Kapitel 37

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Auf dem dunklen Stein, der mich an die Wände im Schloss erinnerte, saß eine pechschwarze Eule. Alles an ihr war unheimlich. Sie war groß, nicht nur ungewöhnlich groß, sondern anormal groß. Ihre Augen leuchteten in dem hellsten weiß, das ich je gesehen hatte. Sie verharrte starr auf dem Felsen und hatte den Blick in meine Richtung gewandt.

Ich trat zwei Schritte aus meiner Deckung hinaus, hinein in das schimmernde Licht, dass vom Wasser ausging. Mir kam es vor als würde die Eule sich mir nähern, ohne sich dabei zu bewegen. Die unergründlichen Augen, die zu keinem Lebewesen dieser Welt zu passten schienen, schlossen sich nicht einen Augenblick. „Es ist lange her, dass ich Besucher empfangen habe." Noch immer drang die unheimliche Stimme durch die gesamte Höhle, selbst hinter mir hörte ich ihren Nachhall. Meine Hand blieb an meinem Schwert, während ich noch einen weiteren Schritt vortrat.

„Du hast Glück, dass ich keine gesprächigen Menschen mag. Nenne mir dennoch den Grund für dein Eintreten." Erst jetzt bemerkte ich, was mich an dieser Stimme so irritierte. Sie war weder männlich, noch weiblich. Sie gehörte weder Kind, noch Greis. Es war als würden sich in ihr alle Stimmen vereinen.

„Ich soll etwas finden, was hier verloren gegangen ist." Stille. Dann erfüllte ein Lachen die Luft. Es war klirrend und leicht. Es passte nicht hierher.

„Und was hast du als Gegenleistung mitgebracht?" Ich nahm mir vor Heela den Hals umzudrehen, sobald ich hier wieder raus kam. „Ich sehe du hast nichts bei dir, was diesen Tausch lohnen würde. Dann biete mir etwas anderes."

Ratlos ließ ich meinen Blick über die Eule schweifen, die nur noch einen Steinwurf von mir entfernt war. Über den schimmernden See und den anthrazitfarbenen Stein der Höhle. „Sagt mir, was ihr wissen wollt. Was kann ich euch bieten?" Ein zufriedener Schimmer lag in den milchigen Augen der Eule. „Eine Wahrheit, die bisher unausgesprochen geblieben ist. Das ist mein Preis. Du selbst hast sie angeboten und ich befinde diesen Tausch als angemessen."

Ich wollte lieber gar nicht wissen, woher sie das wissen konnte. Stattdessen überlegte ich fieberhaft. Eulen gehörten zu den schlausten und weisesten Wesen und diese hier schien noch viel mehr zu sein, viel mehr zu wissen.

Ich traf eine Entscheidung. „Mein Volk glaubt, dass die Götter und Göttinnen sich ihnen am Tag der Sommersonnenwende endlich gnädig erweisen. Jedes Jahr aufs Neue regnet es, als könnte der Himmel nicht mehr aufhören zu weinen. Sie preisen und loben sie, doch sie haben den Regen keiner Gottheit zu verdanken. An diesem Tag verlor der Bann um meinen Geist stets so weit an Kraft, dass ich fähig war meinem Volk zu helfen. Ich war einen Tag frei und konnte tun, was meinem eigenen Willen entsprach. Ihr Leiden auf diese Weise zu lindern, war das mindeste."

In den ersten Jahren habe ich es für einen Traum gehalten. Diesen einen Tag, an dem ich plötzlich frei war. Es war immer mehr eine Hoffnung, als Realität.

„Das war eine gute Wahrheit", entschied die Stimme schließlich. „Wäre das auch die Wahrheit gewesen, die du in der vergangenen Nacht offenbart hättest?" Ich schüttle den Kopf.

„Du wirst auf dem Rückweg finden, was hier verloren gegangen ist." Nach einem dankbaren Nicken näherte ich mich wieder den schützenden Schatten . „Bevor du gehst, werde ich dir noch etwas schenken. Einen Blick in den Spiegel. Er wird dir etwas offenbaren, was du tief im Inneren bereits weißt, aber noch nicht bereit bist zu begreifen. Sieh genau hin", befahl sie.

Aus dem Wasser, gehalten von Ranken aus hellem Licht, erhob sich ein Spiegel mit kunstvoll verziertem goldenen Rahmen. Für einen kurzen Augenblick sah ich mein Gesicht. Dann veränderte sich das Bild.

The Lost PrincessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt