Kapitel 47

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„Du musst uns alles erzählen", forderte Liora. Sie strich ihr pechschwarzes Haar zurück, dass dem ihres Bruders so sehr ähnelte. Die einzig andere Gemeinsamkeit waren ihre unverkennbaren Augen. Vom Wesen, von den Gesichtszügen könnten sie kaum unterschiedlicher sein. Ich kann mir trotzdem nicht erklären, wie ich es bei Keno übersehen habe. Wieso ich es übersehen wollte.

Caylin schob mich in Richtung des breiten Sessels vor dem Kamin und Liora lächelte entschuldigend. Ich grinste nur und fragte mich, was dieses wohlige Gefühl in meinem Bauch zu bedeuten hatte. Wir hatten uns nur ein Mal gesehen, wenige Stunden lang und ich verlangte das Unmögliche von ihnen. Ihren Tod vorzutäuschen, vor ihren Freunden, ihrer Familie, ihren Partnern, vor der ganze Welt. Ich hatte nicht viel Zeit, weder zum Überreden noch um böse Miene zu guten Spiel zu machen. Die Wahrheit war alles, was für meinen Plan sprach und sie war alles, was ich hatte.

Liora verfügt über eine ganz besondere Art der Magie. Die des Geistes. Ihr ist es möglich, nicht nur in anderen zu lesen, sondern auch sie zu heilen. Caylins Magie dagegen ist dunkler, kriegerischer. Wie eine Aura schwebt sie immerwährend um sie herum, nicht so stark wie bei ihrem Bruder, aber dennoch beeindruckend. Sie war die, die überzeugt werden musste, obwohl Liora es nach einem Blick auf den Bann bereits war.

Ich erzählte ihnen, was seit unserer letzten Begegnung geschehen war und endete mit der Darstellung von Vaughn, auf dem Schlachtfeld, als ich meinem Vater gegenüber stand, oder eher von ihm besiegt wurde. Caylins Blick veränderte sich zu einem merkwürdigen Gesichtsausdruck. Selbst Osmium schien die veränderten Schwingungen wahrzunehmen. Sein weißer Schwanz zuckte unruhig und seine Ohren nahmen jeden noch so kleinen Laut wahr. Etwas geschah und ich bekam nicht mit, was es war.

„Du musst unbedingt zu unserem privaten Fest heute Abend kommen!" Liora richtete ihren Blick wieder auf mich. Sie hielt noch immer meine Hand und machte keine Anstalten sie je wieder loszulassen. Aus diesem Grund konnte sie kaum übersehen, wie ich bei der Erwähnung eines Festes zusammen zuckte. Caylins scharfer Blick wanderte zurück zu mir. „Ich werde da schon unterwegs sein. Ich gehe zurück nach Alejandra. Oder zu Villain nach Alhambrien. Ich habe mich hier lange genug versteckt." Sobald ich es ausspreche, wusste ich dass es der Wahrheit entspricht.

Liora schüttelte sofort den Kopf. „Das kannst du nicht machen. Du wirst ihn wieder nicht besiegen und dieses Mal..." Ich konnte dabei zusehen, wie ihr Atem stockte und ihre Augen sich vor Schreck weiteten.

„Ich habe Jahre gebraucht, um mich von diesem Bann zu befreien. Jetzt, wo ich es geschafft habe, werde ich tun, was ich mir immer gewünscht habe. Ich werde alles geben, um mein Land zu beschützen. Und wenn es nicht ausreicht, weiß ich, dass ich es wenigstens versucht habe."

„Das ist töricht. Selbst für dich." Nur einen Moment dauerte meine Starre an, als er das Wort an mich richtete. Ich habe versucht seine Anwesenheit auszublenden, aber er hat mich keinen Moment aus den Augen gelassen.

„Was ist", begann Caylin, „wenn ich jemanden kenne, der dir helfen könnte zu gewinnen?" Ich wagte kaum zu atmen, während mein Blick automatisch den ihren suchte.

„Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass das möglich ist."

Sie lachte und schüttelte den Kopf. „Belle, ich habe gedacht gerade du würdest deine Macht kennen. Du ahnst ja nicht zu was du fähig bist." Erinnerungen durchzucken mich bei der Erinnerung an die Dinge zu denen ich fähig bin. „Wann hast du es erkannt, Bruder? Wann hast du gemerkt, dass es nicht sie war, die die Schuld trägt?"

Ich konnte nicht widerstehen und drehte mich zu ihm um. Kurz kreuzten sich unsere Blicke, dann schaute er seine Schwester an. „Erst beim Ball. Als ihre Augen tiefschwarz wurden, als wären sie der ewigen Dunkelheit entsprungen. Sie kämpfte gegen etwas in ihren Inneren, erst da habe ich es erkannt."

„Wirklich? Und vorher hast du sie verschont? Obwohl du dachtest, dass sie uns umgebracht hat?" Zweifel und noch etwas anderes lag in ihrem Blick, so deutlich, dass ich wusste, dass wir ihn sehen sollten. Dass er ihn sehen sollte. Caylin wandte sich ab.

„Hast du einen Plan?", fragte Liora in die Stille. Ihr Blick war hoffnungsvoll als sie mich ansah. Ich reagierte nicht und sie seufzte.

„Wie gedenkst du es zu machen, Belle?" Mit angespanntem Kiefer baute Vauhn sich vor mir auf. „Letztes Mal hattest du einen Plan und trotzdem hat es nicht funktioniert. Wie kommst du auf den Gedanken, dass es dieses Mal anders sein wird?"

Er war so nah, dass ich sehen konnte, wie ein Muskeln an seinem Kiefer pochte. „Ich gehe nicht davon aus." Meine Erwiderung war schlicht und wahr. Dennoch fielen die Reaktionen anders aus, als zu erwarten war. Liora ließ sich plumpsend auf einen der Sessel fallen. Caylin wirbelte herum und stürmte auf mich zu. Doch Vaughn war schneller. Ich vernahm noch Caylins erbosten Schrei, bevor seine Magie mich umhüllte. Dunkelheit umfing mich. Doch sie war gänzlich anders als alles, was ich bisher gefühlt habe. Sie war lebendig, legte ihre Arme sanft um mich und wiegte mich in Sicherheit. Als sie sich wieder lichtete, vermisste ich sie augenblicklich und brauchte einen Moment zu lange um mich zu orientieren.

Ein Bild zuckte in meinem Kopf. Gerötete Wangen, ein vorsichtiges Lächeln auf den Lippen, die Haare etwas zersaust und den Blick nahezu verträumt. Vaughns intensiver Blick erschreckte mich. Und er schien selbst überrascht, dass er mich das hatte sehen lassen. Als wäre es nicht gewollt gewesen.

Ich schüttelte den Kopf. „Was soll das? Ich muss mit Caylin reden." Vaughns Blick war merkwürdig, nicht so verschlossen wie sonst, aber dennoch nicht zu deuten. Seine schwarzen Haare umrahmten sein schönes Gesicht und seine Augen leuchten in diesem ungewöhnlichen blau grün, das selbst für Fae Augen zu strahlend erschien. Seine vollen Lippen waren leicht geöffnet und das einzige an seinem Gesicht, dass rund und weich wirkte. Als sich ebendiese Lippen zu einem spöttischen Grinsen verzogen, zwang ich mich den Blick auf die Wände zu richten. Ich habe ihn angestarrt verdammt!

Die Wände waren schön. Sie gehörten zum Zimmer im Turm. Alles war so, wie ich es das letzte Mal verlassen hatte. Das Buch noch aufgeschlagen. Die Schminke noch auf dem Tisch ausgebreitet. Noch immer spürte ich seinen amüsierten Blick auf mir. Naja, jetzt waren wir wenigstens quitt.

The Lost PrincessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt