„Ich wünschte, du hättest das nicht gesagt." Er versteifte sich, als ich mich aus seiner Umarmung löste. Meine Fingernägel gruben sich in meinen Unterarm. „Aber du hast es nicht anders gewollt. Ich wollte dich nicht verletzen, Vaughn. Du solltest dein Leben nicht für mich riskieren."
„Du kannst mich nicht davon abhalten", widersprach er mit fester Stimme.
Ich wünschte, dem wäre so. Ich öffnete die obersten Knöpfe meines Hemdes und entblößte meine Schulter. Nicht die, in die er gebissen hatte, sondern die andere. Dann zog ich den Schutzzauber an dieser Stelle zur Seite.
Sein Gesicht versteinerte. Blut lief über mein Handgelenk. Die Dunkelheit in mir schrie vor Freude über den Schmerz, der sich durch meinen Körper fraß.
„Wie...?"
„Ich habe gelogen." Es war nicht schwer gefühllos zu klingen, während meine Magie zu wüten begann. Ich schirmte alles von ihm ab. Meinen Geruch, meine Empfindungen und ich schloss den Schutzzauber auf meiner Haut wieder und verdeckte die frische Bisswunde damit.
„Verstehst du es jetzt?" Seine Augen schimmerten Onyx.
„Oh." Er lachte kalt. „Ich verstehe sehr gut." Dann verließ er die Kajüte.
Die Hälfte der Nacht war vorüber, als ich mich an Deck begab und zu Les schlich. Unter Deck wurden Würfel gerollt, Klingen geschliffen, Sprüche geklopft und alte Geschichten und Legenden zum Besten gegeben.
Les schnaubte leise, als er mich sah. Er schickte mir kein Bild, betrachtete mich lediglich aus seinen dunkelblauen Augen. „Ich hoffe, du bist ausgeruht, Les. Wir müssen los." Er hielt seine Nase vor mein Gesicht und pustete mir warme Luft entgegen. Ich lehnte meine Stirn an seine und vergrub meine Hand in seiner dichten Mähne.
Ein leises Mauzen ließ mich zusammenfahren. Os und Les betrachteten sich einen Moment aufmerksam, dann vollführten beide eine Bewegung, die einem Nicken unheimlich ähnlich war und Os sah mich abwartend an. Ich wusste was jetzt kam und setzte mich mit dem Rücken an die Boxenwand.
Os Vision begann nicht mit leichter Übelkeit oder pochenden Kopfschmerzen. In einem Moment schaute ich in seine raubtierhaften Augen, im nächsten sah ich ein sterbendes Land vor mir. In dem Moment, als meine Füße alejandrischen Boden berührten, durchfuhr ein tiefes Grollen die Erde. Soweit das Auge reichte, zogen sich schwarze Risse durch den Boden. Um sie herum wuchs nichts mehr. Das Land, das eins vor Magie und Leben und Fruchtbarkeit pulsierte, stand kurz davor zu sterben.
Fäulnis breitete sich, ausgehend von den schwarzen Rissen, aus. Ganze Bäume waren ausgetrocknet und kraftlos in sich zusammengesunken. Dort wo sich einst ein Wald erstreckt hatte, war nur noch eine kahle Ebene vorzufinden. Ein ausgetrocknetes Flussbett war von gelbem Substrat bedeckt und sonderte einen schwefelartigen Geruch aus.
Ich war zu spät. Mein Gefühl hatte mich zur Eile getrieben, doch ich war nicht schnell genug gewesen.
Stocksteif stand ich da, die Augen vor Panik weit aufgerissen.
Mit Mühe gelang es mir ein paar wenige Schritte zu gehen. In Richtung des einzigen halbwegs tröstlichen Anblickes, der sich in der Landschaft vor mir erstreckte.
Ich ließ mich am Stamm der alten Eiche nieder. Nur ganz kurz, sagte ich mir und schloss die Augen.
„Ich gebe mir einen kurzen Moment, um diesen Schock zu verdauen. Dann stehe ich auf, versprochen. Und kämpfe." Ich löste meine Hand, die sich krampfhaft um das Handgelenk der anderen geschlungen hatte und die Wunden gleich wieder neu aufreißen würde und grub sie in die Erde.
„Die Prophezeiung hat recht behalten. Meine Magie ist nutzlos im Ausmaß dieser Katastrophe. Selbst wenn ich meinen Vater besiege, wäre ich nicht stark genug, um das Land zu retten."
Warme Luft traf mein Gesicht und im nächsten Moment wurde sie kochend heiß. Sie strich über meine Haut, bis sie zu dampfen begann. Doch ich sprang nicht auf. Ich öffnete nicht einmal die Augen. Denn nun wusste ich ganz sicher, was uns retten würde. Es war keine bloße Ahnung mehr. Osmium hatte die Hoffnung bestätigt, die ich vorhin bei der Betrachtung der Karte Alejandras verspürt hatte.
Ich schlug die Augen auf. Topasfarbene Bernsteinaugen betrachteten mich aufmerksam. „Danke, Os. Vielen, vielen Dank." Ich küsste ihn auf die Nase und stand auf. Doch Les schüttelte seinen Kopf, als ich mich zu ihm umdrehte. Er schickte mir ein Bild von einem prächtigen Schwert und ich verstand die Welt nicht mehr und antwortete ihm mit einem Bild von mir, wie ich verständnislos die Schultern hob. Daraufhin schickte er mir ein Bild von mir, wie ich mich umdrehte, was ich dann auch seufzend tat.
Neben Os an der Boxenwand, an der ich gerade noch saß, lehnte ein Schwert. Aber nicht irgendein Schwert. In seinem Griff funkelten mehrere daumengroße Diamanten. Sie schimmerten in einem hellen grün. In seinem Knauf war das Wappen Azralons eingearbeitet. Eine Schwinge neben einem erhobenen Schwert. Die Parier Stange trug ebenfalls ein Wappen, drei Sterne und ein Mond über einer Bergsilhouette. Ich hatte es ewig nicht mehr gesehen. Die Klinge glänzte im Mondlicht und ich stand noch immer regungslos vor ihr, als Les mich an stupste und ich gezwungenermaßen einen Schritt auf sie zu ging.
„Das hast du mir gebracht, Os?"
Seine Brust schien etwas breiter zu werden, als er meine ehrfürchtige Stimme hörte. Er sah mich so gutmütig an, dass ich erneut auf die Knie ging. „Die habe ich doch gar nicht verdient", flüsterte ich leise.
„Du hast noch so viel mehr verdient, Belle. Ich wünsche dir viel Glück." Os Worte erklangen direkt in meinem Kopf und ich fragte mich zum wiederholten Male mit was für einem Wesen ich es eigentlich zu tun hatte.
„Ich dir auch, Os. Bari taurari su kare mu." Wieder hatte es den Anschein, als würde er den Kopf neigen. Gleichzeitig erhellte sich der Himmel für den Bruchteil eines Augenblicks und ich sah eine Sternschnuppe, die nach Osten flog. Zurück nach Arubien, wo auch unser Weg hinführen würde.
Als ich den Blick senkte, war von Os keine Spur mehr zu sehen. Ich seufzte. Les schnaubte.
Dann griff ich nach dem Schwert, es war viel leichter, als es aussah und lag angenehm warm in meiner Hand. Das Schimmern wurde stärker und reichte hoch bis zur Klinge.
„Auf nach Arubien, Les."
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War heute mal wieder richtig im Schreibrausch😍 Ich hoffe euch gefällt die Geschichte. Ich bin schon so aufgeregt, wie ihr die nächsten Kapitel finden werdet🙈😳
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The Lost Princess
FantasyEine gefangene Prinzessin, ein dunkler König und eine Mission, bei der es gilt unüberwindbare Hindernisse zu meistern. Arabella verliert jegliche Kontrolle. Über ihr Schwert und über sich selbst. Ihr Vater steuert sie, benutzt sie als sein Werkzeug...