Kapitel 39

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Erst als ich Schritte hörte, kroch ich tiefer ins Unterholz und ließ mich dort wieder sinken. Alles an Stolz, jedes Fünkchen Mut, dass ich mir mühsam wieder aufgebaut hatte, war zerbrochen. In dem Moment als ich mich daran erinnerte, wie ich seine Schwester umgebracht habe. Ich kann nicht erklären wieso, aber diese Erinnerung ist viel präsenter, viel realer als alle anderen.

Es dauerte noch lange, fast bis zu Dämmerung, bis ich mich aufrappelte und den Weg zurück zum Schloss einschlug. Mein Gang war schleppend, mein Kopf gesenkt. Ich nahm mir vor in die Bibliothek zu gehen. Irritiert erwischte ich mich bei dem Wunsch Keno und Okku zu begegnen. Ich seufzte schwer. Zwang meine Schritte dazu leichter zu werden und kehrte die Aufmerksamkeit von meinem katastrophal chaotischen Inneren auf meine Umgebung.

Doch zu spät. Ich bemerkte das Knacken der Zweige erst, als zwei Gestalten schon direkt vor mir den Pfad betraten. Mit erhobenen Schwertern stürzten sie sich auf mich. Ich wich ihnen aus. War aber nicht schnell genug und spürte, wie eine der Klingen durch das Leder in meine Haut schnitt. Sie trugen graue Umhänge und von ihren Gesichtern war, außer ihren spitzen Ohren, rein gar nichts zu erkennen. Wieder stürmten sie auf mich zu. Dieses Mal schaffte ich es mein Schwert zu ziehen. Ich ignorierte den brennenden Schmerz in meinem Arm. „Was wollt ihr?", brach ich atemlos hervor, während ich einen Hieb, der auf meinen Hals zielte, abwehrte. Sie antworteten nicht. Ihre Angriffe wurden präziser. Ihre Haltung verlor nicht an Spannung, aber an Aufmerksamkeit. Sie wähnten sich zu sicher. Ich blendete alles aus und konzentrierte mich. Meine Bewegungen wurden schneller, als erinnerten mein Körper sich wieder daran wie es geht. Das Kämpfen.

Mit jedem weiteren Hieb, den ich abwehrte und jedem weiteren Schritt gewann ich meine kriegerische Selbstsicherheit wieder. Ich drängte die Fae in den grauen Umhängen zurück. Nur ihrer Magie war es zu verdanken, dass keiner meiner Hiebe bisher sein Ziel gefunden hatte. Ich fühlte die Bewegung wieder, die verschiedenen Schritte, die Schlagkombinationen. Mein Blick visierte ihre Deckung an, ihre Schwächen. Mit zwei weiteren Hieben waren sie entwaffnet.

Ich hob das Schwert und keuchte erschrocken, als sich in meiner Schulter ein brennender Schmerz ausbreitete. Ich drehte mich gerade noch rechtzeitig um, um den zweiten Pfeil zerschlagen zu können, der auf meine Brust gerichtet war. Zwei weitere Fae mit grauen Umhängen standen im Schutz der Bäume. Als ich mich wieder umdrehte, war von den Angreifern keine Spur mehr zu sehen. Ebenso wenig ihre Schwerter.

Ich zog den Pfeil heraus und stellte fest, dass er meine Schulter genau da getroffen hatte, wo Vaughn die Schnallen geöffnet hatte. Ich taumelte weiter, merkte aber schnell, dass ich es nicht mehr lange schaffen würde. Das war kein normaler Pfeil gewesen.

Doch mein Kampfgeist war geweckt, mein Ehrgeiz, mein Stolz. Ich zwang mich weiter zu gehen. Einen Fuß vor den Anderen zu setzen Als ich aus dem Wald trat, war mir bereits so schwarz vor Augen, dass ich nichts mehr sehen konnte. Unsicher setzte ich weiter einen Schritt vor den anderen. Als ich stolperte, verlor ich das Bewusstsein noch bevor mein Körper auf dem Boden aufschlug.

Was ich als erstes hörte, als ich aufwachte, machte mir Angst. Es waren keine Stimmen. Es war überhaupt nichts menschliches. Es war eher eine Art Schnurren.

