Kapitel 63

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Die vorwiegende Reaktion auf meinen Bericht war Verwirrung.

„Eine Delegation, aber von welchem Hof?"

„Wie sollen wir wissen, von wo sie kommen, wenn wir nur wissen, dass sie in einem Wald standen?"

„Sie wollen uns anscheinend nicht helfen. Wer sagt, dass selbst wenn wir sie finden sollten, sie dann bereit wären, uns zu helfen?"

Es herrschte Chaos. Wir waren in Vaughns Kriegssaal umgezogen und standen um einen runden Tisch herum. Auf diesem lagen unzählige Dokumente, Schriftrollen und alte Bücher.

„Wir sollten uns auf das konzentrieren, was wir wissen, was wir dem, was Arabella gesehen hat, entnehmen können und nicht auf die Fragen, die sich daraus ergeben." Ich sah Vaughn für einen Momenterstaunt an. Seit ich aufgewacht war, zeigte er sich von einer ernsten und rationalen Seite, die ich bisher nur selten an ihm gesehen hatte.

„Sind wir uns einig, dass Phineas für die schwarzen Linien verantwortlich ist?" Das war Arya.

„Es passt zu dem, was wir bereits wissen", ergänzte ich.

„Alle Fae Königinnen und Könige können sich die Magie des Landes zu Nutzen machen. Aber er muss einen Weg gefunden haben, jegliche Begrenzungen und natürliche Barrieren zu umgehen und die Magie vollständig absorbieren zu können."

Ich stimmte Vaughn zu. „Ich gehe nochmal zu den Hexen. Sie müssen einfach noch mehr wissen."

„Nein!" Villain sah mich eindringlich an. „Die Hexen werden dir nicht mehr sagen. Sie würden dein erneutes Auftauchen eher als Provokation werten."

„Gibt es denn noch andere Orte oder Personen, die wir befragen können?", warf Arya ein.

„Was ist mit den Verstoßenen in der Steinwüste?", fragte ich Vaughn, der meinen Blick mit erhobener Augenbraue erwiderte.

„Bist du verrückt?" Villain funkelte mich an. „Das sind Ausgestoßene, Verräter. Sie sind dort nicht ohne Grund gefangen. Sie können uns nicht helfen."

Mein Blick blieb auf Vaughn gerichtet. Er wechselte einen nachdenklichen Blick mit Oraziel und Rouven, dann nickte er. „Wir brechen morgen früh auf."

„Einverstanden", sagte ich und war im Begriff die Bibliothek weiter auf Hinweise zu durchforsten.

„Du kommst nicht mit", entschied Vaughn und Villain brummte zustimmend. „Das ist mein Land. Das sind meine Gefangenen? Was glaubst du, mit wem sprechen sie eher? Einer abtrünnigen Assassinin oder ihrem König?"

Der saß und das wusste er. Er erstickte meinen Protest im Keim. Ohne ein weiteres Wort verließ ich den Saal.

Osmium erwartete mich und begann augenblicklich zu schnurren als ich mich neben ihm niederließ und begann ihn zu kraulen. „Eine Warnung wäre nett gewesen. Du hättest mich ja nicht so überrumpeln müssen", beschwerte ich mich grummelnd und erhielt als Antworteine amüsierte Schwingung, die mich überrascht hochschauen ließ.

Ich schüttele den Kopf. „Ich würde ja gerne wissen, was du noch so auf Lager hast, Osmium. Das ist eine interessante Gabe, die du da hast." Er hob den Kopf und sah mich an. Dann spürte ich wieder daslähmende Gefühl der Ohnmacht, doch dieses Mal balancierte ich auf der Schwelle. Ich blieb wach.

Vaughns Gesicht tauchte in meinem Bewusstsein auf. Er stand nebeneiner dunkelhaarigen Fae. Sie hatten ihre Hände miteinander verschränkt und sein Gesicht war so entspannt, dass es fremd wirkte. Ihre Hände zierten dieselben Ringe und ihre Blicke waren voller Zuneigung und Hingabe. Ein Stich brannte in meiner Brust. Dann veränderte sich das Bild. Dieses Mal war nur die weibliche Fae zu sehen, wie sie ein Schlafgemach betrat. Sie trat an einen hochgewachsenen Fae heran, der aus dem Fenster schaute und strich ihm zärtlich über den Rücken. Ihre Augen waren kaum wiederzuerkennen. In ihnen, tief unter der Lust, lag ein Schimmer Wahnsinn.

Meine Brust schmerzte immer noch, als ich die Augen wieder aufschlug. Die Nacht war herein gebrochen und ich wurde vom schimmernden Licht der Sterne angezogen. Unter Osmiums wachsamen Blicke verließ ich den Turm und schritt in die Nacht hinaus. Ich stattete Les einen kurzen Besuch ab und verließ dann das Schloss. Ich begegnete nur wenig Wächtern und Wächterinnen, aber ich wusste inzwischen, dass das nicht daran lag, dass es nicht viele waren.

Vaughns Wächter waren kampfbereit und loyal. Sie waren bereit zusterben und sie würden vorher alles für ihr Land und ihren König geben.

„Arabella."

Ich hatte Vaughns Schatten schon bemerkt und war daher nicht sonderlich überrascht, als er mich ansprach. „Vaughn."

Er grinste unbeschwert als er mir seinen Arm bot. Und ich war so verblüfft und überrumpelt, dass ich es zuließ, als er mich näher zu sich zog.

Wir waren schon eine Weile gegangen, bis ich zu ihm aufschaute. „Du weißt so viel über mich, aber ich weiß gar nichts über dich."Ich sah ein überraschtes Blinzeln, bis er sich wieder unter Kontrolle hatte.

„Ich bin ein offenes Buch", bekannte er und erntete dafür einen zweifelnden Blick von mir. „Na gut", gab er schließlich nach.„Was willst du wissen?"

„Wie alt bist du?"

Er grinste. „Das hättest du ganz leicht in den Chronikennachschauen können." Doch er folgte meiner auffordernden Geste mit einem Seufzen. „219. Wieso hast du es nicht nachgeschlagen?"

„Manche Dinge erfährt man lieber direkt von der betreffenden Person", sagte ich und hörte den scharfen Unterton, den ich eigentlich verbergen wollte.

Vaughn war sofort alarmiert. Er blieb stehen und sah mich direkt an.„Wenn es um vorhin geht", begann er.

Doch ich schnitt ihm das Wort ab. „Geht es nicht." Die warme Nachtluft strich über meine Haut und sorgte dafür, dass das lockereKleid um meine Beine wehte.

„Worum dann?" Seine Augen wurden dunkler und in ihnen spiegelte sich das Funkeln der Sterne. Ich wollte mich abwenden, doch er hielt mich davon ab.

„Sei ehrlich zu mir, Arabella."

Ich lachte laut auf. „Ich soll ehrlich zu dir sein? Wieso? Womit glaubst du, dir meine Ehrlichkeit verdient zu haben?"

„Habe ich nicht." Ich erstarrte über seine Miene, die plötzlich so offen war. „Aber es könnte uns helfen. Du kennst den dunklen König am besten. Du wirst diejenige sein, die es schafft ihn umzubringen. Wir müssen zusammenarbeiten, weil ich will, dass du diesen Kampf überlebst. Du sollst ihn nicht nur gewinnen, du sollst ihn auch überleben."

Meine Hand lag auf seiner Brust und ich spürte jeden einzelnen, festen Schlag seines Herzens. Sein Blick war so intensiv, dass es mir den Atem raubte. Ich konnte kaum noch klar denken. Denn alles wurde von einem Gedanken, einer Frage verdrängt.

Ob er es auch fühlte.

Die Verbindung zwischen uns, die alles andere unscheinbar und unwichtig wirken ließ.

„Du hast viele Geheimnisse. Doch du musst uns den Teil, der helfen könnte, offenbaren. Bitte, Belle." Er legte seine Hände an meine Wange. So zärtlich, dass ich zitternd ausatmete. „Ich möchte dir etwas zeigen. Komm mit", forderte er mich auf und ich folgte ihm ohne zu zögern.

The Lost PrincessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt