Ich konnte mich glücklich schätzen, dass ich mich zur Rettung eines so leichten weiblichen Wesens entschlossen hatte. Der Schlitten, auf dem ich Klara zog, grub sich störrisch durch den frischen Schnee, aber zumindest ging es irgendwie vorwärts. Die Verwehungen hatten ein paar Wege freigelegt, auf denen der Schnee nicht ganz so hoch lag. Trotzdem war jeder Schritt beschwerlich.
Den Schlitten hatten wir im Keller des Hauses gefunden, im Lagerbereich irgendeines Nachbarn. War unser Abenteuer überstanden, würde ich mich erkundigen, wessen Schloss ich ersetzen musste. Das redete ich mir wenigstens ein.
Die Kufen waren schon etwas angerostet und alle paar Meter musste ich kräftig am Seil ziehen, damit er sich wieder aus dem Schnee löste. Das arme Mädchen hinter mir war nur zu Besuch und ihre Klamotten waren noch weniger für das Wetter geeignet als meine. Ich hatte sie in alle Decken eingewickelt, die ich in meiner Wohnung finden konnte, und jetzt sah sie wie eine große Stoffkugel mit Augen aus.
Kurz nach unserem Aufbruch ebbte der Sturm komplett ab und gab den Blick auf einen sternenklaren Himmel frei. Im Licht der Straßenlaternen konnten wir die klirrende Kälte in jedem unserer Atemzüge sehen. Die Spitzen der Laternen flankierten links und rechts unseren Weg und ich kam mir wie auf dem Rollfeld eines Flughafens vor. Statt dem Lärm der Flugzeuge begleitete uns lediglich das Knistern meiner Schritte im Schnee.
Unerwartet rutschte ich aus und landete auf meinem Hintern. Klara lachte.
"Ich hoffe, wir können deinen Opa beim Krankenhaus finden, wenn wir dafür schon durch die Hölle gehen müssen", keuchte ich, als ich mich wacklig wieder auf die Beine arbeitete.
"In der Hölle ist es heiß", erwiderte Klara.
"Nicht in meiner. Etwas Schlimmeres als Schnee und Eis kann es nicht geben."
Was hätte ich jetzt für ein bisschen Hitze gegeben.
"Aber Schneeballschlachten kann man nur mit Schnee machen. Und Schneemänner. Und die armen Pinguine, wenn die keinen Schnee hätten", hielt sie mir vorwurfsvoll entgegen.
"Du musstest wohl noch nie eine Expedition an die Antarktis durchstehen, oder?", fragte ich in der Hoffnung, ihr jede Menge grausame Details über Antarktis erzählen zu können.
"Ne, du etwa?"
Sie hatte nicht angebissen.
"Allein in meinen Gedanken daran, bin ich bereits Kilometer vor dem Ziel erfroren."
Was allerdings nur halb so schlimm war, wie hier in der Wirklichkeit zu erfrieren. Das restliche Gebrabbel ihrer Freude über den Schnee blendete ich aus und konzentrierte mich vollkommen darauf, den Schlitten so zu ziehen, dass ich das Gleichgewicht nicht noch einmal verlor. Am Ende würde Klara mich noch ziehen müssen und wir hätten einen Grund mehr gehabt, das Krankenhaus zu besuchen.
Beim Gedanken an das Krankenhaus kamen mir die Bilder der Protestaktionen in den Sinn, als es vor einem Jahr an einen privaten Träger verkauft wurde. Der hatte es seitdem erwartungsgemäß heruntergewirtschaftet. Ein Großteil der Belegschaft war entlassen worden oder hatte sich präventiv nach neuen Arbeitsplätzen umgesehen. Viele Stationen waren sogar komplett verlassen und ich hatte von Bekannten gehört, dass ihnen ein Schauer über den Rücken lief, wenn sie doch mal durch eine der verlassenen Bereiche mussten. Wenigstens gab es jetzt genug Platz für Notunterkünfte.
Klara summte im Hintergrund ein Lied über den Winter und holte meine Gedanken in die eisige Realität zurück. Im Gegensatz zu Klara war mir auch immer noch kalt. An einem Bankgebäude, an dem wir vorbeikommen würden, gab es eine Uhr mit Temperaturanzeige. Vielleicht würde ich dort erfahren, wie kalt es wirklich war. Zähneknirschend stellte ich fest, dass sie so vereist war, dass man nichts mehr darauf erkennen konnte.
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Hypothermie
Ficção Científica[𝗪𝗮𝘁𝘁𝘆𝘀 𝟮𝟬𝟮𝟮 𝗚𝗲𝘄𝗶𝗻𝗻𝗲𝗿 (Größter Twist)] Ein unerwarteter Schneesturm verwandelt Daniels Stadt in eine Hölle aus Eis. Monster, die durch die Straßen ziehen. Ein fremdartiger Zylinder, der in der Stadtmitte eingeschlagen ist. Verdräng...