Mein Kopf dröhnte schrecklich, als ich mich zwang die Augen zu öffnen. Nicht zusammen zucken, Arabella! Ermahnte ich mich stumm als ich blinzelnd die Augen öffnete. Ich lag an der Stelle, an der ich zusammen gebrochen war. Ich spürte, wie mir ein feines Rinnsal Blut über die Stirn lief und hörte wieder das Schnurren hinter mir. Ganz langsam drehte ich den Kopf und starrte in ein orange leuchtendes Augenpaar.

Das Tier gab wieder diese Mischung aus Schnurren und Knurren von sich. Mit langsamen Bewegungen stützte ich mich etwas auf, obwohl mir durchaus bewusst war, dass ich kaum dazu imstande war zu kämpfen. Die Augen des Tieres waren mir so nah, dass es mich attackieren könnte, ohne das ich es schaffen würde zu reagieren. Schon junge Schneeleoparden waren für eine Schnelligkeit bekannt, bei denen selbst die besten Faekrieger nicht mit halten konnten. In manchen Regionen gehörten sie zu den beliebtestes Jagdtrophäen und ein Schauer lief über meinen Rücken als ich das Tier genauer ansah. Es schien den Anschein zu machen, als beobachtete es mich ebenso argwöhnisch. Es war weder in einer Angriffposition, noch in einer defensiven Haltung. Es schien einfach zu warten.

Es dauerte bis ich mich traute, mich vollständig aufzusetzen. Erst dann nahm ich wahr, dass der Leopard männlich und nicht besonders groß war. Sein Kopf war ungefähr auf meiner Höhe, obwohl ein ausgewachsener Schneeleopard fast doppelt so hoch sein müsste. Ich ließ meinen Blick über die hellen Flecken auf seinem schneeweißen Fell gleiten. Von plötzlicher Zärtlichkeit und einem Anflug Wahnsinn übermannt, streckte ich eine Hand aus.

Ich sah nicht, dass er sich bewegte, bis ich seine Zähne um meine Finger spürte.

Atemlos hielt ich inne. Bis ich registrierte, dass er nicht annähernd so stark zubiss wie er könnte. Seine Augen schauten noch immer geradewegs in meine. Er wartete auf meine Reaktion. Und ich, von plötzlicher, unerwarteter und kindlicher Freude überrascht, griff nach ihm und zog ihn zu mir. Er schnurrte, stupste mich an und begann dann genüsslich auf meiner Hand herum zu kauen. Seine Zähne waren spitz, aber noch nicht so rassiermesserscharf, wie sie sein würden, wenn er ausgewachsen ist. „Wo ist denn deine Mama?", fragte ich ihn leise und kraulte ihn mit der freien Hand am Rücken. Er antwortete nicht, was hatte ich auch erwartet? Mit einem Lächeln auf den Lippen begann ich mit ihm zu rangeln. Entwand ihm meine Hand und steckte sie schnell unter meine Schenkel. Mit großen Sprüngen tobte er um mich herum und schnappte nach meinem Ärmel.

Als ich aufsprang durchfuhr mich ein scharfer Schmerz in meiner Schulter und ich taumelte. Mist, da war ja was. Er hielt sofort inne, als ich mich zusammenkrümmte. Beobachtete mich wieder aus seinen klugen, ehrlichen Augen. „Ich muss jetzt gehen, Süßer. Deine Mama ist bestimmt nicht weit von hier." Ich beugte mich zu ihm runter und er ließ zu, dass ich mit sanften Bewegungen seinen Kopf kraulte.

Mit schweren Schritten schleppte ich mich zurück zum Schloss. Die Kopfschmerzen kamen mit ungeheurer Wucht zurück und meine Schmerzen wurden so stark, dass mein Körper begann sich taub anzufühlen.

Die Wachen am Eingang versperrten mir den Weg. Doch ich war nicht mehr fähig irgendetwas zu sagen. Noch bevor ich sie verstehen konnte, verlor ich erneut das Bewusstsein.

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2. Teil der Lesenacht♥ Ein oder zwei kommen noch.

Vielen Dank fürs Lesen.

The Lost PrincessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt