte während ich ihn antrieb. Das ungute Gefühl in meinem Bauch war nicht abgeflaut. Im Gegenteil. Es ist schlimmer geworden.

***

Im nächsten Kapitel geht es dann mit der Gegenwart weiter ♥

Was glaubt ihr wie es für Arabella weitergehen könnte?

Und habt ihr Lust heute noch weiter zu lesen?🥰

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