Kapitel 6

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Villain

„Einhundert", verkündet der König schließlich mit scharfer Stimme. Sein Volk war verstummt. Die Blicke auf das schlanke Mädchen in der Mitte der Arena gerichtet, die noch immer in dem Kreis stand, den sie zu Beginn des Kampfes gezeichnet hatte.

„Tochter, du hast die Kreaturen der Dunkelheit besiegt. Doch sind sie wohl kaum ein anständiger Gegner für dich. Stimmst du mir zu?" Sie hatte ihrem Vater den Rücken zugewandt, betrachtete die Nigroms die, in ihrer Bewegung erstarrt, direkt vor ihr verharrten. Traute sie ihrem Vater zu, diese ohne eine Wort wieder zu befreien? Der Mond war direkt über der Arena angekommen und die Flammen der Fackeln erloschen. Alles wurde in strahlend weißes Licht gehüllt.

Mit einem präzisen Blick konnte ich erkennen wie sich ihr Brustkorb hob und senkte. Ihr Arm musste vor Schmerzen brennen, doch er war noch immer erhoben, bereit weiter zu kämpfen. „Ich finde es gibt Gegner, die deiner würdiger sind. Nicht ebenbürtig, aber wenigstens etwas mächtiger als diese geschmacklosen Kreaturen." Er spuckte die Worte aus, verächtlich und voller Hohn, ohne jegliche Achtung.

Hatte ich vorhin noch Zweifel, ob Elions Tod eine direkte Nachricht an mich gewesen war, verflüchtigten diese sich in demMoment als die Tore wieder geöffnet wurden. Meine Krieger betraten die Halle. Die Hände gefesselt, den Blick gesenkt. Die Haltung gebrochen. Keiner trug sichtbare Wunden am Körper, aber ich spürte den Schmerz, der sie umgab. Er war so sichtbar wie die Wolke aus schwarzem Staub, die um Arabella wehte.

Sie waren zu siebt. Der Rest meiner verschollenen Krieger. Cy verharrte neben mir genauso erschrocken und ebenfalls unfähig es zu verbergen. Schockgefroren in diesem Alptraum aus dem es keine Flucht gab. Ich hatte nicht gemerkt, dass die Fae in meiner unmittelbaren Nähe weiter von uns abgerückt waren, sodass um uns herum die Bänke leer wurden.

„Was soll das werden?" Ich richtete mein Wort direkt an den König. Laut hallte meine Stimme durch die Arena. Alle hielten in ihrer Bewegung, in ihren Gesprächen, inne. Kein Atem war zu hören, kein Lufthauch zu spüren.

Selbst Arabella hob den Blick. Meine Soldaten erkannten mich. Die Hoffnungslosigkeit stand ihnen deutlich in die Augen geschrieben, trotz meiner Anwesenheit glaubte keiner von ihnen daran, diesen Abend zuüberleben. „Wonach sieht es für euch aus, Prinz?" Spott lag in der Stimme des Königs, offener Hohn in seinem zufriedenem Lächeln.

„Das sind meine Soldaten. Sie haben jahrhundertelang für Alhambrien gekämpft." Mit etwas Magie veränderte Cy den Klang meiner Stimme. Sie ertönte kräftiger, mutiger. Mein Blick wurde entschlossen, auch wenn Zweifel in mir hervorbrachen, die mir fast den Atem raubten. Die Wut war stärker.

Als würde der König jeden meiner Gedanken lesen können, wandte er sich wieder an sein Volk. „Sie haben nie für uns gekämpft. Nicht für Alejandra, sondern nur für ihr eigenes Volk. Wir haben sie bei einer Mission innerhalb unserer Grenzen aufgelesen. Sie hatten einen Attentat geplant und wir haben diesen ohne größere Mühe vereitelt. Jemand, der es auf unser Land, auf unser Leben und unseren Wohlstand abgesehen hat, verdient es, durch unsere Hand zu sterben." Als würde der König an Fäden ziehen, begannen die anwesenden Fae zu nicken, als wären sie willenlose Marionetten. Zustimmende Ausrufe wurden laut und wütende Beleidigungen wurden durch die Arena getragen.

„Irgendwelche letzten Worte?", fragte er an mich gewandt. Ich öffnete den Mund, sprach, doch meine Stimme hallte zu mir zurück. Er blockierte sie. Cy schickte seine Energie aus und ertastete das Schild, um uns herum. Wir waren eingeschlossen. Ich ließ mir meinen Schreck nicht anmerken und blickte zu meinen Kriegern. Ich schaute in ihre Auge, übermittelte meinen Dank und eine stumme Entschuldigung.

„Arabella", befahl der König mit leiser, gefährlicher Stimme. "Kriegerprinzessin", echote die Menge. „Halt dich diesmal nicht zurück. Das hier soll kein schneller Kampf werden." Er wollte sie leiden sehen. Ich wusste, dass es dieses Mal keine Gnade geben würde.

Jeder meiner Krieger bekam ein Schwert. Nacheinander erhoben sie es, bereit für einen letzten Kampf, wie hoffnungslos er auch sein mochte.

Arabella gewährte jedem einen Schlag, kreuzte die Klingen in einer defensiven Abwehrhaltung, die so gar nicht zu ihrem vorherigen Kampfstil passte. Ich traute meinen Augen kaum. Unruhe machte sich im Publikum breit. Sie hatten mehr erwartet. In einer kaum erkennbaren Bewegung hob Arabella den Blick zum Mond, der direkt über ihr stand.

Sie schindet Zeit, Cys Gedanke in meinem Kopf ließ mich hochschnellen. „EureMajestät", wandte ich mich erneut an den König. Im selben Moment als sein scharfer Blick auf mich fiel, verkündete der Klang von hunderten Harfen, der über das ganze Land zog, den Beginn der Sommersonnenwende. Der selbstzufriedene Blick des Königs kreuzte meinen, als ein leises Keuchen vom Boden der Arena durch die Halle drang. Arabella hielt sich die Seite, Blut sickerte durch ihre Finger und tropfe auf den Boden. Die Menge hielt den Atem an, als die Krieger sich merklich aufrichteten.

Der Tag der Sommersonnenwende brachte stets einige Gefahren mit sich. Magische Kräfte waren nur bedingt einsetzbar, sodass selbst die mächtigsten Fae nur auf einen Bruchteil ihrer Magie zugreifen konnte. Arabellas Haltung veränderte sich. Sie ging leicht in die Hocke, hielt ihr Schwert mit beiden Händen und begann mit präzisen Hieben auf ihre Gegner einzuschlagen. Sie parierten und mussten zurück weichen, getrieben durch die Wucht ihrer Schläge.

Erstauntes Raunen machte sich in den Reihen der Zuschauer breit. Arabella war wütend. Sie war immer ruhig gewesen, nahezu besonnen. Immer unheimlich reglos, egal welches Grauen sie mit angesehen hatte. Doch jetzt sah man den Sturm, der in ihr wütete und einen Weg hinaus suchte.

„Das hätten sie nicht tun sollen." Die Stimme erklang nicht laut, sie wurde nicht durch die Magie des Königs durch die Halle getragen. Sie erschien im Kopf jedes einzelnen der Anwesenden. Ihre Stimme, die von früher und doch ganz anders. Kälter, zorniger und viel älter.

Die Asche der gestorbenen Nigroms erhob sich und bildete eine Spirale um die Prinzessin herum. Sie wurde komplett von ihr eingenommen, dann wuchs sie. Wurde höher und reichte so weit in den Nachthimmel hinein, dass man das Ende nicht mehr erkennen konnten. Der Kegel des Wirbels zog stürmische Spuren auf dem Boden der Arena und verschluckte jeden der Krieger, den es erreichen konnte.

Als niemand mehr übrig war, verschwammen die Umrisse der Spirale, die gerade noch hart und scharfkantig gewesen waren. Der Wind trug die Asche durch die Arena und als sich der Rauch lüftete, lagen nur noch verlassene Schwerter, an der Stelle, wo die Krieger gestanden hatten.

Das Geschehen wurde atemlos bestaunt, dann begann der König zu klatschen. Er erhob sich von seinem anthrazitfarbenem Thron und applaudierte. Innerhalb von wenigen Momenten fielen die Zuschauer mit ein. Bis tosender Applaus die Arena erfüllten und euphorische Jubelschreie aufbrannten. Während der König sich in seinem Machttriumph sonnte, verschwanden wir.

The Lost PrincessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt