Die Flasche war leer, als Arya und ich bei Einbruch der Dunkelheit den Turm verließen.
„Ich kann nicht aufhören dich anzusehen", quietschte sie neben mir. „Ich will unbedingt Vaughns Blick sehen, wenn er bemerkt, wie absolut göttlich dieses Kleid an dir aussieht."
Ich grinste sie an. „Und ich Lioras!" Übermütig schlenderten wir Hand in Hand zu den schwingenden Treppen, die uns in die oberste Etage des Schlosses brachten.
„Ich auch." Sie wackelte anzüglich mit den Augenbrauen und brachte mich zum Lachen. „Du fühlst dich wirklich wohl, Belle? Die ganze Zeit hast du nichts annähernd so ausgeschnittenes getragen."
Mein Lächeln verschwand, doch ich nickte. „Ich bin mir sicher. Es ist meine Entscheidung dieses Kleid zu tragen. Mein Körper. Und niemand hat das Recht mich anzufassen oder aufdringlich zu werden. Ich trage dieses Kleid für mich, weil es wunderschön ist und ich mich wunderschön fühle. Vaughns Reaktion wird nur ein Bonus sein."
„Und wir werden jeden in die Schranken weisen, der das nicht versteht. Ohne Rücksicht auf Verluste", drohte Arya mit erhobener Faust.
„So ist es!" Wir betraten den Ballsaal und blieben abrupt stehen. Die Decke bestand aus Glas. Vollständig. Sodass sie einen uneingeschränkten Blick auf den sich färbenden Himmel neben der dunklen Silhouette des Berges bot. Der Sonnenuntergang hatte keine Ähnlichkeit mit allem, was ich bisher gesehen hatte. Nachtblaue, weiche Wolken umzogen das gleißende Sicht der untergehenden Sonne am Horizont. Als wollte selbst der Tag der Nacht heute eine besondere Ankündigung bieten.
Eine Kellnerin in einem schwarzen Satinkleid, bot uns ein Tablett mit kleinen Phiolen und einer goldschimmernden Flüssigkeit darin an.
„Das ist kein Mondschatten, oder?" Arya betrachtete die gläserne Phiole genauer.
„Ich glaube nicht."
„Mach dich auf einige Überraschungen bereit, Prinzessin", spöttete Heela und rauschte davon. Nach wenigen Schritten tauchte sie in die Masse der Fae ein, die sich hier versammelt hatten. Alle Fae trugen schwarze, dunkelblaue oder silberne Gewänder um die Farben der Nacht zu ehren. Und wir waren nicht die einzigen, die sich Sterne und sichelförmige Monde auf die Haut gemalt hatten.
Der Saal war riesig und der Boden bestand aus mit Gold durchzogenem Marmor. Hohe Säulen stützten die gläserne Kuppel, unter der glitzernde Lichtkugeln schwebten. Ihr warmes Licht reflektierte die Sterne aus Diamanten und Monde aus Bernstein, Kristall oder Goldtopas, die an Kleidern, Ringen oder Broschen befestigt waren.
Arya und ich grinsten uns an, bevor wir die gläserne Phiole leerten. Warm und süß breitete sich die Flüssigkeit in meinem Mund aus und ich kicherte, als ich sah, dass Arya unsere Phiolen abstellte und gleich zwei neue herunternahm.
„Auf diesen Abend, Belle. Auf das, was noch kommt."
„Auf unser Leben", fügte ich gerührt hinzu.
Nachdem wir die leeren Phiolen losgeworden sind, mischten wir uns unter die Feiernden und sahen zu, dass wir uns etwas weiter nach vorne durcharbeiteten. Obwohl ich Ausschau nach Vaughn, Coilin oder Cailyn hielt, entdeckte ich niemanden von ihnen.
Arya blieb stehen, als die Musik sich plötzlich veränderte. War sie gerade noch ein leises, sinnliches Versprechen gewesen, so begann sie jetzt zu pulsieren, aufzudrehen und mein Herzschlag passte sich an. Einen Moment war es so, als würden alle die Luft anhalten und die Musik in sich aufsaugen.
Dann, wie auf Kommando, setzten wir uns alle gleichzeitig in Bewegung. Arya lachte, griff meine Hand und drehte mich einmal. Die Fae um uns herum kamen näher, bis wir nur noch dicht gedrängt beieinander standen. Übermut flutete meine Venen und spiegelte sich in Aryas Augen wieder. Wir begannen zu tanzen. So zu tanzen, als würde es kein Morgen geben.
Ich war nicht die einzige, die diese Leichtigkeit spürte, die uns zum Schweben brachte. Ich war nicht die einzige, dessen Lippen zu einem Lächeln verzogen waren. Alle spürten sie, diese Energie, dieses Gefühl der Einheit. Weil wir alle zusammen gehörten. Egal ob wir über Magie verfügten. Es spielte keine Rolle, wen wir liebten. Keine Rolle, ob wir adelig waren, Menschen, Halbfaes, Wilkies. Wir schwebten gemeinsam auf derselben Wolke. Nicht nur als eine Einheit, sondern auch als ein Volk.
Im Augenwinkel sah ich ein besonders auffällige Bemalung und erkannte beim genaueren Hinsehen die junge Frau vom Markt mit dem tollen Drachen auf der Gesichtshälfte. An seine Stelle war jetzt ein ganzer Nachthimmel getreten. Funkelnde Sterne, ein strahlender Mond und ein mitternachtsblaues Firmament. Sie fing mein Blick auf und erwiderte mein Winken.
Neben mir tanzte ein hübscher Wilkie, dessen schmale Pupillen durch silberne Sterne über dem Lidstrich betont wurden. Er zwinkerte mir zu und ich grinste zurück. Ich war so ausgelassen, dass ich ihm kurzerhand mitteilte, wie gut ihm der Lidstrich stand.
Arya zog mich zu sich, als wieder, wie durch Zauberhand, gefüllte, gläserne Phiolen in ihren Händen gelandet waren. Die Musik zog uns in ihren Bann und machte keine Anstalten uns auch wieder zu entlassen. Wir tanzten, jauchzten, tranken, lachten. Ich hatte das Gefühl nie wieder etwas anderes machen zu wollen.
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The Lost Princess
FantasyEine gefangene Prinzessin, ein dunkler König und eine Mission, bei der es gilt unüberwindbare Hindernisse zu meistern. Arabella verliert jegliche Kontrolle. Über ihr Schwert und über sich selbst. Ihr Vater steuert sie, benutzt sie als sein Werkzeug...