Kapitel 64

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Ich trat durch dunkle smaragdgrüne Schleier, vorbei an holzvertäfelten Wänden, steinernen Verzierungen und atemberaubenden Kunstwerken. Wir durchquerten Räume, die ich für seine privaten Gemächer hielt. Bildschöne Schwerter mit verzierten Griffen, an denen rubinrote Steine funkelte und uralte Bücher, deren Geruch den Raum erfüllt, zierten die Regale der hohen Wände.

Nachdem wir durch einen steinernen Torbogen getreten waren, veränderte sich die Luft schlagartig. War sie eben noch erfüllt vom Duft alter Bücher, Kerzenwachs und Minze, roch ich jetzt nur noch Kälte und Eisen. 

„Wohin gehen wir?", fragte ich erneut und hielt mit Vaughn Schritt. Er musterte mich keinen Augenblick, sondern sah einfach geradeaus. Ich spürte den altbekannten, rohen Zorn und meine wachsende Ungeduld, doch ich hielt mich zurück. Ich hatte es viel zu oft erdulden müssen, dass meine Frage unbeantwortet blieb.

Erst an einem Podest, von dem eine steinerne Treppe in die Dunkelheit führte, machte er halt. „Du hast mir dieses Buch gegeben. Deine Notizen zu den Missionen deines Vaters."

Ich nickte und wippte ungeduldig mit dem Fuß. Er entzündete kugelförmige Lichter, die uns die Treppe mit ihrem bläulichen Schimmer erleuchteten. Als er meine Hand griff und mich ansah, schimmerten seine Augen in ihrem Licht silbern. Sein Blick war so fesselnd, so intensiv, dass ich erschrak. 

Das Etwas so simples mich derart aus der Bahn werfen konnte, faszinierte mich auf eine gewisse Weise. Ich wusste genau was es war, was ich in seiner Gegenwart spürte und was ihn so anziehend machte. Es war Sicherheit.

Die Art, wie er strahlte vor Macht, wie leicht es ihm fiel zu lachen, loszulassen, zu genießen. Darin erklärte ich mir, wieso ich ihn anstarrte, obwohl der Saal voller gutaussehender Fae war. Wieso ich mir wünschte, er würde mit mir sprechen und das beenden, was wir vergangene Nacht begonnen hatten.

Ich wollte ihn hassen, ihn verabscheuen für die Demütigung. Doch ich konnte es nicht. Ich war dazu nicht fähig und das Gefühl, was daraus resultierte, brachte mich dazu zurückzuweichen, Abstand zwischen uns zu bringen. Ich folgte ihm die zahllosen Stufen herab in die Dunkelheit, doch die Angst, die ich empfand, war um einiges bedrohlicher als sie.

Nach über vierhundert Stufen trafen wir vereinzelt auf kleinere, zumeist runde, Podeste, von denen verschiedene Türen abgingen. Einige waren aus dunklem Holz, andere aus einer Art Stein, doch alle waren mit einem eisernen Riegel verschlossen. Wir stiegen tiefer und tiefer herab, bis ich das Gefühl hatte, unter den Wurzeln des Landes, mitten unter dem Berg, zu wandern.

Als ich überzeugt war, dass es unmöglich noch tiefer herab gehen könnte, öffnete Vaughn eine der schweren Türen. Ich spürte wie er seine Hand auf meinen Rücken legen wollte, sich dann aber dagegen entschied. Mit entschlossenen Schritten trat ich in die dunkle Leere und wartete bis seine Lichter uns folgten.

Als sie begannen das Gemäuer zu erhellen und ich seine Beschaffenheiten wahrnehmen konnte, stockte mir der Atem. 

Fast 100 Fae waren in glühenden Ketten an die kalten Steine gefesselt. Ich wollte erschrocken herumfahren, doch dann erblickte ich ein Gesicht. Eines, das ich niemals wieder vergessen würde. Vaughn trat vor mich und verbarg mich vor den Blicken der Fae. Er musste gehört haben, wie ich entsetzt nach Luft geschnappt hatte oder gesehen, wie meine Hände zu zittern begonnen hatten, bevor ich die Arme vor der Brust verschränkte.

„Sie sind alle hier. Warum, Vaughn?" Meine Stimme war leise, weniger als ein Flüstern, als ich seinen breiten Rücken derart eindringlich musterte, als wüsste er die Antwort.

„Es war zum großen Teil Taktik", antwortete Vaughn. Ich spürte das Surren eines Schilds, das er aktivierte um uns von den Gefangenen abzuschirmen. Körperlich als auch mental.

„Wenn dein Feind Verbündete hat, entzweie sie", murmelte ich leise und erntete einen überraschen Blick, als Vaughn sich zu mir umdrehte. Ja Vaughn, diese Herangehensweise war mir bekannt.

„Ich muss mir also eine neue Strategie suchen?" Er schüttelte betroffen den Kopf, doch sein funkelnder Blick ließ keine Zweifel darüber zu, wie amüsiert er war. „Und zum anderen", fuhr er mit ernsterem Ton fort, „bist du diejenige, die über ihr Weiterleben entscheiden sollte. Niemand Anderes." 

Nun war es an mir überrascht zu sein. Er hatte sie für mich gefunden? Und er war bereit sich meinem Urteil zu beugen? Er überließ mir die Entscheidung. 

„Wenn du das möchtest", fügte er hinzu. Er suchte meinem Blick, doch ich wich ihm aus. Ich spürte, wie sich meine Körperhaltung veränderte. Eine andere Art Schleier legte sich über mein Gesicht und verbarg jede Regung und jedes Gefühl. 

„Du kannst jetzt gehen." Ich trat an Vaughn vorbei, raus aus dem Schild. Ich entzündete hellere Lichter, die bis in den letzten Winkel des Gemäuers reichten. In ihren Gesichtern spiegelte sich Hohn und Arroganz, als sie mich dabei beobachteten, wie ich den Gang entlang schritt. 

Ein Lächeln, das nichts Gutes versprach, lag auf meinen Lippen. Ich konnte dabei zusehen, wie einige Fae nach und nach die richtigen Schlüsse zogen.

„Wer bist du? Was willst du?" Kinas, der ehemalige Hofmeister meines Vaters sah mich abschätzig an. Hass loderte in seinen kleinen runden Augen und bestätigte nur meine Annahme, wie beschränkt er war. Jede Hinrichtung auf dem Schlossplatz, jede Verfolgung eines Wilkies oder Halbfaes, jeder Brand von Häusern in denen Familien gewohnt und umgekommen waren, gingen auf seine Kappe. 

„Ihr sagt mir alles, was ich wissen will. Jeder, der das nicht tut, ist tot." Ich ließ die Flamme der Lichter höher werden und ihr Feuer heißer. Vaughn verließ den Raum und ich hob entschlossen das Kinn. 

„Kinas." Ich blieb vor dem einst engsten Vertrauten meines Vaters stehen. „Wie kann es sein, dass ihr mich nicht erkennt? Eure eigene Prinzessin?" Selbst ich war erschrocken, wie kalt meine Worte klangen. Jetzt war auch bei den weniger klugen der Groschen gefallen. Seine Glupschaugen drohten aus seinem Gesicht zu springen, so entsetzt war er, als ihm die Bedeutung meiner Worte klar wurde. Als er erkannte, wer vor ihm stand und auch wieso.

„Wie kann das sein?", fluchte er leise und suchte den Blick eines anderen Gefangenen. Ich stellte mich ihm in den Weg. 

„Fragst du dich wo die Spuren deiner Fesseln sind? Die Narben der Verletzungen, die du mir zugefügt hast?" Ich legte den Kopf schief. „Ich werde dafür sorgen, dass alles was du je getan hast, ungeschehen gemacht wird. Ich werde dafür sorgen, dass niemand sich an dich erinnert. ." 

Er begann zu zittern. Ein Vermächtnis war für viele Fae das einzige, was sie anstrebten, alles was sie erreichen wollten. Und genau das würde ich ihm nehmen. „Ich streiche dich aus jeglichen Aufzeichnungen, brenne deinen Namen aus den Büchern und heile jeden, den du je verletzt hast. Vielleicht lösche ich sogar ihre Erinnerung an dich.  Es wird sein, als hättest du nie existiert." Triumph brannte in meinen Augen, als ich seine größte Angst aussprach.

Sie sagten mir alles. Alle Details zu den Plänen des dunklen Königs, alles, was sie über die Nigroms und das Bündnis zwischen ihnen und meinem Vater wussten.

Ich musste mich bloß an sie zurückerinnern, ihr Motiv erkennen und ihren Schwachpunkt. Als ich aus dem Verlies trat und die schwere Tür zuwarf, dauerte es nicht lange bis Vaughn neben mich trat. 

„Ich hab dich." Ich hatte nicht gemerkt, dass ich schwankte. Sobald sie mich nicht mehr sehen konnten, hatte sich meine Maske in Luft aufgelöst. An der Stelle, wo mein Herz war, sandte sich ein stechender Schmerz in alle Regionen meines Körpers aus. 

Die Treppe fühlte sich endlos an. Jeder Schritt war anstrengend. Jede Bewegung tat weh. Wir waren gerade erst durch den Torbogen getreten, als meine Beine vollständig nachgaben. Vaughn wollte mich hochheben, aber ich schüttelte den Kopf. „Nur einen kleinen Moment", bat ich ihn und lehnte mich an eines der raumhohen Bücherregale.

„Alles, was du willst, Arabella."

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Habt ihr gedacht, dass Vaughn so etwas für Belle tun würde?

The Lost PrincessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt