Kapitel 76

110 14 29
                                    

Noch Stunden später erinnerte mich das Pochen in meinem Körper an das, was zwischen Vaughn und mir geschehen war. Zwischen mir, der Prinzessin von Alejandra und ihm, den König von Arubien. Unter anderen Umständen, in einer anderen Welt, wäre das etwas gewesen, was das ganze Land feiern würde. Es wäre etwas gewesen, das zwei Länder, die durch einen Ozean geteilt waren, vereinen könnte.

„Belle", schmetterte Keno meinen Namen und stürmte in mein Gemach. Okku trottete gemächlich hinter ihm her und als er sich schnaufend niederließ, erschien es mir fast so, als hätte er gerade die Augen verdreht. Ich grinste und sah Keno dabei zu, wie er sich einen Haufen Kissen zusammensuchte und es sich auf ihnen gemütlich machte.

„Belle, ich habe gerade weiße, knisternde Magie erzeugt!" Er war derart begeistert, dass er meine erschrockene Miene zum Glück nicht sah. Nur bei den mächtigsten Fae leuchtete die Magie weiß. Da Vaughn und wahrscheinlich auch Liora und Caylin ihrer mächtig waren, wunderte mich nicht, dass Keno auch über sie verfügte, nur war er noch ein Kind.

„Kannst du es mir zeigen?", bat ich ihn und er grinste mich triumphierend an, während, fast augenblicklich, kleine weiße Flammen aus seinen Finger empor züngelten. Bis auf ihr leises Knistern war es vollkommen still.

„Hast du einen Lehrer?" Denn den brauchte er unbedingt. Er verfügte über rohe Magie und das in einem Ausmaß, dass ich mir Sorgen machen würde, wenn es nicht Keno wäre, sondern ein anderes Kind, das sie besaß.

„Ja, natürlich!" Fast beleidigt sah er mich an. „Mein Bruder unterrichtet mich schon seit Ewigkeiten." Gegen meinen Willen musste ich schmunzeln. Es passte zu dem Vaughn, den ich in letzter Zeit kennengelernt hatte. „Ah, da fällt mir etwas ein. Wir sind mit ihm verabredet. Heute Abend. Um in die Stadt zu gehen. Am besten treffen wir uns direkt vor deinem Turm." Mit diesen Worten sprang er auf und war verschwunden, bevor ich nachfragen konnte. Ich sah zu Okku, doch der löste sich gerade in Luft auf, wobei sein breites Maul definitiv zu einem Grinsen verzogen war. Ich ließ mich in Kenos Kissenberg sinken und lächelte vor mich hin. Das würde spannend werden.

Ich war genervt, weil ich mich zum ersten Mal seit einer Ewigkeit mit der Frage auseinandersetzten musste, was ich anziehen sollte. Ich wollte weder in meiner ledernen Kampfausrüstung, noch in einem spitzenverziertem Kleid durch die Stadt spazieren. Schon bei dem Gedanken hörte ich ihr höhnisches Lachen und erinnerte mich augenblicklich wieder daran, warum ich die Stadt so lange gemieden hatte.

An die Stelle an der gerade noch Spott und Demütigung mein Bewusstsein eingenommen hatten, trat nun etwas anderes. Dieses Land war kurz davor in den Krieg zu ziehen. Diese Stadt und ihre Bewohner und Bewohnerinnen würden alles riskieren. Und aus diesem Impuls heraus wusste ich sofort, was ich tragen würde.

Keno und Vaughn standen mit dem Rücken zu mir, als ich den Turm verließ. Der Junge bemerkte mich zuerst und jauchzte bei meinem Anblick erfreut auf. Vaughns Miene dagegen blieb reglos. Er musterte meine schweren Stiefel, die enganliegende Lederhose und den Brustpanzer. Darüber blitzte die silberne Schnalle meines grünen Umhangs im Licht der Sonne. Mein Haar trug ich offen, nur ein paar Strähnen wurden von einer dunkelroten Brosche zusammengehalten. Die Farben Arubiens.

Herausfordernd hob ich meine Augenbrauen und Vaughn begann zu lächeln. „Gewagte Farbkombination, My Lady."

„Finden Sie, My Lord?" Keno sah grinsend von einem zum anderen und plusterte sich regelrecht auf um das Wappen auf seiner Brust zu betonen. Der Teil des Faereiches, das nun Arubien war, war früher Drachenland. Lange vor der Teilung des Reiches der Fae lebten hier Drachen, die aussahen, wie der, der das Wappen Arubiens noch immer schmückte. Feuerspuckend und mit roten und grünen Schuppen gepanzert, zierte er nicht nur Wappen und Schwerter, sondern auch, eingeritzt in Stein, Teile der Schlossmauer, Deckengemälde oder auch Haut. Er war das Symbol dieses Landes und deshalb trugen viele Soldaten und Soldatinnen es als Zeichen ihrer Loyalität für immer auf sich.

„Weiß dein Volk eigentlich von der Existenz der andalesischen Stallions?", fragte ich Vaughn, während in mir eine Idee an Form gewann.

„Ich hörte von Gerüchten, dass sie die Wälder um das Schloss herum unsicher machen. Einige berichteten sogar von magischen Pfeilen, die nie ihr Ziel verfehlen und einer Reiterin mit langem glänzenden Haar." Er grinste mich an und der Ausdruck in seinen Augen gefiel mir.

Ich lachte leise. Die anfängliche Unruhe in mir, flaute nun vollends ab. „Nun gut. Was denkst du? Sollen wir den geplanten Spaziergang zu einem kleinen Ausritt umfunktionieren?"

Es dauerte nicht lange bis ich auf Les Rücken saß. Vaughn neben mir auf einem Rappen, den wir spontan Malzar getauft hatten. Keno saß auf Baleria, die genauso wie die anderen beiden mit klappernden Hufen und stolz erhobenem Kopf durch die Menge schritt.

Der breite, gepflasterte Weg, der vom Schloss hinab in die Stadt führte, war zu beiden Seiten von derart vielen Fae belagert, dass wir nur langsam voran kamen. Als ich mich umsah sah ich so viele Fae auf einem Fleck, wie wahrscheinlich noch nie in meinem Leben, doch es erschlug mich nicht.

Mein Blick kreuzte den eines jungen Fae mit einer kleinen Halbfae auf dem Arm. Les blieb kurzerhand stehen und prustete ihr die warme Luft aus seinen Nüstern entgegen. Sie verharrte wie in Schockstarre, dann streckte sie laut jauchzend ihre kleinen Hände nach seiner Nase aus.

„So sööööön", krakelte sie lauthals, woraufhin Les leise wiehernd zustimmte.

Wir zogen weiter, vorbei an prächtigen Häusern und großzügigen Gärten mit strahlend blauen Dächern und Türen. Eine Schmiedin unterbrach ihre Arbeit, ein Maler hielt inne, ein Schneider ließ die Nadel sinken. Sie alle hoben den Blick um ihren König zu sehen. Türen standen sperrangelweit offen, Kinder pressten die Nasen an Fensterscheiben und die Menge, die sich uns anschloss wuchs mit jedem Schritt weiter an.

Die Bewunderung des Volks war nicht in Worte zu fassen. Sie liebten ihr Land und ihren König nicht nur. Sie ehrten ihn, feierten ihn, vertrauten ihm. Und das sogar so sehr, dass sie meine Anwesenheit nicht nur akzeptierten, sondern genau das in ihr sahen, was ich vermitteln wollte. Hoffnung.

Auf dem großen Marktplatz im Künstlerviertel hielten wir schließlich an. Vaughn verkündete, dass die Nacht der fallenden Sterne beim Einbruch der Dunkelheit beginnen würde. Und bei dem freudigen Blick den Keno und ich daraufhin austauschten, grinste er und zwinkerte mir verstohlen zu.

„Wieso hast du mir nichts gesagt", zischte ich leise, nachdem wir uns wieder in Bewegung gesetzt hatten.

„Weil es eine Überraschung für dich sein sollte. So wie für alle anderen auch. Seit Beginn meiner Herrschaft ist es Tradition, dass ich niemanden darüber informiere, bis es soweit ist."

Ich nickte und fragte mich dennoch ob die Geheimhaltung dieser Feier noch andere Gründe hatte.

„Es wird die letzte Feier sein." Sein Lächeln verschwand bei meinen Worten.

„Das stimmt. Danach bleibt uns nur noch eine Nacht, bevor wir in See stechen."

_______________

Gibt es eigentlich tatsächlich noch Wattpadder*innen, die After weder gelesen noch einen der Teile im Kino geschaut haben?

Ich war vorletztes Wochenende mit federflattern in Berlin und wir haben uns im Kino After Love angeschaut. Und waren leider nicht so begeistert, wenn auch recht amüsiert 😂
Was ist eure Meinung zu der Reihe?

The Lost PrincessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt