Beben 5.4

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Ich sah inzwischen nicht mehr hin, was von meinem kleinen Finger noch übrig war. Und ich hatte aufgehört, zu zählen, wie oft ich in Ohnmacht gefallen war. Er hatte mich jedes Mal wieder zurückgeholt, um mich weiter zu quälen. Jetzt legte er sein Werkzeug ab, setzte sich wieder auf den Stuhl und legte seine Hände auf die Oberschenkel.

Meine Augen waren verquollen, mein Körper schmerzte und ich hing schlaff an der Befestigung des Tisches. Mein Fingerstumpf pochte und in der Luft lag der Gestank verbrannten Fleisches.

"Nun, vielleicht bist du jetzt gesprächiger. Du kannst dem allem ein Ende setzen, indem du mir einfach die Wahrheit sagst."

Ich blickte seinen verschwommenen Umriss an und als ich verstand, was er von mir wollte, schüttelte ich schwach den Kopf. Dann ließ ich ihn wieder sinken.

"Du hast länger durchgehalten als der Quacksalber." Er erhob sich wieder und griff erneut das Skalpell. "Wirklich bewundernswert, wie du versuchst, euer Geheimnis zu schützen. Aber nicht die klügste Entscheidung. Du wirst deine Körperteile brauchen, wenn du im Äußersten Ring landest. Außerdem wird dein Widerstand nicht verhindern, dass ich den Rest von euch finde. Das ist nur eine Frage der Zeit."

Der äußere Ring? So schlimm stand es also? Uns allen drohte die Verbannung aus der Zitadelle und wir sollten in den Gefängnisring geschickt werden?

"Ich weiß gar nicht, wovon Sie sprechen", hauchte ich schwach und mit einem Unterton der Verzweiflung. "Ich bin Josh Hardington. Finanzanalytiker. Das ist alles ein Missverständnis."

"In dem Fall muss ich wohl weitermachen", sagte er mit Enttäuschung in seiner Stimme. Die nahm ich ihm nicht ab. Ich wusste, dass der Mistkerl das genoss. "Ich nehme an, dass du nicht besonders an deinem Ringfinger hängst, oder?"

Er näherte sich mit seinem Folterwerkzeug, aber ich war zu schwach, um mich noch aufzubäumen. Stattdessen driftete mein Verstand ab, zurück in Richtung Bewusstlosigkeit. Aus der Ferne vernahm ich ein Brummen. Oder war das nur das Blut, das in meinen Ohren rauschte? Durch die Schlitze meiner halb geschlossenen Augen wurde ich geblendet. Ich versuchte, sie offen zu halten und zu erkennen, was das war. Etwas an der Wand rechts von mir. Eine große weiße Fläche, in deren Mitte sich etwas Dunkleres befand.

Ein Beben erschütterte den Raum. Wie hing das mit dem Bild zusammen? Halluzinierte ich bereits?

"Captain Lover, wo sind Sie denn? E0 wird angegriffen! Wir brauchen Sie hier!"

Die Stimme kannte ich.

"Meine Grüße, Ratsmitglied Thulius. Ein Angriff? Wer sollte so bescheuert ... bekommt die diensthabende Mannschaft das nicht allein hin?"

"Die Mannschaft ist nur halb besetzt. Viele Siks sind noch in der Mine verschüttet. Außerdem denke ich, dass dieser Angriff eines Mannes ihres Kalibers bedarf."

"In der Mine verschüttet?" Der Folterknecht stöhnte ungläubig und schwieg einen Moment. Dann schien er sich zu fassen. "Verstanden, Ratsmitglied. Ich mache mich auf den Weg."

"Was tun Sie da überhaupt?" Eine Pause, in welcher der Mann im Medienpanel wahrscheinlich unseren Raum musterte. "Bei der Zitadelle! Ihnen ist doch klar, dass Folter seit '32 missbilligt wird? Machen Sie diesen Mann los und sperren sie ihn in eine Arrestzelle!"

"Ich mache nur meine Arbeit, zum Schutz der Zitadelle."

"Scheiße, das ist doch Daniel, oder?", hörte ich eine Stimme aus dem Hintergrund. War das Sergej?

Sie hatten es geschafft, bis zu Thulius vorzudringen. Ein Gefühl der Erleichterung erfasste mich. Wenn sie so in das Gespräch eingreifen konnten, dann musste es ihnen gut gehen. Das gedämpfte Gemurmel aus der Richtung des Medienpanels ging im Hintergrund unter. Mein Körper sehnte sich danach, einfach in einen erholsamen Schlummer zu verfallen. Doch es ging nicht. Er hatte mir irgendwas injiziert, das mich wach machte, mich an der Grenze zur Bewusstlosigkeit festhielt.

HypothermieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt