Stoß 4.4

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Weder Klara noch ich waren bewaffnet. Wir flohen lieber, wenn wir auf Widerstand stießen, anstatt zu kämpfen. Solange wir nicht bewaffnet waren, schoss auch kein Sik auf uns. Hatte zumindest Numbaka behauptet und wir hofften, dass er jetzt, wo diese Aussage auf dem Prüfstand stehen würde, recht behielt.

Es sah beinahe so aus, als hätte unsere Aktion mit der EMP-Bombe sie zu einem Großeinsatz auf den betroffenen Etagen bewegt. Wie unerwartet.

Jetzt, da ich mich an den Gedanken der Gefahr gewöhnt hatte, fiel mir auf, dass das Licht, das durch die Gitter der Frischluftverteiler drang, matter war als auf unserem Hinweg. Sie hatten ihr Stromnetz noch nicht wieder hochgefahren. Das musste ein Notfall-System sein, das inaktiv oder abgeschirmt und so unserem Angriff entgangen war. Nur deswegen waren sie in der Lage, alles so schnell zu starten.

"Wir hätten uns noch besser vorbereiten müssen!", presste ich beim Laufen hervor.

"Noch haben sie uns nicht!"

Klara hatte recht. Ich zog meine Kapuze tiefer über das Gesicht und fixierte sie. Dann tippte ich einen Knopf an der Kapuze an und die integrierte Helmschale verfestigte sich. Sie würde mich schützen, wenn ich mit dem Kopf voraus durch die Drohnen rannte. Bei dem Gedanken fühlte ich mich beinahe so draufgängerisch wie Sergej.

Wir waren den Drohnen bisher nur kurz begegnet, hatten aber nie einen Hinweis auf Waffensysteme entdeckt. Ich hoffte, dass das stimmte, denn selbst die Kopfschale würde keine Kugel aufhalten. Und auch keinen Laser. Klara folgte meinem Beispiel und vermummte sich ebenfalls.

Aus dem Augenwinkel nahm ich eine Bewegung wahr. Ein schwarzer Schatten huschte an mir vorbei und Krallen kratzten über den Boden des Luftkanals. Es war Brownie, der auf die Drohnen zuhielt. Vergebene Mühe. Gegen Bodenziele hätte die Riesenratte kämpfen können. Diese Biester waren wirklich gefährliche und fiese Gegner. Die Drohnen schwebten aber in der Luft.

Ein Schlag, der blechern durch den Kanal hallte, belehrte mich eines Besseren. Als wir vorstürmten, sah ich die Ratte, die auf der flachen Scheibe der Drohne lag und versuchte, die Sensoren abzubeißen. Die Motoren der Drohen jaulten auf, als sie sich wieder einen Zentimeter vom Boden hob und versuchte, mitsamt dem neuen Passagier davonzufliegen. Doch dafür steckte nicht genug Power in dem kleinen Stück Technik. Das Gewicht der Ratte presste die Drohne wieder hinunter und gemeinsam schlitterten sie über den Boden.

Eine zweite Drohne tauchte auf und verharrte beim Anblick dieser Szene. Der Operator zögerte wohl noch, ob er eingreifen oder doch gleich die Flucht ergreifen sollte. Ich nahm ihm die Entscheidung ab, fischte sie aus der Luft und schmetterte sie gegen die Kanalwand.

"Ist der Weg jetzt frei?", fragte ich Klara.

"Vielleicht, Brownie frisst ja noch."

"Ich wusste ja, dass Ratten alles fressen, aber ... egal, wir hauen lieber ab. Die Siks wissen jetzt, wo wir sind. Hoffentlich haben sie Sergej und Moritz noch nicht entdeckt."

Sergej war nicht zu überhören. Auch nicht der Wachmann, den er gerade durch einen Luftverteiler in die Etage unter uns beförderte und der dabei wie am Spieß schrie.

"Der Idiot hat versucht, meine Prothese zu betäuben", lachte Sergej über den Lärm des Luftverteilers hinweg, der krachend gemeinsam mit dem der Sik auf dem Boden aufschlug.

"Lass uns verschwinden!", rief ich ihm zu und drückte mich an ihm vorbei.

Hinter uns fiel ein Schuss. Ich zuckte zusammen. Wenn ich überlebte, würde ich mit Numbaka ein ernstes Wörtchen reden. Doch weder ich, noch sonst jemand von uns schrie auf oder brach zusammen. Ein Warnschuss. Oder sie waren einfach nur lausige Schützen, was mich nach den letzten vier Jahren nicht mehr gewundert hätte.

HypothermieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt