Kapitel 45

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Als ich die Augen aufschlug, erblickte ich den wolkenlosen Nachthimmel. Die Mondsichel warf warmes Licht durch das Fenster auf meine Haut. Die Sterne schienen so hell, dass ich blinzeln musste. Die Flut der Erinnerung brach mit sturmhohen Wellen auf mich ein. Der Bann. Der Ausbruch der Magie. Mein freier Geist.

Ich dachte ich wäre es bereits gewesen. Frei.

Doch erst als ich nun in mich lauschte, keiner Wand aus unnachgiebigem Fels begegnete, sah ich den Unterschied. Meine Erinnerungen waren klarer, als hätte ich sie vorher nur verschwommen durch trübes Wasser sehen können. Selbst die der vergangenen Jahre waren deutlich zu erkennen. Ich arbeitete mich durch sie hindurch. Und bemerkte erstaunt, wie sie sich nach meinem achtzehnten Geburtstag verändert hatten. Diese Erinnerungen waren mir gänzlich unbekannt und es dauerte, bis ich sie verstand.

Ich schwang meine Beine aus dem Bett und wühlte mich durch den Schrank um passable Kleidung zu finden. Das warme Pochen der Magie in mir war so vertraut, dass ich kurz innehielt um es zu genießen. Ich habe diese unbändige Magie immer geliebt, mir bereits als Kind ausgemalt, was ich damit alles machen konnte. Und es dann auch ausprobiert. Das Heu im Stall verteilt und den Stallburschen so die Arbeit erspart. Mich in die Luft erhoben. Mein Tagebuch mit Magie verschleiert. Einer Pflanze geholfen wieder gesund zu werden. Die Möglichkeiten schienen unbegrenzt. Denn mit roher Magie war, wenn man sie kontrolliert konnte, nahezu alles möglich.

Viele Fae besaßen Magie, doch selten war sie so stark ausgeprägt, dass sie lange eingesetzt werden konnte. Heilende Fae, die, die über Wasser herrschen können, über Eis, über Feuer. Nur die wenigsten gehen ihrer Magie nach. Die meisten üben einen normalen Beruf aus. Sind Künstler, Maler, Handwerker, Köche. Und einige von ihnen nutzen ihre Magie um ihr Werk zu verfeinern. Die Farben strahlender leuchten zu lassen, den Balken fester oder die Suppe würziger. Ich erinnerte mich an Städte mit bunten Flaggen über schmalen Gassen, geschmückt mit Girlanden und unzähligen kleinen Lichtern.

Ich schlüpfte in schwarze Samtschuhe, die neben der Tür drapiert waren und verließ das Zimmer, das sich definitiv nicht im Turm befand. Ein Luftzug strich über meine Haut und ich folgte dem schmalen Zug, bis zu der offenstehenden Balkontür. Wind bauschte den weichen Stoff des Vorhangs auf und ein hölzernes Windspiel klimperte verträumt. Ich trat auf den Balkon, stellte mich in den kühlen Wind unter einen Himmel, der in seinem prächtigsten Blau zu leuchten schien.

Weit, weit unter mir erstreckte sich die Stadt, die an das Schloss angrenzte. Die verschiedenen Viertel trugen unterschiedliche Farben. Blau für die Künstler, orange für die Handwerker, rot für die Schulen, grün für die Händler. Die Haustüren, die Wände, manchmal sogar das Dach trugen die Farbe ihrer Zunft. Jedes Viertel hatte einen eigenen Platz, an dem Waren feilgeboten oder Dienstleistungen in Anspruch genommen werden konnten.

Mein Blick wanderte über den Fluss, der die Stadt in zwei Hälften zu teilen schien. Der Fluss schimmerte in einem funkelnden Saphirton und es war als ob das Wasser strahlte so hell war die Luft über ihm. Einzelne Boote waren im Mondschein zu erkennen. In einem weiteren Viertel vermischten sich alle Farben und es kamen noch andere hinzu. Gelb für die Heiler, ein helles Rosa für Fae, die die Zukunft voraussagen, weiß für die, dessen Metier der Tod war. Hohe Bäume wuchsen in den Gärten, am Ufer des Flusses oder mitten auf den Straßen. Viele waren höher als die Spitzen der Häuser und ihr Blätterdach bestand aus einem schimmernden, tiefen Smaragdton.

Der Umhang, den ich mir um die Schultern geschlungen hatte, flatterte im Wind. Meine Hände umklammerten die schmiedeeiserne Brüstung, als würde ich, wenn sie das nicht tun würden, mit dem Wind davon fliegen. Hoch in die Wolken hinaus, über die Wipfel der Bäume.

Als ich bemerkte, dass meine Füße nicht mehr den Boden berührten, war ich so erschrocken, dass sich der feine Ast der Magie, der mich schweben ließ, schnell wieder zurück zog. Verdattert hielt ich den Blick auf meine Füße gerichtet. Dann wandte ich mich ab.

Ich muss zu Vaughn. Ich muss zu Villain. Ich muss ihnen endlich die Wahrheit sagen, weil ich es kann. Als ich an meinem Zimmer vorbei eilte, sah ich im Augenwinkel durch die geöffnete Tür einen Schatten, der mich innehalten ließ.

Der weiße Schneeleopard sah mich mit wachen Augen an. „Du?", fragte ich atemlos. Ich sank neben ihm auf die Knie, noch bevor mein Verstand realisiert hatte, was das bedeutete. Meine Arme schlangen sich vorsichtig um seinen weichen Körper. Erst als das leise Schnurren einsetzte, entspannte ich mich und strich ihm über den Kopf. „Du bist kein normaler Schneeleopard, was mein Kleiner?" Sein Schnurren setzte einen Moment aus, dann begann er seinen Kopf an meine Schulter zu schmiegen. Ich zitterte vor Ehrfurcht.

Als ich aufstand und mich von ihm löste, sorgten seine Augen dafür, dass ich innehielt. Ihre Farbe zu nennen war kaum möglich. Sie enthielten eine Spur blau, etwas grau und ein Funkeln, das man mit nichts vergleichen konnte.

„Osmium", entfuhr es mir, als wir eine schmale Treppe hinab stiegen. „Ist das in Ordnung für dich, Kleiner?" Seine Ohren spielten nervös. Dann setzte er seinen Weg fort. „Ich werte das mal als ein ja", erklärte ich ihm und empfand es wieder. Dieselbe Leichtigkeit, die mich oben auf dem Balkon erfüllt hatte. Es war unglaublich.

Meine Schritte wurden schneller. Doch als ich vor den Türen des Thronsaals stand, wurde mir mulmig zu Mute. Als er mich das letzte Mal gesehen hatte, befahl er meine Hinrichtung.

Osmium stupste mich ermutigend an. Die Türen öffnen sich und ich warf ihm einen bösen Blick zu. Als wäre das seine Schuld, schimpfte ich mit mir. Du musst es ihm sagen, du darfst es nicht heraus zögern. Ich nickte mir selbst zu und setzte einen Fuß vor den anderen. Der Thronsaal war leer. Ich fragte eine der Wachen, aber sie antworteten mir nicht. Ihr Blick war anders als sonst. Nicht voller Hass, aber auch nicht neutral.

Ich schlug die Richtung ein, wo ich den goldenen Saal vermutete, in dem wir an jenem Abend Karten gespielt hatten. Gleichzeitig ärgerte ich mich, dass ich nicht einmal wusste, wo sein Arbeitszimmer war.

Mit immer ungeduldiger Miene stapfte ich durch das Schloss. Frustriert über meine geringen Kenntnisse und das Schweigen der Wachen. Als Osmium die Führung übernahm war mir das nur recht. Meine Finger strichen über den Stein der Wände. Kühlend, nahezu beruhigend traf er meine Haut. Immer wieder blieb ich stehen, betrachtete einen Raum voller Bücher, voller Karten oder voller Gemälde.

„Ich habe dich gesucht", verkündete eine mir allzu bekannte Stimme. Ich wirbelte herum.

„Ich habe dich gesucht!", wiederholte ich seine Worte wenig einfallsreich. Ein Zug wirbelte um seine Mundwinkel und zum ersten Mal konnte ich nicht mehr ausblenden wie unverschämt attraktiv er war. Wie mein Herz schneller hüpfte, während er mich ansah.

„Wir müssen reden." Erst da fiel sein Blick auf meinen Begleiter. Neugier lag in seinem Blick und ich riss mich zusammen um mich nicht vollkommen und unübersehbar darin zu sonnen. „Komm mit."

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Erstes Kapitel der Lesenacht❤️

Soll ich im nächsten Kapitel mal wieder eine kleine Fragerunde stellen und auch direkt beantworten?✨

The Lost PrincessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt