Kapitel 46

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Wir betraten einen Raum, dessen größter Teil von einem riesigen,  runden Holztisch eingenommen wurde. Mehrere, schwere Sessel waren um ihn herum aufgestellt und zahlreiche Dokumente und Karten auf seiner Fläche  ausgebreitet. Die Wände waren in einem dunklen, samtigen Grün  gestrichen.

„Vaughn, ich muss dir sofort was sagen", brachte ich schließlich hervor. Er bedeutete mir Platz zu nehmen und Osmium machte  es sich augenblicklich zu meinen Füßen bequem. 

„Lass mich kurz  zuerst etwas sagen", unterbrach er mich. „Ich hätte früher erkennen  müssen, dass du unter einem Bann standest. Ich hätte früher erkennen  müssen, dass du darunter gelitten hast ihn gebrochen zu haben. Für meine  Unwissenheit und die Entscheidungen, die ich infolge dessen traf, gibt  es keine Entschuldigungen. Trotzdem möchte ich dich wissen lassen, dass es mir leidtut." Er trug eine unbekümmerte Miene, aber ich sah Reue in seinem Blick aufflackern. Ich konnte kaum glauben, dass er das wahrhaftig gesagt hatte. Fae entschuldigten sich selten. Könige nie. Genauso wenig wie sie Reue  zeigten.

„Danke, aber ich verdiene keine Entschuldigung von dir."  Mit einer knappen Geste brachte ich ihn zum Schweigen, als er  widersprechen wollte. „Ich wollte dir mitteilen, dass deine Schwestern beide wohlauf sind. Nach meinem achzehnten Geburtstag habe ich die  Kontrolle schrittweise wiedergewonnen und habe jeden meiner Schritte vor mir selbst verschleiern müssen. Damit er es nicht sieht. Aber sie leben. Ich habe sie nicht umgebracht. Tut mir leid, dass ich es dir nicht schon früher sagen konnte." Meine Finger hatten sich immer stärker ineinander verkeilt und erst als Osmium seinen Kopf an mein Schienbein  drückte, ließ ich sie etwas lockerer.

„Ich weiß. Sie sind einen Tag nach dem..." Er stockte. „Als die Magie aus dir herausbrach und dich vollständig von dem Bann löste, war es als würde eine Schwingung aus Magie durch das Land ziehen. Nicht nur durch dieses hier, sondern durch das gesamte Reich der Fae. Es gibt Fae die sagen, dass seit dem großen Krieg  keine derart mächtige Welle mehr durch das Land rollte. Meine  Schwestern wussten, dass sie zurückkommen konnten." In diesem einen  kurzen Moment, gestattete er mir einen winzigen Blick auf seine wahre  Empfindung. Auf seine Erleichterung. Seine Freude über ihre Rückkehr. Seine Augen leuchteten in einem so hellen Blau, dass mir der Atem stockte.

„Woher weißt du, dass sich der Bann in dieser Nacht vollständig gelöst hat?"

  „Ich habe darüber gelesen. Ich hätte es früher tun müssen. Aber wir  haben Gewissheit darüber, dass man nach einem Ausbruch dieser Art nicht mehr von einem Bann kontrolliert werden kann. Es sollten sich auch keine  Überreste mehr in dir befinden. Theoretisch müsstest du die Veränderung  auch fühlen."

„Das tue ich." Ich nickte und fragte mich, wie  dieser Mann mir nun friedlich und mit einem sanften Blick gegenübersitzen konnte. 

„Ich muss zu Villain." Wieder löste ich  den Blick und ließ ihn von meinem Schoß zum Kopf des Schneeleoparden  wandern. Meine Empfindungen spielten mir Streiche. Sie erhitzen meine  Haut, trieben Röte in meine Wangen, bis meine Finger sich erneut nervös  verschlossen.

„Du kannst gehen, wann immer du willst. Seine Krieger  haben ihn bereits erreicht, falls es das war, was du ihm mitzuteilen gedenkst." Erleichterung durchströmte mich. Ich konnte sie nicht zurück  halten, obwohl ich seinen prüfenden Blick auf mir spürte. Villain hatte seine  totgeglaubten Krieger wieder. Er wusste nun, dass ich sie nicht umgebracht  hatte. Dass sie von der Arena nicht direkt in mein Schwert gelaufen waren.

Ich nickte wieder. Das ist gut, dachte ich mir. Ich machte Anstalten mich zu erheben. Doch seine Hand hielt mich zurück. Er  räusperte sich und ich hielt erstaunt inne als ich meinte eine sanfte Röte auf seinen Wangen wahrnehme. „Mir wurde das hier gebracht." Er  legte ein ledernes Buch auf den Tisch, dass er aus der Innentasche  seines Umhangs nahm. Mein ledernes Notizbuch. 

The Lost PrincessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt