Unsere Soldaten hatten sich formiert. Es waren weniger als fünf Tausend. Soldatinnen mit brennendem Pfeil und Bogen oder Wurfgeschossen in der ersten Reihe, Schwertkämpfer in der zweiten. Mitten unter ihnen entdeckte ich die drei Fae, die der dunkle König in sein Zelt befohlen hatte. Sie hatten die Köpfe erhoben, bereit zu kämpfen.
Das lebendige Gebirge, das fast vollständig nach Alhambrien gewandert war, bewegte sich vor unseren Augen zurück zu uns.
„Es muss Morla sein." Vaughns Blick wanderte hoch bis zu den nebelverhangenen Spitzen. „Alhambrien hat ihrer Armee kaum etwas entgegenzustellen."
Ich nickte. „Und ich wollte mich heute mit dem Rat befassen, um die frauenverachtenden Gesetze endlich abzuschaffen. Wäre auch zu einfach gewesen, oder?" Ich sah ihn mit hochgezogener Braue an.
„Du bist so ruhig, Belle. Hast du ein Ass im Ärmel?"
„Du etwa nicht, mein König?", fragte ich grinsend. Doch mein Lächeln verschwand im nächsten Augenblick wieder. Meine Miene wurde ausdruckslos, während ich mich konzentrierte.
„Ganz ruhig, Belle", versuchte Rouven mich unter Einhaltung eines Sicherheitsabstandes zu beruhigen.
„Ich könnte kaum ruhiger sein. Keine Sorge, Rouven. Rate deinen Soldaten und Soldatinnen nur lieber davon ab ins Wasser zu gehen. Sie sollten Abstand halten."
Helenas Schiffe waren jetzt so nah, dass ich tatsächlich die königliche Flagge auf dem vordersten erkennen konnte. Ich schritt an dem Verteidigungswall vorbei. Seitlich vom Hafen befand sich ein flaches Stück Strand, das würden sie zuerst ansteuern wollen, um nicht im Nachteil zu sein.
Helena hatte dasselbe goldblonde Haar wie ich und sie stand wie eine Gallionsfigur am Bug des Schiffes. Neben ihr trat eine weitere Fae aus dem Schatten, beide hoben grüßend eine Hand. Ein weiteres Puzzleteilchen fügte sich. Dann drehte das Schiff bei und die anderen zogen an ihnen vorbei.
Ich hielt meine Magie noch in Schach, rang um Beherrschung. Mit jedem Atemzug kühlte die eisige Kälte, die mein Herz noch immer umschloss, die lodernden Flammen in mir. Ich beobachtete sie, sah zu wie sie näherkamen. Der Wind stand günstig und die Schiffe nahmen Fahrt auf. Der Nigromfürst hatte recht. Der Krieg war nicht gewonnen. Er hatte gerade erst begonnen.
Wenn sie glaubten aus sicherer Entfernung zusehen zu können, werde ich sie eines Besseren belehren. Ich werde den Krieg zu ihnen bringen.
Vaughn trat hinter mich. Ich spürte seine Beunruhigung. „Ich habe unsere Armee nicht weggeschickt. Es war eine Illusion. Ich hatte vermutet, dass es jemanden geben könnte, der über die Neuigkeit, dass du die verlorene Prinzessin bist, nicht ganz so glücklich sein könnte und sich in seiner Herrschaft bedroht fühlt."
Ich nickte. „Danke. Sind alle aus dem Wasser raus?"
„Ja, hast du Morla bei Helena gesehen?"
„Und ob ich das habe." Meine Stimme klang ruhig, nahezu dumpf. Was mich beunruhigt hätte, wenn ich darüber nachdenken würde.
„Wo sind die Drachen, Belle?"
„Genau da, wo sie sein sollen."
„Du weißt, dass es Konsequenzen für dich hat, wenn sie sterben?" Vaughn kam langsam näher.
Ich beachtete seinen Einwurf nicht. „Sie hat meine Mutter verraten. Sie hat mich verraten. Sie wird brennen. Stört es dich eigentlich, wenn ich deine ehemalige Geliebte umbringe?"
Er lachte leise. „Wieso überrascht es mich nicht, dass du das weißt? Sie zu töten ist schon lange überfällig."
Ich begann die Schiffe zu zählen. Sie würden gleich in Rufweite sein. Bei 58 verlor ich den Überblick.
„Die Unendlichkeit der Sterne wird vielleicht nicht ausreichen, Vaughn. Es kann sein, dass ich einen Punkt überschreite, an dem ich nicht mehr zu dir zurückfinde."
Wenn eine Fae ausbrennt, sich in ihrer Magie verliert, bleibt ihr entweder der Tod oder der Verlust ihrer Seele.
„Ich werde dich immer finden." Seine Hand strich federleicht über meine.
Ich nickte, dann erhob ich mich in die Luft.
„Hier kommt eure einzige Chance, das hier zu überleben." Meine Stimme, vom Wind getragen, fand ihren Weg bis zu den Schiffen, bis in die Berge, in denen Morlas hinterhältige Armee lauerte. „Wendet eure Schiffe. Zieht euch zurück. Entscheidet euch für das Leben." Hoch über mir am Himmel stieß Obsidian ein ohrenbetäubendes Brüllen aus. Das Signal für die anderen vier Drachen durch die Wolkendecke zu brechen und sich den Schiffen, über denen sie jetzt kreisten, zu zeigen.
„Ihr habt Zeit, bis der erste Pfeil fliegt und da eure Königin sich bereits einen Bogen bringen lässt, ist das vermutlich nicht mehr lange. Hat sie euch erzählt, dass sie ihre Schwester in die Arme des dunklen Königs getrieben hat, obwohl sie seine Absichten kannte?"
Tatsächlich drehten ein paar Schiffe bei. Nur wenige, nicht viel mehr als fünf. Aber immerhin. Helena zielte nun nicht mehr auf die Drachen, sondern auf ihre eigenen Leute. Die Sonne würde gleich untergehen. Dieses Mal konnte es ihr kaum schnell genug gehen. Ich verstand sie nur zu gut.
Der rote Drache stieß hinab zu Helenas brennendem Pfeil und pustete leicht. Sogleich änderte der Pfeil seinen Kurs und traf statt eines der abdrehenden Schiffe ein anderes.
„Deine Mutter war so dumm. So leichtgläubig und naiv. Genauso wie du, Arabella! Ich werde dich nicht töten. Phineas hat mir erzählt, wie er dich ein ganzes Jahrzehnt nach seinem Willen geformt hat. Wie er systematisch alle umgebracht hat, die dir etwas bedeutet haben."
Ich unterbrach sie gähnend. „Immer die gleichen Drohungen. Das wird langsam langweilig."
Sie lachte schrill. „Deine Drachen sind ja schön und gut, aber glaubst du wirklich, dass wir ohne Luftunterstützung in einen Krieg ziehen? Wir haben unsere nur besser versteckt."
Widerliche Exen Wesen stiegen aus dem Wasser empor und schraubten sich in die Luft.
„Oh, die passen ja gut zu dir, Tantchen." Helena verlor die Fassung, als ihre Exen gegen ein unsichtbares Schild stießen, dass sie nicht in die Richtung der Drachen fliegen ließ. „Das ist das Schöne an Magie, oder? Sie ist immer für Überraschungen gut."
Meine Magie wurde übermächtig. Der Wunsch sie zu töten, allumfassend. Ein paar weitere Schiffen waren abgedreht und ihre Zeit vorbei.
„Du wirst brennen und das letzte an was du denken wirst, bin ich auf dem Thron." Dann ließ ich los. Klammerte mich nicht mehr an die kläglichen Reste der Kontrolle, die ich noch hatte. Ich landete auf Obsidian, spürte das aber kaum. Ließ die Magie frei, ließ sie wütend. Keine Gnade, kein Erbarmen. Kein Zurück.
Die Sterne fielen und das Wasser begann zu brennen.
ENDE
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Tadaaaaa ✨✨✨✨
110.000 Wörter und The Lost Princess ist beendet 💫
Ich würde mich sehr freuen, wenn ihr mir nochmal ein abschließendes Feedback zu der Geschichte gebt. Was sollte lieber nicht so detailliert ausformuliert werden? Wovon hättet ihr gerne mehr? Was hat euch bewegt? Was mochtet ihr nicht ganz so gerne? Was habt ihr geliebt?
Das würde mir dann sehr beim Schreiben des (Trommelwirbel) zweiten Teils helfen ✨ Denn The Lost Princess ist der erste Teil der Midnight Dilogie. The Lost Kingdom, der zweite Band, der auch von Belle und Vaughn handelt, werde ich die Tage hochladen, sobald das Cover fertig ist ✨
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The Lost Princess
FantasyEine gefangene Prinzessin, ein dunkler König und eine Mission, bei der es gilt unüberwindbare Hindernisse zu meistern. Arabella verliert jegliche Kontrolle. Über ihr Schwert und über sich selbst. Ihr Vater steuert sie, benutzt sie als sein Werkzeug...