Bei der Besprechung am nächsten Tag war die Stimmung mehr als angespannt. Vaughn und Villain taxierten sich immer wieder. Spott und Missbilligung lag für alle sichtbar auf ihren Gesichtern. Mir blieb nichts anderes übrig, als das Wort zu ergreifen und alle von der Prophezeiung der Hexen zu erzählen. Wir gingen jede Zeile durch, stellten Mutmaßungen an und ließen uns alte Bücher aus der Bibliothek bringen. Villain war in seine eigenen Grübeleien vertieft, wahrscheinlich ging er gerade jedes Buch durch, was er auf seinen Reisen je gelesen hatte. Liora und Caylin studierten eine alte Schriftrolle und als ich zu Vaughn sah, war sein Blick auf mich gerichtet.
Ich widerstand dem Impuls auf das Buch in meinem Schoß zu schauen. Doch als er sich erhob und auf mich zukam, wünschte ich mir, ich hätte ihm doch nachgegeben. Eine seiner Brauen wanderte amüsiert in die Höhe, während ich immer noch unfähig war meinen Blick zu lösen. Vaughn trug ausnahmsweise keine Kampfmontur. Das dunkle Hemd bestand nur aus dünnem Stoff, der sich um seine Muskeln schmiegte und mehr preisgab als verdeckte. Seine Hose saß tief auf den schmalen Hüften und er bewegte sich so geschmeidig und anmutig, dass ich für einen kurzen Moment alles um uns herum vergaß. Sein Gang strotzte vor Selbstbewusstsein, in seinem Blick schimmerte es vielversprechend.
„Sag mal, Prinzessin. Was hast du den Hexen dafür gegeben, dass sie dir die Prophezeiung verraten haben?" Seine Stimme war rau und als er seine Hände rechts und links neben mich auf das Fenstersims stemmte, raste mein Herz. Ich öffnete den Mund um ihm zu antworten, hielt dann aber inne.
„Nichts." Ich funkelte ihn an. „Das funktioniert nur bei Menschen", schob ich wütend hinterher.
„Was denn?" Ein Grinsen umspielte seine vollen Lippen, dessen Perfektion ich jetzt aus nächster Nähe bewundern konnte.
„Das in den Bann ziehen." Ich fuchtelte mit den Händen vor seinem Gesicht herum.
„Sollte man meinen, oder?" Ein heißer Schauer jagte über meinen Körper als ich mich in den dunklen Funken seiner Augen verlor.
„Bella", quietschte Arya und riss mich damit aus Vaughns Bann. Dieser grinste unverhohlen und strich in einer flüchtigen Geste über die Außenseite meines Oberschenkels als er sich zum Gehen wandte. Über den bösen Blick den ich ihm hinterher schickte, lachte er nur leise. Na warte, versprach ich ihm still.
Ich verdrehte die Augen über Aryas verblüfften Blick und gab ihr mit einer kurzen Geste zu verstehen, dass wir darüber nachher sprechen würden. Denn nicht nur Rouven musterte uns neugierig, sondern auch Villain hatte den Blick gehoben und sah mich an.
Liora rettete mich, als sie neben mich trat und nach draußen wies. „Wie lange glaubst du, halten die Blumen eigentlich?" Ich war dankbar über die Ablenkung und folgte ihrem Blick zu dem Berghang. Noch immer schimmerte gelber Mondschatten neben lavendelfarbenen Trompetenblumen und hellblauen Sternblumen.
„Ich weiß es nicht", erwiderte ich und wie immer zauberte mir den Anblick der bunten Blumenwiese ein Lächeln auf die Lippen.
Als die Nacht hereinbrach und keiner von uns mehr logisch denken konnte, zogen wir uns in unsere Räume zurück. Keno lag bereits friedlich schlafend auf einem der Sofas. Ich strich über seinen dunklen Wuschelkopf und fragte mich ob Vaughn früher auch so ausgesehen hatte.
Als ich im Bett lag und mir ein kleines Licht aufleuchten ließ um zu lesen, waren meine Gedanken immer noch bei Vaughn. Der Gedanke, dass ich mehr über ihn wissen wollte, war auf seine ganz eigene Art beängstigend. Aber er war so präsent, dass es mir unmöglich war, ihn zu verdrängen. Ich las die Seite bereits zum vierten Mal, bis ich einsah, dass ich mich nicht würde konzentrieren können. Ich seufzte und erntete sofort ein vorwurfsvolles Blinzeln von Okku.
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The Lost Princess
FantasyEine gefangene Prinzessin, ein dunkler König und eine Mission, bei der es gilt unüberwindbare Hindernisse zu meistern. Arabella verliert jegliche Kontrolle. Über ihr Schwert und über sich selbst. Ihr Vater steuert sie, benutzt sie als sein Werkzeug...