Kapitel 96

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Als die Mittagssonne hoch oben am Himmel strahlte, weckte mich Vaughns Flüstern.

„Mit Körper und Seele vereint. Im Herzen eins. Ich verehre dich. Ich liebe dich. Ich schütze dich."

Ich drehte mich zu ihm um und bemerkte lächelnd, dass auf seinem Gesicht genau derselben ungläubigen Ausdruck lag, wie auf meinem. Als konnte auch er nicht glauben, dass das, was diese Nacht geschehen war, real war.

„Mit allem was ich habe, mit allem, was ich bin, liebe ich dich. Die Unendlichkeit der Sterne kennt keine Grenzen, genauso wie meine Liebe für dich."

Ich hatte es einfach gesagt, dass was ich dachte, ohne zu zögern. Er schlang seine Arme um mich, küsste mich, liebte mich.

Als Vaughn und ich später durch die Gärten schlenderten, fand ich die Burg plötzlich ganz und gar nicht mehr durchschnittlich.

Die Gärten waren überraschend gepflegt und die Burgherrin anscheinend ein großer Fan von Wasserspeiern. Es gab sie in jeglicher Größe, Ausführung und Farbe. Überall plätscherte es munter, während Vaughn meine Hand so festhielt, als würde er sie nie wieder loslassen wollen.

In diesen Gärten lag überraschend viel Schönheit. Seltene Grünpflanzen, leicht verwilderte Schlingpflanzen, schlafende Nachtblüher.

„Hier fühlst du dich wohl, oder?" Vaughn grinste und ich legte den Kopf schief.

„Habe ich dir meinen Garten gezeigt?", fragte ich verwundert. „Hast du mich etwa verfolgt?" Ich sah ihn ungläubig an.

„Nicht wirklich."

„Aber unwirklich?"

„Ich habe dich zufällig dort gesehen. Und anschließend bin ich immer mal wieder dort hingegangen."

„Dann war es also doch kein Zufall, wenn ich auf meinen Ausritten mit Les eine seltene Pflanze gefunden habe, die mir vorher noch nie aufgefallen war?"

„Wie man es nimmt". Er grinste frech. „Wenn du damit meinst, dass diese Pflanzen mehr ihren Weg zu dir gefunden haben, als du zu ihnen, könntest du recht haben."

Ich war sprachlos und starrte ihn an. Er nahm meine Hände und legte sie verschränkt auf seine Brust.

„Du hast..." Er hatte mich mit dieser Enthüllung vollkommen aus der Fassung gebracht. „Aber die erste Blume habe ich gefunden, als wir noch..."

„Ich weiß. Was glaubst du, wie ich mich gefühlt habe? Ich hatte den Drang der vermeintlichen Mörderin meiner Schwestern und berüchtigtsten Assassinin des Reiches eine Blume zu schenken. Meine Verwirrung kannst du dir vorstellen."

„Und nicht nur irgendeine Blume. Es war Mitternachtsschatten. Selten. Meine absolute Lieblingsblume. Erst danach kam mir die Idee mit dem Garten. Also du..." Erneut geriet ich ins Stocken. Meine Gedanken wanderten von meinem Garten zu Arya, dem Wald, Vaughns Zuhause, „Komischerweise vermisse ich es. Calea. Keno. Das Schloss. Ich wollte so lange nur da weg und jetzt? Es ist merkwürdig."

„Nicht so merkwürdig, wie du denkst." Vaughn grinste. „Kennst du das Gerücht, dass ich das Schloss allein mit meiner Magie erbaut habe?"

Ich dachte grinsend an Arya, die mir genau das auf ausführlichste Weise erzählt hatte. „Es wurde tatsächlich aus roher Magie erschaffen, aber nicht von mir. Sondern von Hero, deinem Vater. Lange vor dem großen Krieg, vor der Spaltung des Reiches, hat er darin gelebt. Vielleicht spürst du ihn dort."

„Unfassbar", murmelte ich und lehnte mich in Vaughns Arm. Rouven kam uns grinsend entgegen. „Guten Morgen, ihr Turteltauben!", begrüßte er uns und stieß einen anerkennenden Pfiff aus. Vaughn verzog keine Miene. „Ihr seht gut aus. Sehr... erholt", fuhr er fort und legte den Kopf schief. „Ich weiß, ist wahrscheinlich kaum zu glauben, aber euer Tag könnte noch besser werden."

Oraziel betrat nun ebenfalls die Gärten und selbst er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Ich stutze und sah Vaughn fragend an. Ich war fest davon ausgegangen, dass er ein Schild um unser Schlafgemach gelegt hatte.

„Schon," antwortete seine Stimme in meinem Kopf. „Aber es ist durchaus möglich, dass ich in dem ein oder anderen Moment die Kontrolle verloren habe." Ich versuchte nicht rot zu werden, aber Rouvens Blick machte das einfach unmöglich.

„Wir haben jedenfalls gute Neuigkeiten. Königin Helena scheint es sich doch anders überlegt zu haben. Sie hat uns vier Flotten geschickt und auf einem ist sogar ihre Fahne gehisst."

„Sie kommt her? Es wäre so viel leichter, wenn alle Herrscher und Herrscherinnen an einem Strang ziehen würden", überlegte ich laut. „Stellt euch mal vor, wie viel wir erreichen können, wenn wir alle an einen Tisch setzen?"

Vaughn strahlte mich an und ich küsste ihn übermütig. „Lasst uns sie angemessen begrüßen."

Am Hafen von Bruix war ich kurz davor Vaughns Hand zu zerdrücken so aufgeregt war ich. Sie würde mir so viele Fragen beantworten können. Ob meine Mutter tatsächlich meine Mutter war und wieso sie mir nie die Wahrheit erzählt hat. Wieso sie ihr nicht geholfen hat. Ob sie den dunklen König kennengelernt hatte.

Die Erinnerungsperlen, für die ich vor unsere Abreise, eine verborgene Tasche in der Rüstung anfertigen ließ, brachten die Haut an meinem Arm zum Kribbeln. Es war ein unangenehmes, fast stechendes Kribbeln, das mich erschrocken zusammenfahren ließ. Mein Blick wanderte zu Helenas Schiffen, die immer deutlich am Horizont zu erkennen waren.

Ich holte das hölzerne Kästchen hervor. Sobald ich es öffnete, erstrahlten die Erinnerungsperlen in ihrem milchig weißen Licht. Drei waren es und eine davon hatte ich mir angesehen, nachdem ich Vaughn gestanden hatte, dass es mein eigener Pfeil war, der mich in König Aurins Saal fast umgebracht hatte. Es war eine Erinnerung an meine Mutter und mich gewesen, wie wir Blumen auf einer Wiese pflückten. Etwas alltägliches, aber dennoch hatte der Anblick ihres Lächelns mir sehr gutgetan. Es war genau das, was ich damals gebraucht hatte.

Bei genauem Hinsehen schimmerte die mittlere Kugel etwas dunkler als die anderen beiden. Ganz sachte berührte ich sie mit meinem Zeigefinger.

Vollkommen anders als die erste Erinnerung war diese nicht klar und deutlich. Ich sah nur verschwommene Silhouetten und hörte leicht verzerrte Stimmen, dennoch erkannte ich meine Mutter sofort. Sie stritt mit jemandem und fragte immer wieder: „Wie ist sie in deinen Besitz gelangt?"

Es rauschte, doch dann war die andere Stimme klarer. „Spielt keine Rolle. Sie hat mir gezeigt, dass der König von Alejandra eine gute Wahl für dich wäre. In Alhambrien und Andalesien wirst du keine Gelegenheit haben Königin zu werden und dann kannst du mir nicht helfen. Wir brauchen zwei Königreiche, um auch nur den Hauch einer Chance zu haben."

Das Rauschen wurde lauter und die Stimmen bis zur Unkenntlichkeit verzerrt.

„Bist du sicher?" Das war wieder meine Mutter.

„Ja, bin ich", antwortete die andere Stimme, die ich augenblicklich erkannte. Es war Helena. Eisige Kälte breitete sich in mir aus. Ihre Schwester, die sie zu Phineas in den Tod schickte und sie aufs Schrecklichste hinterging.

Die Erinnerung endete und mein Blick klärte sich. Ich klappte das Kästchen zu. Vaughn war unruhig geworden, denn nun waren am Horizont deutlich mehr Schiffe zu erkennen. „Vaughn...", begann ich. Meine Hand war eiskalt. „Helena kommt nicht, um uns zu unterstützen. Sie will herrschen, und zwar über das gesamte Reich. Sie kommt, um uns zu töten."

Augenblicklich ertönten Rufe und Vaughns Miene war konzentriert. „Die Späher melden eine weitere Flotte im Süden." Mein Herz gefror. Rouven und Oraziel erteilten Befehle, Vaughn beobachtete sie grimmig und malte gleichzeitig unsichtbare Muster auf meinen Handrücken.

Auf den Klippen erschien ein einzelner Reiter, der in halsbrecherischem Tempo auf uns zu jagte. Er brüllte etwas, wir waren jedoch zu weit weg, um es zu verstehen. Nach einem Blick zurück, begann er wie wild mit den Händen zu gestikulieren. Dann stolperte das Pferd und er fiel, aber ich hatte es verstanden.

„Sie kommen", wisperte ich atemlos. „Er hat gesagt, sie kommen." Und das erweckte einen Funken in mir, der ein Feuer entfachte, von dem ich dachte, es gelöscht zu haben.

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The Lost PrincessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt